IGM Einheit

einführung Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der 2. Mai 1933 stellt eine Zäsur für die deutsche Gewerkschaftsbewegung dar. An diesem historischen Datum stürmten die Nationalsozialisten im ganzen Land die Gewerkschaftshäuser. Ziel der Nazis war, den Allgemeinen Deutschen Gewerk- schaftsbund (ADGB) samt seiner Einzelgewerkschaften zu zerschlagen. Noch am Vortag hatte die NSDAP den 1. Mai als „nationalen Tag der Arbeit“ inszeniert und wollte so die Arbeiterschaft für sich gewinnen. Einen Tag später drangen dann die Rollkommandos von SA und SS in die Gewerkschaftshäuser im ganzen Deutschen Reich ein, auch in Württemberg und Baden. 80 Jahre später ist der 2. Mai 2013 ein Gedenktag für alle der Demokratie verpfl ichteten Kräfte. Er ist mahnende Erinne- rung und Auff orderung zugleich, sich für die Einheit der Ge- werkschaftsbewegung und die Freiheit gewerkschaftlicher Betätigung im Betrieb und in der Gesellschaft einzusetzen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Auch heute werden noch in vielen Ländern der Welt Gewerkschafter und Ge- werkschafterinnen verfolgt, eingesperrt und ermordet, ist freie gewerkschaftliche Betätigung versagt oder mit Repres- sion belegt. Mit dem vorliegenden Band „Hütet die Einheit wie euren Augapfel!“ wollen wir die Geschehnisse des 2. Mai 1933 im Südwesten Deutsch- lands aus Sicht des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV) ein Stück aufarbei- ten. Hierzu beschreibt der Historiker Rainer Fattmann die politischen Entwicklun- gen, die in der Folge des Ersten Weltkriegs zur Machtergreifung Hitlers geführt und die junge Demokratie der Weimarer Republik zerstört haben. Das ist notwendig, um die Zusammenhänge erkennen und verstehen zu können. Der zweite Schwerpunkt beschreibt beispielhaft aus ganz unterschiedlichen lokalen Blickwinkeln, mit wel- cher Konsequenz, Gewalt und Brutalität die Schergen der SS und SA – auch – gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vorgegangen sind. Die Geschichte lehrt uns, wachsam zu sein und Zeichen zu setzen – ein deutliches Zeichen gegen das Vergessen können wir sicherlich setzen, wenn diese Publikation vielfach gelesen und diskutiert wird. Jörg Hofmann – Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg Mit kollegialem Gruß Mit kollegialem Gruß Jörg Hofmann Jörg Hofmann F 5 E

inhalt F 6 E I. Baden und Württemberg in der Weimarer Republik: Grundzüge der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung ................................. 11 Novemberrevolution ...............................................................................................12 Die politische Entwicklung bis in die frühen 1930er Jahre.........................................14 Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit ................................................................ 17 II. Der Deutsche Metallarbeiter-Verband und die Gewerkschaftsbewegung in Baden und Württemberg .................................19 Struktur und Mitgliederbewegung des DMV .............................................................21 Linksschwenk des DMV ......................................................................................... 24 Handlungsspielräume und Handlungsfelder der Gewerkschaften in der Weimarer Republik ........................................................ 24 Erfolgreicher Generalstreik gegen den Kapp-Putsch ................................................ 26 Der Kampf um den Achtstundentag ........................................................................27 „Ruhrkampf“ und Hyperinflation ............................................................................ 28 Goldene Jahre? ...................................................................................................... 29 Die Gewerkschaften und der DMV in der Weltwirtschaftskrise ................................. 30 III. Aufstieg und Machtübernahme der NSDAP im deutschen Südwesten .................31 IV. „Sichert die Wahlen“: Die gelähmte Arbeiterbewegung ......................................33 Die Spaltung im Lager der Gewerkschaften ..............................................................33 Appelle statt Aktionen ...........................................................................................35 Eiserne Front ......................................................................................................... 36 Auf dem Weg zum 30. Januar 1933 ......................................................................... 38 Der Reichstagsbrand, die Reichstagswahl vom 5. März 1933 und das „Ermächtigungsgesetz“ ............................................................................ 39 Die „Gleichschaltung“ in Baden und Württemberg ...................................................43 V. Die Unterdrückung der Arbeiterbewegung in Baden und Württemberg und die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 ..................................... 44 Versuche der Organisationsrettung durch taktische Anpassungsbereitschaft .................................................................45 VI. Verfolgung und Widerstand der Arbeiterbewegung gegen das NS-Regime im Südwesten .................................................................... 48 Systematisierung des Terrors: Konzentrationslager in Baden und Württemberg ....... 49 Verfolgung, Schutzhaft, Mord ................................................................................ 50 Ludwig Marum – gebildet, links, jüdischer Herkunft ................................................ 51

Metall-Gewerkschafter Georg Zischer – gefoltert bis in den Tod ................................52 Gustav Schulenburg – Tod im Konzentrationslager ..................................................52 Widerstand in der totalitären Diktatur: 1933-1936 ....................................................53 Beispiele für Widerstand und Verfolgung: Johann (Hans) Brümmer...........................54 Beispiele für Widerstand und Verfolgung: Willi Bleicher ...........................................55 Widerstand in der totalitären Diktatur: Nach 1936 ...................................................57 Tausende leisteten Widerstand ...............................................................................59 Geschichte vor Ort Aalen: Eindrücke aus Stadt und Land: Saalschlachten und Solidarität ..................... 60 Aalen: Gewerkschafter Opfer der Verhaftungswelle ................................................. 62 Albstadt-Ebingen: Hans Schaudt aus Ebingen – durch Willkür im KZ ....................... 65 Freiburg: Gewerkschafter im Gemeinderat – verhaftet und verfolgt .......................... 66 Freiburg: Gewerkschaftshaus – überfallen, durchsucht, beschlagnahmt ..................67 Nazi-Handbuch für den Staatsstreich von innen… ................................................... 68 Freiburg: Schwieriger Weg zum zivilen, zivilisierten Leben ...................................... 70 Heidelberg: Ich hab die Freiheit in Heidelberg verloren ...........................................72 Heidelberg: Verbotene Flugblätter und Hinrichtungen auf dem Firmengelände .........74 Heidelberg: „Man hat auf die Wahlen gesetzt“ – Erinnerungen eines Gewerkschafters ......................................................................75 Heidenheim: Gewerkschafter in Haft, Vermögen einKassierert .................................76 Heilbronn: Lang gehalten und doch gefallen .......................................................... 80 Heilbronn: Arbeitsbedingungen im Nazi-Staat ........................................................ 82 Karlsruhe: Leopold Rückert – Metaller, Minister, ermordet ...................................... 84 Karlsruhe: Ein Jahr Gefängnis für Metall-Gewerkschafter, weil er eine Zeitung besaß ..................................................................................... 86 Herrenberg: Nicht immer eine Heldengeschichte .................................................... 88 Kehl: Manchmal sind keine Nachrichten gute Nachrichten – vielleicht… ................. 89 Ludwigsburg: Ab dem 4. April 1933 war Widerstand ohne Chance auf größere Wirksamkeit ................................................. 90 Nürtingen: Metall-Gewerkschafter ...........................................................................97 Lörrach: Gewerkschafter kriminalisiert und eingesperrt .......................................... 98 Mannheim: Hochverrat durch Zeitunglesen – Die Anklage gegen Karl Eichhorn .......100 inhalt F 7 E

Reutlingen: Widerrechtliche Besetzung in drei Anläufen ........................................106 Schramberg: Rote Hochburg im schwarzen Wald ................................................... 110 Schwäbische Hall: Die „große Zeit“ im Kleinen erlebt – Menschen berichten .......... 113 Sindelfingen: Der Stern und das Hakenkreuz strahlten sich gegenseitig an ............ 116 Singen: Große Inszenierung der Machthaber, kleine Formen des Widerstands ........ 118 Stuttgart: Der frühe Tod des Friedrich Elsässer .......................................................120 Stuttgart: Das Gewerkschaftshaus… ...................................................................... 121 Tübingen: Arbeiter in Uniform… ............................................................................124 Tuttlingen: Gemeinsamkeit in der „Hochburg des Gewerkschaftsgedankens“ .........126 Ulm: Das Zuhause der Gewerkschafter in Herzen der Stadt ....................................128 Waiblingen: Ganz vom Anfang an – ein Beispiel .................................................... 131 Waiblingen: Der Metall-Gewerkschafter, der den Nazis zu intelligent war................ 133 Worms: Dramatische Ereignisse im Volkshaus ....................................................... 135 Abkürzungen........................................................................................................ 137 Quellen und Auswahlliteratur ...............................................................................138 Bildnachweise .....................................................................................................142 inhalt F 8 E

Man schrieb das Jahr 1932. Die politische Arbeiterbewegung, ideologisch in sich zerstritten, organisatorisch zerrissen, sich gegenseitig bekämpfend, so stand sie dem ihr gemeinsamen Gegner – dem Faschismus – gegenüber. Mil- lionen von Arbeitslosen, von Dauer-Arbeitslosen – ich war einer von ihnen, es ging bereits ins vierte Jahr meiner Arbeitslosigkeit. Ich nahm gleich anderen an Arbeitslosenversammlungen teil, die sowohl von der KPD, SPD und auch von den Gewerkschaften für ihre arbeitslosen Mitglieder organisiert waren. Man proklamierte hier wie in allen anderen parteipolitischen Kundgebungen den entschlossenen Kampf gegen das kapitalistische System als Verursacher dieses Massenelends und insbesondere den Kampf gegen den Faschismus. Vom gemeinsamen Kampf der politischen Arbeiterbewegung war nichts zu spü- ren, der gemeinsame Gegner Faschismus wurde bezüglich seiner Rolle und Funktion im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschafts- und Funktion im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die sich zum damaligen Zeitpunkt in Gesellschaftsordnung, die sich zum damaligen Zeitpunkt in einer ihrer tiefsten Krisen befand, nicht erkannt. Die ei- nen meinten, Deutschland wäre nicht Italien, und was ei- nem Mussolini in Italien gelang, würde Hitler in Deutsch- land nicht möglich sein, und die anderen vermuteten, dass, wenn der Faschismus zur Macht käme in Deutschland, dann drei Meter unter dem Boden. So taumelte diese politische Arbeiterbewegung in das Jahr 1933, ihre letzte historische Chance zur Nieder- werfung des Faschismus im Juli 1932 verpassend. Die preußische Regierung wurde von einem Polizei- leutnant und drei Polizisten durch Papen aus Amt und Würde verjagt; anstelle des Einsatzes der preußi- schen Polizei in Verbindung außerparlamentarischer Aktionen analog der Erfahrung des Kapp-Putsches wurde eine Klage beim Reichsgerichtshof anhängig gemacht. Man vergaß die bereits von Lassalle ausge- sprochene Erkenntnis, dass Rechtsfragen Machtfra- gen sind. So konnte es geschehen, dass der Faschismus mit Hil- fe der in der Weimarer Verfassung verankerten Not- verordnung legal zur Macht kam. Kein Aufbäumen der politischen Arbeiterbewegung in ihrer Gesamt- heit. Die KPD wurde verboten, ihr folgte alsbald die SPD, und den Gewerkschaften nützte auch ihre Kapitu- lation nichts – am 2. Mai 1933 wurden sie verboten. : F 9 E

blick zurück: historische dokumente F 10 E Zehntausende der in der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung Engagierten wurden verhaftet, in Zuchthäuser, Gefängnisse, Konzentrationsla- ger geworfen, und weitere Tausende entzogen sich ihrer Verhaftung durch die Emigration. Auch ich war einer von ihnen. Nachdem ich zwei Monate nach dem 30. Janu- ar 1933 in Stuttgart illegal mich aufhielt und politisch gegen den Faschismus arbeitete, hektographierte Flugblätter gegen den Faschismus herstellte, einen Verteilerapparat aufbaute, Nacht für Nacht hier bei einem Arbeitersportler, dort bei einem Naturfreund oder Freidenker oder Gewerkschaftler übernachtend, legte man mir nahe, jetzt in die Emigration überzuwechseln. Wer vermag sich noch in meine damalige Situation hineinzudenken? Ich gehör- te der KPO an, einer kleinen Gruppe, die schon in ihrer Legalität über keine ﬁ- nanziellen Mittel verfügte, geschweige denn in der Illegalität. Ich lebte gleich- sam von der Solidarität der Arbeitslosen, die längst ausgesteuert waren. Von diesem 50 Pfennig, von anderen 20 Pfennig, das waren große Opfer. Mahlzeiten habe ich selten eingenommen, es sei denn, ich bekam ein Stück Brot, manch- mal auch ein Stück Wurst an einer Krankenhauspforte. Oft schlief ich in Gärten, immer in der Furcht, dem Besitzer oder einem Feld- hüter in die Hände zu geraten. Zu dieser meiner materiellen Not kam die po- litische Trostlosigkeit jener Tage. In den damaligen Arbeitervierteln Stuttgarts und überall hingen die Hakenkreuzfahnen aus den Häusern, gleichsam mani- festierend, dass man jetzt auch einer der ihrigen sei. Man registrierte, dass die- ser oder jener Genosse, Gewerkschaftler, Arbeitersportler, mit dem man jahre- lang zusammengearbeitet hatte, befreundet war, zu den Nazis überwechselte. Man musste zur Kenntnis nehmen, dass eine Gruppe hochgegangen und ver- haftet, dass dieser oder jener, den man gekannt, erschlagen oder auf der Flucht erschossen wurde. Oh, wie grausam gründlich, brutal im Blute watend, korri- gierte der Faschismus die Schwächen, Halbheiten, Fehler der politischen Ar- beiterbewegung. als junger Mann aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime, Häftling unter anderem im Konzentrationslager Buchenwald, von 1959 bis 1972 Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg – er forderte als Konsequenz aus der politischen Zersplitterung der Nazi-Gegner, stets die Einheit der Beschäftigten zu hüten „wie euren Augapfel“ Willi Bleicher1 1 Willi Bleicher, Stationen des Kampfes, in: Die Kinder des roten Großvaters erzählen, Frankfurt am Main 1976

I. Baden und Württemberg in der Weimarer Republik: Grundzüge der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Sowohl im Königreich Württemberg wie im Großherzogtum Baden hatte sich be- reits im Kaiserreich eine politische Kultur herausgebildet, die sich von den Verhält- nissen in Preußen und den übrigen Reichsgebieten deutlich unterschied. Die 1904 in Baden und 1906 in Württemberg auf den Weg gebrachten Verfassungsreformen führten das politische System beider Südweststaaten bereits sehr nahe an den Ty- pus eines konstitutionell verfassten parlamenta- rischen Regierungssystems heran. Die badischen Großherzöge Friedrich I. und Friedrich II. und der württembergische König Wilhelm II. achteten die parlamentarischen Mehrheiten und übten ih- re Funktion ohne das schneidige Pathos und den militaristischen Pomp aus, mit dem der unselige deutsche Kaiser seinen Hofstaat und seine Unter- tanen zu beeindrucken trachtete.1 Angesichts des relativ liberalen politischen Kli- mas boten sich der Arbeiterbewegung im deut- schen Südwesten bessere Entfaltungsmöglichkei- ten als anderswo im Deutschen Reich. In Stuttgart tagte im August 1907 der Inter- nationale Sozialistenkongress, ein europaweit beachtetes politisches Großereignis, auf dem ungehindert von den Behörden der Kampf der Arbeiterklasse gegen Krieg und Militarismus beschworen wurde. Überhaupt entwickelte sich die Stadt zu ei- nem Zentrum der Arbeiterbewegung: Hier nahm der Deutsche Metallarbeiter-Ver- 1 Vgl. Reinhold Weber/Hans-Georg Wehling, Geschichte Baden-Württembergs, München 2007, S. 78f. F 11 E

politik und wirtschaft 1918–1933 Stuttgart als Zentrum fortschrittlicher politischer Diskussionen: Hier entwickelten und publizierten Karl Kautsky und Clara Zetkin Konzepte und Forderungen. band 1891 seinen Sitz, hier erschien die von Clara Zetkin redigierte „Gleichheit“, das „Zentralorgan der sozialistischen Frauenbewegung, ebenso wie „Die Neue Zeit“, herausgegeben von Karl Kautsky, sowie die Schriften fast aller sozialistischen/ sozialdemokratischen Theoretiker von Rang. Novemberrevolution Der Verlauf der Novemberrevolution im deutschen Südwesten machte deutlich, dass die Schranken zwischen den verschiedenen politischen Gruppen und Milieus hier tatsächlich weniger ausgeprägt waren als im übrigen Deutschland. Die gekrön- ten Häupter beider Länder mussten sich nicht wie der deutsche Kaiser fl uchtartig ins Ausland absetzen; Wilhelm II. zog sich unbehelligt nach Schloss Bebenhausen zurück, Friedrich II. zunächst nach Zwingenberg am Neckar. Insgesamt ging die „Staatsumwälzung“ in beiden Südweststaaten wesentlich ruhi- ger, insbesondere wesentlich unblutiger über die Bühne als in anderen Teilen des Reiches. In Mannheim und besonders in Stuttgart kam es zwar zu wiederholt auﬄ a- ckernden Protesten revolutionärer Arbeiter, die von der Regierung rigoros und auch mithilfe irregulärer Truppen unterdrückt wurden und Tote und Verletzte forderten. Allerdings waren dies im Rückblick betrachtet doch eher zeitlich und lokal einge- grenzte Konfl ikte mit einer begrenzten Zahl beteiligter Kontrahenten.2 Bürgerkriegs- ähnliche Unruhen wie in Berlin, wo besonders die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts im Zusammenhang mit dem mit äußerster Brutalität niederge- 2 Zu den revolutionären Unruhen in Stuttgart, in denen die Arbeiter der Daimler-Werke in Untertürkheim und Sindelfi ngen eine maßgebliche Rolle spielten, vgl. Rainer Fattmann, 125 Jahre Arbeit und Leben in den Werken von Daimler und Benz, Stuttgart 2011, S. 48–55. F 12 E

schlagenen sogenannten „Spartakus-Aufstand“ die politische Stimmung innerhalb der Arbeiterschaft tiefgreifend radikalisierte, blieben den Menschen in Baden gänz- lich und in Württemberg weitgehend erspart.3 Stattdessen bildeten sich schnell, begünstigt durch die schon zuvor eingeübten For- men der politischen Zusammenarbeit, provisorische Regierungen aus Vertretern der Sozialdemokratie und der bürgerlichen Parteien unter Ausschluss der Rechtskon- servativen. In beiden Ländern stellten Sozialdemokraten die ersten Ministerpräsi- denten nach der Revolution (Anton Geiß in Baden und Wilhelm Blos in Württem- berg). Wie im ganzen Reich hatte auch in Baden und Württemberg in der SPD der Streit um die Kriegspolitik und die im Kriegsverlauf immer stärker werdende Kritik an der von der Parteiführung verfochtenen Politik des Burgfriedens zuvor zur Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) geführt. Der USPD schlossen sich zunächst die im Spartakusbund versam- melten Linkssozialisten um Luxemburg und Liebknecht an. Eine neuerliche Abspaltung linksrevolutionärer Gruppen von der USPD mündete dann am 30. Dezember 1919 in der Gründung der KPD.4 Sie verstand sich als die revolutionäre Alternative zur SPD mit dem Ziel sozialistischer Produktionsverhältnisse. Den nur als „formale“ Demokratie abquali- fizierten Parlamentarismus wollte die KPD durch eine Rätedemokratie ersetzen. Im Januar 1919 wurden in beiden Ländern Landesversammlungen gewählt, erstmals un- ter Beteiligung der Frauen. In Baden kam die „Weimarer Koalition“ aus SPD, katholi- schem Zentrum und liberaler Deutscher Demokratischer Partei (DDP) auf rekordver- dächtige 91,5 Prozent der Stimmen, in Württemberg immerhin auf 80,2 Prozent. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die nach der Novemberrevolution auch in Baden und Württemberg zunächst lokal, dann auch auf Landesebene Verwaltungs- und Kont- rollfunktionen übernommen hatten und insbesondere bei der Demobilisierung des 3 4 Vgl. Weber/Wehling, Geschichte Baden-Württembergs, S. 82ff; Thomas Schnabel, Ge- schichte von Baden und Württemberg 1900–1952, Stuttgart 2000, S. 85ff. Die politische Zusammensetzung der USPD war höchst heterogen. Die Spannweite reichte von linkssozialistischen Anhängern einer Diktatur des Proletariats bis hin zu pazifistisch- humanistisch geprägten „Revisionisten“ wie Eduard Bernstein, der in der alten Gesamt- SPD ein prominenter Vordenker des „rechten“ Parteiflügels gewesen war. Einigkeit bestand nur in der Ablehnung des Kriegs und der Verweigerung der Kriegskredite. In der Folgezeit spaltete sich die USPD: während ihr rechter Flügel zur SPD zurückkehrte, schloss sich der linke überwiegend der KPD an. politik und wirtschaft 1918–1933 Engagierte Männer waren bereit, Verantwortung für die Zukunft Badens zu übernehmen. F 13 E

politik und wirtschaft 1918–1933 Millionenheers der Kriegsrückkehrer und der Auf- rechterhaltung der Nahrungsmittelversorgung eine wichtige Rolle gespielt hatten, traten nun wieder in den Hintergrund. Die Landesversammlungen verabschiedeten früh- zeitig und weitgehend im Konsens demokra- tisch-republikanische Landesverfassungen. Die Verfassung der „Republik Baden“ – das Land Würt- temberg bezeichnete sich nun als „freier Volks- staat“ – wurde dabei am 13. April 1919 durch die erste Volksabstimmung in der deutschen Geschich- te mit großer Mehrheit angenommen. Es gehrt auch demo- kratisch! Die verfas- sungsgebende Lan- desversammlung Württembergs 1919 Die Einführung parlamentarisch-demokratischer Zustände war somit insgesamt zu Beginn der Weimarer Republik „kein Fremdkörper im Südwesten, sondern ein po- litisches System, das von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wur- de.“5 Die politische Entwicklung bis in die frühen 1930er-Jahre Vergleicht man die politische Entwicklung der beiden Südweststaaten mit den Vergleicht man die politische Entwicklung der beiden Südweststaaten mit den Verhältnissen auf der Ebene des Reiches, so zeichnete sich diese durch ein verhältnismäßig hohes Maß an politischer Kontinuität und auch Stabili- tät aus. In Baden regierte bis zum Dezember 1932 eine Koalition aus Zen- trum und SPD, bis letztere im Streit um den vom Zentrum gewünschten Staatskirchenvertrag in die Opposition ging. In den vier Landtagswahlen bis 1929 reichte es für beide Parteien zusammen stets zur Mehrheit der Mandate, doch wurden die verschiedenen Koalitionen häufi g durch Mandate, doch wurden die verschiedenen Koalitionen häufi g durch Minister aus anderen Parteien ergänzt, meist von der in Baden Minister aus anderen Parteien ergänzt, meist von der in Baden zunächst sehr starken DDP, aber auch von der eher rechtslibe- ralen Deutschen Volkspartei (DVP). Das Beispiel Adam Rem- meles – der Gewerkschafter und Sozialdemokrat entwickelte sich zu einem der führenden Politiker seines Landes – zeig- te, dass nunmehr auch in Baden Kinder aus einfachen Ver- hältnissen in höchste politische Ämter aufsteigen konnten.6 5 6 Schnabel, Geschichte von Baden und Württemberg 1900-1952, S. 91. Der Sohn eines Müllers beteiligte sich 1918/19 aktiv an der Rätebewegung in Baden und wurde 1919 Vizepräsident der Badischen Nationalversammlung. Von 1919 bis 1929 war er Innenminister des Landes, 1925/26 auch Minister für Kultur, von 1929 bis 1931 war er gleichzeitig zuständig für Kultur und Justiz. Vgl. Günter Wimmer, Adam Remmele. Ein Le- ben für die soziale Demokratie, Ubstadt-Weiher 2009. Adam Remmele, ge- lernter Müller, wurde Vorsitzender des Ge- werkschaftskartells in Ludwigshafen und später Minister und Staatspräsident von Baden. F 14 E

Ebenfalls stabil, doch deutlich konservativer als im westlichen Nachbarland, gestal- tete sich die politische Entwicklung in Württemberg. Die SPD stand für einen dezi- diert pragmatischen und reformorientierten, in ihrer Mehrheit betont staatsloyalen Kurs. Schon 1915 kam es zur Abspaltung ihres linken Flügels um den Landtagsab- geordneten Friedrich Westmeyer, was die konservative Einfärbung der württember- gischen (Mehrheits-) Sozialdemokratie noch verstärkte.7 Dennoch kam hier – an- ders als in Baden – eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien nur in den ersten Nachkriegsjahren zustande. Ab 1924 wurde das Land von einer Koalition aus Zentrum, Bauernbund und Bürgerpartei regiert – dem im Vergleich zur Mutterpar- tei etwas gemäßigteren Ableger der letztlich antiparlamentarischen und reaktionä- ren Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Als einziges größeres deutsches Land hatte Württemberg von 1924 bis 1928 mit Wilhelm Bazille einen deutschnationa- len Regierungschef. Sein Nachfolger wurde Eugen Bolz vom Zentrum, klerikal und konservativ geprägt war auch er kein vielversprechender Ansprechpartner für einen Pakt mit der SPD. Nach den Landtagswahlen vom April 1932 war seine Regierung nur noch geschäftsführend im Amt.8 Was selbst im „demokratischen Musterländle“ Baden in den kurzen Jahren der Weimarer Republik nur un- zureichend und allenfalls ansatzweise gelang, war der Umbau und die überfällige Demokratisierung des Jus- tizapparats. Die Richterschaft blieb eine sozial isolier- te Kaste, die sich lediglich auf die Umsturzgefahr von links konzentrierte, der größeren Gefahr durch Rechts- extremisten jedoch mit komplizenhafter Zurückhal- tung begegnete. Die Mörder das württembergischen Zentrumspolit- kers Matthias Erzberger beispielsweise wurden zwar schnell ermittelt, aber nicht festgenommen. Erzberger hatte als Reichsfi nanzminister maßgeblichen Anteil an 7 8 Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen um die „Schwäbische Tagwacht“, der ein- fl ussreichsten SPD-Parteizeitung im deutschen Südwesten. Die „Tagwacht“ hatte sich auch nach Kriegsbeginn nicht von ihrem kriegskritischen und antimilitaristischen Kurs abbrin- gen lassen, woraufhin der württembergische SPD-Landesvorstand den Landtagsabgeord- neten Wilhelm Kreil als Chefredakteur bestellte, um das Blatt auf Kriegskurs zu bringen. Die linkssozialistischen Redakteure, darunter Jacob Walcher und Arthur Crispien, wurden entlassen. Vgl. Weber/Wehling, Geschichte Baden-Württembergs, S. 82ff ; Schnabel, Geschichte von Baden und Württemberg, S. 85ff . Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Bolz für mehrere Monate auf dem Hohenasperg inhaftiert. Später knüpfte er Kontakte zum konservativen Widerstand um Carl Goerdeler. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er erneut verhaftet und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt. politik und wirtschaft 1918–1933 F 15 E

politik und wirtschaft 1918–1933 Als Arbeit fast nichts mehr wert war – In- fl ationsgeld verlor seinen Wert schnel- ler, als man einkau- fen konnte. F 16 E der Stabilisierung der Währung nach der Hyperinfl ation und war den Rechtsextre- men verhasst, weil er nach dem Krieg die Verantwortung auf sich genommen hat- te, das Waff enstillstandsabkommen von Compiègne zu unterzeichnen. Seine Mör- der fl ohen aus Deutschland, kamen im Dritten Reich zurück und wurden in der neu gegründeten Bundesrepublik zwar zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, nach kurzer Zeit aber wieder entlassen.9 Während sich die politische Lage besonders in Baden fast bis zum Ende als stabil er- wies und die Regierungen handlungsfähig waren, war die wirtschaftliche Entwick- lung durch eine zermürbende Aneinanderreihung von Krisen und Problemen ge- kennzeichnet, die nur von kurzen Erholungsphasen unterbrochen wurde. Der von Politikern aller Richtungen in seltener Einhelligkeit abgelehnte Versailler Vertrag mit seinen exorbitant hohen Reparationslasten lähmte die Wirtschaft; diese konn- ten von der deutschen Außenpolitik nur schrittweise und im Konsens mit den Alli- ierten abgemildert werden, eine Politik, die den verantwortlichen Demokraten von rechts den Vorwurf des Vaterlandverrats und von links den Vorwurf des Verrats der Arbeiterklasse an den „Ententekapitalismus“10 einbrachte. Besonders hart von den Versailler Friedensbedingungen betroff en wurde das Grenz- land Baden, „weil die entmilitarisierte Zone entlang des Rheins Unternehmen ab- wandern ließ und Neuinvestitionen hemmte.“11 Zugleich fi el das benachbarte El- sass-Lothringen, das von Deutschland nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 gegen den Willen der Bevölkerung annektiert worden war, wieder an Frankreich zurück. In den Jahren 1922/23 steigerte sich die schon in der Kriegszeit zu beobachtende Geldentwertung ins Groteske. Unter dem Druck der Infl ation rutschten die ohne- Geldentwertung ins Groteske. Unter dem Druck der Infl ation rutschten die ohne- hin bescheidenen Löhne der Nachkriegsjahre noch einmal ab. Die Hyperinfl ation traf auch die Gewerk- schaften ins Mark. Und als im Januar 1923 franzö- sische und belgische Truppen als „Pfand“ für ent- gangene Reparationsleistungen das Ruhrgebiet be- setzten, brachten sie neben Off enburg auch die Karlsruher und Mannheimer Rheinhäfen unter ih- re Kontrolle, die damit als wichtige Umschlagplätze ausfi elen.12 Die mittleren Jahre der Weimarer Republik waren dann auch in Baden und Württemberg eine kurze Pe- riode wirtschaftlicher Erholung und sozialer Fort- Vgl. Christopher Dowe, Matthias Erzberger. Ein Leben für die Demokratie, Stuttgart 2011. 9 10 Entente: Bündnis der Kriegsgegner Deutschlands im Ersten Weltkrieg 11 Weber/Wehling, Geschichte Baden-Württembergs, S. 88. 12 Ebd., S. 89.

schritte. Trotz vieler Rückschläge konnte die Arbeiterschaft in einem Klima relativer politischer und wirtschaftlicher Stabilität eine ganze Reihe tarif- und sozialpoliti- scher Verbesserungen verbuchen, ohne dass die Unterbeschäftigung gerade auch in der Metallindustrie jemals vollständig überwunden werden konnte. Das Jahr 1927 brachte mit dem „Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ (AVAVG) einen von SPD und einem parteiübergreifenden Bündnis gewerkschaftli- cher Politiker schwer erkämpften politischen Fortschritt. Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit Doch schon 1928 zeigten sich in Deutschland erste Anzeichen für einen Konjunk- tureinbruch, der 1929 in einen dramatischen, historisch beispiellosen Schrump- fungsprozess der Wirtschaft überging. Eine Spirale von Produktionsrückgang, Ar- beitsplatzeinbußen und schwindender Nachfrage führte in den frühen 1930er-Jah- ren zu einem geradezu explosionsartigen und psychologisch niederschmetternden Anstieg der Arbeitslosenzahlen. 1929 hatten die Arbeitsämter im Durchschnitt be- reits 1,9 Millionen Erwerbslose registriert, im Folgejahr waren es 3,07 Millionen, 1931 4,5 und 1932 5,2 Millionen Arbeitslose. Zu ihnen muss noch einmal diesel- be Zahl von Kurzarbeitern hinzuge- rechnet werden, deren Arbeitsvolu- men in vielen Fällen nahe dem Null- punkt lag. Auch der deutsche Südwesten wurde von der Rezession mit voller Wucht getroff en, wobei das Land Baden deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde als Württemberg.13 0 0 0 5 7 1 . Württemberg ging mit einer deutlich geringeren Sockelarbeitslosigkeit in die Krise als Baden. Die verheeren- den Folgen der Depression schlugen auf die weithin ländlich geprägten württembergischen Gebiete weniger katastrophal durch als im Reichsdurchschnitt, zumal der auch bei den Industriearbeitern immer noch verbreitete landwirtschaftli- che Nebenerwerb Arbeitsplatzverluste bis zu einem gewissen Grade abfedern konn- 0 0 0 9 1 1 . 13 Nebenstehende Grafi k: Arbeitslosigkeit, gemeldete Arbeitslose und Arbeitslosenquote (berechnet nach der Zahl der Krankenkassenmitglieder) nach Willi A. Boelcke, Sozialge- schichte Baden-Württembergs 1800-1989, Stuttgart 1989, Tab. 79, S. 396; ergänzt durch Hansmartin Schwarzmaier, Gerhard Taddey, Dieter Mertens, Handbuch der baden-würt- tembergischen Geschichte, Band 5, Stuttgart 2007, S. 21. politik und wirtschaft 1918–1933 Auch wenn es andernorts im Deutschen Reich noch schlimmer war: 1932 betrug die Arbeitslosen- quote in Baden 27,7 Prozent, in Württemberg waren es „nur“ 20,8 Prozent. 0 0 5 7. 1 0 0 8 2 . F 17 E

politik und wirtschaft 1918–1933 4 7 1 . 9 1 5 2 3 . 3 1 3 8 9 . 9 6 1 2 . 8 Dezember 1930 Januar 1932 Oktober 1928 Dezember 1929 Wer in der Metall-Branche arbeitete, war stark von Arbeits- losigkeit bedroht – Beispiel für die Arbeitskräfte- entwicklung in 65 Karlsruher Betrieben. te. Besonders stark von der Krise betroff en wurde in beiden Län- dern die Metallindustrie. In Karlsruhe beispielsweise sank die Zahl der Beschäftigten in 65 beobachteten Betrieben von 19.174 am 15. Oktober 1928 über 13.325 am 15. Dezember 1929, 9.983 am 15. Dezember 1930 auf 8.216 am 15. Januar 1932.14 In Baden war am 31. Januar 1933 fast jeder fünfte Arbeitslose zuvor in der Metallin- dustrie beschäftigt gewesen. Auch in Württemberg wurden in den Daimler- und Benz-Werken massenhaft Beschäftigte entlassen.15 Die unter den Arbeitslosen vorherrschende verzweifelte Stimmung beschrieb der Vorstand des gewerkschaftlichen Deutschen Metal- larbeiter-Verbands (DMV), des direkten Vorläufers der IG Metall, in seinem Jahr- und Handbuch für 1931: „Die Leiden der Arbeitslosen sind unermesslich. Der Verlust an äußerem Lebensglück, der Kampf mit der wirtschaftlichen Not ist dabei nicht einmal das Schlimmste. Die Zerstörung körperlicher, geistiger und sittlicher Arbeitskraft und damit des inneren Lebensglücks der Arbeitslosen und ihrer Angehö- rigen ist entsetzlich. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, des- to mehr steigert sich die Depression und Passivität, die Krimi- nalität wächst in bedrohlichem Maße“.16 Insbesondere bei den von der Arbeitslosigkeit im Metallbereich noch stärker als ih- re älteren Kollegen betroff enen Jungarbeitern führten wirtschaftliche Perspektivlo- sigkeit und Trostlosigkeit zudem zu einer politischen Radikalisierung, die sich auch im Südwesten in einem verstärkten Zulauf zur KPD manifestierte. 14 Angaben nach IG Metall, VSt. Karlsruhe (Hg.), Unser die Zukunft, Dokumente zur Ge- schichte der Arbeiterbewegung in Karlsruhe 1845-1952, bearbeitet und eingeleitet von Wolfgang Glaeser, Heilbronn 1991, S. 154. 15 Ebenda. 16 Zitiert nach IG Metall, VSt. Karlsruhe (Hg.), Unser die Zukunft, S. 155. F 18 E

kapitel F 19 E II. Der Deutsche Metallarbeiter-Verband und die Gewerkschaftsbewegung in Baden und Württemberg Unmittelbar nach dem Auslaufen der „Sozialistengesetze“ fand vom 1. bis 6. Juni 1891 ein allgemeiner Metallarbeiterkongress in Frankfurt am Main statt. Der Deutsche Metallarbeiter-Verband wurde gegründet und zum Gewerkschaftssitz Stuttgart bestimmt. Mit der Gründung einer In- dustriegewerkschaft nahmen die Metallarbeiter dabei eine Vorrei- terrolle in der gesamten Gewerkschaftsbewegung ein. Bis zum Vor- abend des Ersten Weltkriegs entwickelte sich der Deutsche Metall- arbeiter-Verband (DMV) zur mit Abstand größten Einzelgewerk- schaft im Lager der sozialdemokratisch/sozialistisch orientierten Ge- werkschaften, die sich ebenfalls 1891 in der „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ zusammengeschlossen hatten.

blick zurück: historische dokumente Verbesserung der Arbeitsverhältnisse Die Tätigkeit zur Erringung besserer Arbeitsverhältnisse sowie zur Verhinderung von ir- gendwelchen Verschlechterun- gen war in diesem Jahre sehr rege, und insofern glücklicher, als sehr viel Bewegungen ohne jeden Streik durchgeführt wer- den konnten. Die Stellung der Unternehmer- organisation unseren Bestre- bungen gegenüber war wenig geändert. Von den Unternehmerverbänden und ihrer Presse wurde auch gegen die winzigsten Forderungen scharf gemacht, und dann erst klein beigegeben, wenn der Erfolg der Arbeiter unbestritten war. Der Widerstand der Unternehmer und auch der Deutschen Arbeitgeber- zeitung richtete sich vornehmlich gegen den Abschluss von kollektiven Arbeitsverträgen, angeblich, weil von diesen Arbeitsverträgen lediglich nur der Arbeiter den Nutzen, der Unternehmer aber den Schaden hätte. 110 Jahre alt ist dieser Text – er enstammt dem ersten Jahrbuch des 1891 gegründeten Verbands. Doch die Inhalte kommen einem gewerkschaftlich interessierten Menschen von 2013 so sonderbar vertraut vor: Bessere Arbeitsbedingungen, Abwehr von Rückschrit- ten und erst recht der Flächentarifvertrag stehen nach wie vor ganz oben auf der Tagesordnung … F 20 E

der dmv in baden und württemberg Der neunte Bezirk: So umständlich las sich die räumliche Beschreibung der Vorgänger-Region des heutigen Bezirks Baden-Württemberg der IG Metall. F 21 E Struktur und Mitgliederbewegung des DMV 1913, im letzten Friedensjahr vor dem Ersten Weltkrieg, zählte der DMV im Jah- resdurchschnitt 544.934 Mitglieder. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wa- ren zur organisatorischen Betreuung der Mitglieder zunächst zehn Bezirke gegrün- det worden; der Bezirk Stuttgart umfasste dabei die Länder Württemberg und Ba- den, dazu die Rheinpfalz mit der Arbeiterhochburg Ludwigshafen sowie Hohenzol- lern-Sigmaringen, das zu Preußen gehörte. Im Kaiserreich hatte zudem Elsaß-Loth- ringen zum Stuttgarter Bezirk gezählt.17 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verzeichneten die Gewerkschaften zunächst einen regelrechten Ansturm auf ihre Organisationen, der die Mitgliedszahl des DMV bis 1922 über 1,6 Millionen ansteigen ließ. In den folgenden Jahren gingen jedoch über die Hälfte der Mitglieder wieder verloren (1926: 675.398 Mitglieder), ehe die nun folgenden wirtschaftlichen Erholungsjahre sich in neuerlichen Organisations- gewinnen niederschlugen (1929: 965.443 Mitglieder). Die Weltwirtschaftskrise führte dann auch beim DMV zu massiven Mitgliederverlusten, die den Mitglieder- bestand vermutlich unter die 600.000-Marke und damit fast wieder auf Vorkriegs- niveau drückten.18 Die Mitgliederentwicklung im Stuttgarter DMV-Bezirk entwickelte sich parallel zu derjenigen auf Reichsebene. 1913 waren in Württemberg 24.954, in Baden 20.202 und in der Pfalz 6.228 Metaller (und auch einige Metallerinnen) organisiert. 1922 erreichte die Zahl der organisierten Metaller auch im Südwesten ihren Höchstwert 17 Nach kontroverser Debatte war die 5. Generalversammlung des DMV 1901 dem Vorschlag des Vorstandes gefolgt, dass die Bezirksleiter von diesem zu ernennen (und nicht etwa von den Mitgliedern zu wählen) seien. vgl. IG Metall, Vorstand (Hg.), 100 Jahre Industriege- werkschaft 1891 bis 1991, Frankfurt am Main 1991, S. 118f. 18 Angaben nach ebd., S. 598. 1932 hatte der DMV noch 690.497 Mitglieder; unter Berück- sichtigung der 1929 einsetzenden Abschwungstendenz dürfte die Mitgliedszahl im Mai 1933 deutlich unter 600.000 gelegen haben.

der dmv in baden und württemberg Mitgliederentwicklung im Bezirk Stuttgart des Deutschen Metallarbeiter- Verbands (DMV) 1913 bis 1933 F 22 E (82.251 in Württemberg, 75.201 in Baden und 28.788 in der Pfalz). Es folgte wie im Reich bis in die Mitte der 1920er-Jahre ein jäher Abschwung und daran anschlie- ßend ein neuerlicher Anstieg bis 1929. Die Not der Weltwirtschaftskrise verminder- te dann auch im Südwesten wiederum die Zahl der Mitglieder auf 27.378 in Würt- temberg, 18.917 in Baden und 11.950 in der Pfalz im Jahr 1932. Von den in diesem Jahr insgesamt rund 690.000 organisierten Metallern kamen also rund 68.000 aus dem Bezirk Stuttgart. Spitzenreiter in Bezug auf die Mitgliedszahl war Stuttgart, wo auf dem Höhepunkt des Mitgliederbooms mehr als 25.000 Mitglieder organisiert waren. Auf über 10.000 Mitglieder brachten es einige Zeit lang danach die badi- schen Verwaltungsstellen in Karlsruhe, Mannheim und Pforzheim.19 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 Neben dem DMV spielten der „Christliche Metallarbeiter-Verband“ (CMV) und der sozial-liberale „Hirsch-Dunckersche-Gewerksverein Deutscher Metallarbeiter“ im Metallbereich nur eine untergeordnete Rolle. Dem CMV dürften 1933 noch et- wa 100.000 Mitglieder die Treue gehalten haben, dem Gewerkverein der Metaller reichsweit vielleicht etwas über 60.000.20 Berücksichtigt man die Kräfteverhältnis- se zwischen den drei Richtungsgewerkschaften in der Metallindustrie, so dürfte es 1933 in Baden und Württemberg um die 8.000 christliche Gewerkschafter und in et- wa 5.000 „Hirsche“ gegeben haben. 19 Alle Angaben nach Peter Scherer/Peter Schaaf (Hg.), Dokumente zur Geschichte der Arbei- terbewegung in Württemberg und Baden 1848–1949, Stuttgart 1984, S. 697–703. 20 Vgl. IG Metall, Vorstand (Hg.), 100 Jahre IG Metall, S. 598. Zur Geschichte der christlichen Gewerkschaftsbewegung vgl. allgemein Michael Schneider, Die christlichen Gewerkschaf- ten 1894–1933, Bonn 1982.

der dmv in baden und württemberg Die im Januar 1933 genannten Standorte des Neunten Bezirks des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (Baden, Württemberg-Hohenzollern und einige Teile der Pfalz), der mit einigen Ausnahmen dem heutigen Bezirk Baden-Württemberg der IG Metall entspricht. Worms Zweibrücken Ludwigs- hafen Mannheim Pirmasens Heidelberg Landau Bruchsal Bretten Karlsruhe Ettlingen Pforzheim Rastatt Gaggenau Bühl Achern Renchen Kehl Oﬀenburg Freudenstadt Schramberg Hornberg Lauterbach Oberndorf Mergentheim Schwäbisch Hall Crailsheim Neckarelz Heilbronn Ludwigsburg Waiblingen Schorndorf Stuttgart Untertürkheim Esslingen Aalen Schwäbisch Gmünd Göppingen Heidenheim Kirchheim Geislingen Weil der Stadt Herrenberg Nürtingen Metzingen Tübingen Reutlingen Rottenburg Urach Ulm Schonach Triberg Vöhrenbach St. Georgen Ebingen Trossingen Villingen Furtwangen Freiburg i.Br. Schwenningen Tuttlingen Eisenbach Neustadt Falkau Todtnau Schönau Kandern Zell Schopfheim Wyhlen Lörrach Wehr Rheinfelden Haltigen Säckingen Wutöschingen Waldshut Überlingen Singen-Radolfzell Konstanz Friedrichs- hafen Biberbach Leutkirch F 23 E

der dmv in baden und württemberg Robert Dißmann: Metall-Gewerk- schafter und Kriegsgegner F 24 E Linksschwenk des DMV Am 13. Oktober 1919 trat in Stuttgart die erste Generalversammlung des DMV nach dem Krieg zusammen. Sie geriet zur Generalabrechnung mit der von der DMV-Füh- rung um Alexander Schlicke verfochtenen Burgfriedenspolitik, gegen die sich im Kriegsverlauf eine immer stärkere Opposition formiert hatte. Mit Robert Dißmann wurde nun einer der wichtigsten und schärfsten Opponenten der Kriegspolitik der Gewerkschaftsführung zu einem der nunmehr drei Vorsitzenden gewählt. Die bei- den anderen waren Alwin Brandes, ebenfalls ein Gegner der Burgfriedenspolitik und Georg Reichel, der langjährige zweite Vorsitzende und damit ein Repräsentant der von der Verbandsführung im Krieg verfochtenen politischen Linie.21 Der DMV bekannte sich nach dem Führungswech- sel zum Rätesystem, womit er innerhalb der freige- werkschaftlichen Gewerkschaftsbewegung fast al- leine stand. Nach dem Abebben der Novemberre- volution rückten Dißmann und die Mehrheit der DMV-Funktionäre von der Idee einer sofortigen rä- tedemokratischen Umgestaltung des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems wieder ab, bestanden in- des weiterhin auf einer entschiedenen sozialpoliti- schen Reformpolitik. Zugleich existierte innerhalb des Verbandes weiterhin eine starke linkssozialisti- sche und später auch kommunistische Opposition. Handlungsspielräume und Handlungsfelder der Gewerkschaften in der Weimarer Republik Die Staatsumwälzung im November 1918 und die anschließende Einführung einer parlamentarisch-demokratischen Verfassung – mit der sich die Freien, nunmehr im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) zusammengeschlossenen Ar- beiterorganisationen und auch die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften uneinge- schränkt identifizierten – eröffnete den Arbeitnehmerorganisationen Einflussmög- lichkeiten und Handlungsspielräume, die nur wenige Jahre zuvor gänzlich illuso- risch schienen. 21 Innerhalb des Trios avancierte Dißmann schnell zur prägenden Führungsfigur des DMV. 1922 kehrte er mit der USPD in die SPD zurück, wo er einer der führenden Vertreter des linken Parteiflügels war. Er war sicherlich einer der nicht sehr zahlreichen charismatischen Gewerkschaftsführer in der Weimarer Zeit. Dass er schon 1926 an Herzversagen starb, be- deutete für die gesamte Gewerkschaftsbewegung einen schweren Verlust.

gewerkschaften in der weimarer republik Betriebsräte sollten vom DMV alle 14 Tage mit neuen, erhellenden Informationen versorgt werden. F 25 E Unter dem Druck der militärischen Niederlage und der aufziehenden Revolution waren sie nunmehr von den Unternehmern als gleichberechtigte Gegenspieler bei der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen anerkannt worden. In nahezu al- len Branchen hatten sich (vom DMV zunächst abgelehnte) Zentralarbeitsgemein- schaften (ZAG) aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften gebildet. Selbst zur Einführung des von der Arbeiterbewegung seit Jahrzehnten geforderten Achtstun- dentags erklärten sich die Unternehmerseite in ihrer Revolutionsangst bereit. Darüber hinaus eröffnete die Demokratisierung den Gewerkschaften die Möglich- keit, durch ihre Vertreter in Parteien und Parlamenten in den verschiedensten po- litischen Feldern von der Sozial- bis zur Außenpolitik aktiv zu werden. Und auch auf der betrieblichen Ebene schien es den Gewerkschaften gelungen zu sein, wich- tige Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in gesetzlicher Form zu verankern: Das nach schweren Unruhen und gegen den Widerstand von USPD und den rechtsbürgerlichen Parteien verabschiedete Betriebsrätegesetz vom 4. Febru- ar 192022 legte verbindlich fest, dass in Betrieben ab fünf Beschäftigten eine Ver- trauensperson und ab 20 Beschäftigten ein aus mehreren Personen bestehender Be- triebsrat zu wählen sei. Es sah Mitspracherechte bei Entlassungen und auf sozia- lem Gebiet vor, stellte die Mitwirkungsorgane jedoch zugleich schon im § 1 des Re- gelwerks vor die schwierige Aufgabe, einerseits die „wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer“ wahrzunehmen und andererseits „die Unterstützung des Arbeitge- bers in der Erfüllung der Betriebszwecke“ zu leisten. Das war weit von dem Rätege- danken entfernt, der in den Revolutionsmonaten weite Teile der Arbeiterschaft be- flügelt hatte; gleichwohl bedeutete es doch einen Einbruch in die überkommene „Herr-im-Haus“-Mentalität der Unternehmerschaft. 22 RGBl. 1920, I, S. 147-74.

gewerkschaften in der weimarer republik Im weiteren Verlauf der 1920er-Jahre entwi- ckelten SPD und Freie Gewerkschaften das Konzept der „Wirtschaftsdemokratie“, das einen schrittweisen und friedlichen Über- gang zum Sozialismus durch eine Demo- kratisierung der Wirtschaft vorsah. Zugleich sollte das Genossenschaftswesen ausgebaut und sollten die am stärksten monopolisier- ten Wirtschaftsbereiche nach und nach in die öffentliche Hand übernommen werden. So beschrieb der DMV seine Aufgaben – sich um die Betriebsräte zu kümmern, war einer der wichtigen Punkte. Die sozialreformerischen Regelungen in Verfassung und Gesetzgebung boten den Arbeitnehmerorganisationen ein weites Betätigungsfeld. Sie setzten ihre Hoffnun- gen ganz überwiegend auf eine kontinuierliche Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lage der Beschäftigten im demokratischen „Volksstaat“. Wie schwie- rig dies angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen der kommenden Jahre und angesichts eines Arbeitgeberlagers, das schnell wieder auf einen harten Konfronta- tionskurs einschwenkte, umzusetzen sein würde, sollten die folgenden Jahre aller- dings schnell zeigen.23 Erfolgreicher Generalstreik gegen den Kapp-Putsch Zu Beginn der 1920er-Jahre befanden sich die freien Gewerkschaf- ten hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihres politischen Einflusses auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Als am frühen Morgen des 13. März 1920 unzufriedene Teile der deutschen Armee unter Führung des Generals Freiherr von Lüttwitz und rechtsradikaler Politiker mit dem Rittergutsbesitzer Wolfgang Kapp an der Spitze das Berliner Regierungsviertel besetzten und die meisten Minis- ter der Reichsregierung unter Gustav Bauer zur Flucht ins siche- re Stuttgart zwangen, war es vornehmlich der Initiative der frei- en Gewerkschaften zu verdanken, dass das reaktionäre Abenteu- er durch einen Generalstreik der Arbeiter nach nur wenigen Tagen kläglich in sich zusammenbrach. 1920 erwiesen sich die Gewerkschaften als stark genug, um dem Kapp-Putsch ent- gegenzutreten. Aber sie zeigten sich in den folgenden Jahren als nicht mächtig ge- nug, um ihre gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Reformvorstellungen umzu- setzen. 23 Vgl. zum Folgenden die detaillierte Darstellung der Arbeiterbewegung in der Inflationszeit von Heinrich August Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiter- bewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/Bonn 1984. F 26 E

gewerkschaften in der weimarer republik Der Kampf um den Achtstundentag Obgleich die Gewerkschaften die Machtprobe gegen die Rechtsputschisten für sich entscheiden konnten: Insbesondere in der Arbeitszeitfrage gerieten sie schnell wie- der in die Defensive, auch der DMV. 1919 konnten die bayerischen Metallarbeiter noch die 44-stündige Arbeitswoche per Tarifvertrag erkämpfen – ein Erfolg, der auf das ganze Reich ausstrahlte, in dem die 48-Stunden-Woche üblich war. Allerdings brachten bereits die folgenden beiden Jahre neue Steigerungen der Ar- beitszeit. Vom 21. Februar bis Ende Mai 1922 streikten die Metallarbeiter in den wichtigsten Orten der bayerischen Metallindustrie, um zumindest die im auslaufen- den Tarifvertrag festgesetzte 46-Stunden-Woche zu erhalten. Die Unternehmer ver- langten die 48-Stunden-Woche. Der erbittert ausgefochtene Arbeitskampf erfasste auch Württemberg und Baden sowie das Gebiet um Frankfurt am Main, da die Un- ternehmer mit umfangreichen Aussperrungen reagierten. In Süddeutschland waren auf dem Höhepunkt des Ausstandes 205.000 Arbeiter im Streik oder ausgesperrt und das Unterstützungssystem des DMV – trotz einer Hilfsaktion des ADGB und der ihm angeschlossenen Verbände – heillos überbeansprucht. Nach 13 Wochen heftiger Gegenwehr musste sich der Deutsche Metallarbeiter-Ver- band geschlagen geben. Die Arbeitszeit wurde nun auch im Süden und Südwesten wieder auf 48 Stunden aufgestockt.24 Ideal und Alltag blie- ben noch für lange Zeit weit auseinander: In den 1920er-Jahren gab es wie hier bei Daimler in Untertürkheim keinen Achtstundentag. 24 Einen guten Überblick gibt Wolfgang Glaeser, Metaller am See. Zur Geschichte der Ge- werkschaften in Oberschwaben bis 1933 (herausgegeb. von der IG Metall, VSt. Friedrichs- hafen, Freiburg 1993, S. 132ff. F 27 E

gewerkschaften in der weimarer republik F 28 E Als Nachspiel des Kampfes der Metallarbeiter wurden zahlreiche am Streik Beteilig- te mit Anklagen wegen Landfriedensbruches überzogen; die Weimarer Justiz zeig- te einmal mehr, dass sich Unternehmer und Wirtschaftsverbände auf sie verlassen konnten.25 „Ruhrkampf“ und Hyperinflation Schon im folgenden Jahr wurden die Arbeitnehmerorganisationen in den „Ruhr- kampf“ und die von ihm mit ausgelöste Hyperinfl ation hineingerissen. Französi- sche und belgische Truppen hatten größere Bereiche im Ruhrgebiet besetzt, um ih- re Ansprüche aus dem Friedensvertrag von Versailles zu erzwingen – spätestens seit Deutschland sich nach dem Sieg im 1870/71er-Krieg maßlos am damals unter- legenen Frankreich bereichert hatte, besaß die „Erbfeindschaft“ auch eine eindeu- tig ökonomische Komponente. Am 24. Januar 1923 stimmte der ADGB gegen den Widerstand des DMV dem „Ruhr- hilfeabkommen“ zu, mit dem Gewerkschaften und Unternehmer den mittlerwei- hilfeabkommen“ zu, mit dem Gewerkschaften und Unternehmer den mittlerwei- le ausgerufenen „passiven Widerstand“ le ausgerufenen „passiven Widerstand“ von Behörden und Bevölkerung gegen von Behörden und Bevölkerung gegen die Besatzer an der Ruhr unterstütz- die Besatzer an der Ruhr unterstütz- ten. Die Reichsregierung sabotier- ten. Die Reichsregierung sabotier- te die eigene Wirtschaft; sie förder- te die eigene Wirtschaft; sie förder- te fl ächendeckende Streiks, in- dem sie die Löhne der untätigen Arbeiteter bezahlte. Der „Ruhr- kampf“ ruinierte die durch den Krieg ohnehin aufgezehrten Staats- Krieg ohnehin aufgezehrten Staats- fi nanzen endgültig und trieb die Geldent- fi nanzen endgültig und trieb die Geldent- wertung in schwindelerregendem Tempo nach wertung in schwindelerregendem Tempo nach oben. Angesichts dieser Hyperinfl ation bestand die Tä- oben. Angesichts dieser Hyperinfl ation bestand die Tä- tigkeit der Gewerkschaften fast nur noch aus Lohnverhand- tigkeit der Gewerkschaften fast nur noch aus Lohnverhand- lungen, die in immer kürzeren Abständen und schließlich nahezu lungen, die in immer kürzeren Abständen und schließlich nahezu im Tagesrhythmus stattfanden. Die Stuttgarter Bezirksleitung musste sich eingestehen, „dass trotz aller Überanstrengung wir bis zu einem gewissen Grade machtlos gegen die sich verschlechternde Wirtschaftslage und die fortschreitende Infl ation ankämpften […].“26 25 Vgl. den „Bericht des Vorstandes des DMV über den Streik zur Verteidigung der 46-Stun- den-Woche in der süddeutschen Metallindustrie“, abgedruckt in Scherer/Schaaf, Doku- mentate, Dok. 96, S. 323-325 (Auszug). 26 Vgl. den „Bericht der Leitung des 9. Bezirks (Stuttgart) des DMV über die Auswirkungen der Infl ation, abgedruckt in: Scherer/Schaaf, Dokumente, Dok. 99, S. 329.

Goldene Jahre? Nach der erfolgreichen Bekämpfung der Hyperinfl ation kam es auch in Baden und Württemberg zu einer langsamen Erholung der Wirtschaft. Wie prekär die Lage ge- rade in der Metallindustrie weiterhin blieb, dokumenierte die Stuttgarter Bezirkslei- tung in ihrem Bericht über das Jahr 1926: „Das Jahr 1926 war in Bezug auf die Wirtschaftslage das schlechteste, welches wir wohl jemals zu verzeichnen hatten. Die Wirtschaftskrise, die im August 1925 in unserem Bezirk einsetzte, verschärfte sich von Monat zu Monat, um dann ab August 1926 im Beharrungszustand zu bleiben. […] Parallel mit der Verschlechterung der Wirtschaftslage stieg die Zahl der arbeitslosen Kollegen und Kurzarbeiter, stieg die Zahl der stillgelegten Betriebe. Im Januar 1926 wa- ren nach einer von uns aufgenommenen Statistik von den Mitgliedern 19,32 Prozent arbeitslos, daneben hatten wir rund 48 Prozent Kurzarbeiter.“27 Nur ein Drittel der DMV-Mitglieder im Bezirk war mithin vollzeiterwerbstätig. Dabei betraf die Krise in erster Linie die Automobilindustrie und ihre Zulieferer, die sich mittlerweile zu einem Schlüsselsektor der deutschen Wirtschaft entwickelt hatten. Aber auch der Waggonbau, die Schmuckindustrie und die Uhrenindustrie waren überproportional betroff en. In die Höhe getrieben wurde die Arbeitslosigkeit nun durch die in den Unternehmen auf breiter Front durchgeführten Rationalisierungs- 27 Bericht der Leitung des 9. Bezirks (Stuttgart) über die Krise 1925/26 (sog. Rationalisie- rungskrise), in: Scherer/Schaaf, Dokumente, Dok. 105, S. 342. gewerkschaften in der weimarer republik Die Arbeit von Maschinen brachte Entlastung von kör- perlichem Schuften – und verringerte den Bedarf an Arbeits- kräften. F 29 E

gewerkschaften in der weimarer republik maßnahmen, die die Produktivität in die Höhe trieben. Der DMV und die übrigen Gewerkschaften standen dem zunächst positiv gegenüber, erhoff ten sie sich von der Rationalisierung doch eine Entlastung der Beschäftigten und vor allem eine Verkür- zung der Arbeitszeiten und höhere Löhne. Dies ließ sich jedoch gegen immer hals- starrigere Unternehmerverbände immer weniger durchsetzen.28 Die Gewerkschaften und der DMV in der Weltwirtschaftskrise Vor diesem Hintergrund gerieten die Gewerkschaften vollends in die Defensive. Die ADGB-Organisationen forderten im Oktober 1930 die sofortige Einführung der 40-Stunden-Woche zur Sicherung und „gerechten“ Verteilung der (noch) vor- handenen Arbeitsplätze. Eine im Frühjahr 1932 spät gestartete freigewerkschaftli- che Kampagne für ein großangelegtes, kreditfi nanziertes Arbeitsbeschaff ungspro- gramm („WTB-Plan“29) lief ins Leere, da die politischen Partner für eine Umsetzung dieser Pläne fehlten und auch in der SPD die Meinung weit verbreitet war, dass der Staat durch Arbeitsbeschaff ungsmaßnahmen keine Arbeitsplätze schaff en könne.30 Immer wieder diese Adler: Ein stolzer Wappenvogel hätte er sein sollen, der Reichsadler der Weimarer Republik, des ersten Versuchs eines großen demokratischen Staats auf deutschem Boden. Doch die Verfassung, für die er stand, war am Ende für die Katz’, weil sie im entscheidenden Moment nicht von ihren Bürgerinnen und Bürgern verteidigt wurde. 28 Vgl. ebd., S. 342f. 29 Das ADGB-Programm zur Überwindung der Wirtschaftskrise wurde nach den Initialen sei- ner geistigen Urheber – Wladimir Woytinski, Fritz Tarnow und Fritz Baade – benannt. 30 Vgl. Michael Schneider, Kleine Geschichte der Gewerkschaften, Berlin, 2000, S. 212ff . F 30 E

III. Aufstieg und Machtübernahme der NSDAP im deutschen Südwesten Im März 1930 zerbrach die amtierende Große Koalition unter dem sozialdemokra- tischen Reichskanzler Hermann Müller im Streit um die Finanzierung der Arbeits- losenversicherung. Bei der folgenden Reichstagswahl im September des Jahres stei- gerten die Nationalsozialisten die Zahl ihrer Sitze von 12 auf 107 und wurden da- mit zweitstärkste Fraktion im Reichstag. Es folgte eine Reichsregierung unter Füh- rung des Zentrums-Politikers und christlichen Gewerkschaftspolitikers Heinrich Brüning, die von der SPD toleriert wurde und die die Ära der halbdemokratischen „Präsidialkabinette“ einläutete.31 Woher waren die Mandate der Nazis gekommen? Entgegen der in der zeitgenössi- schen Publizistik häufig vertretenen These, die Hitler-Partei sei im Kern eine Be- wegung ressentimentgeleiteter (Klein-)Bürger und Bauern gewesen, hat sich in der jüngeren Forschung ein differenzierteres Bild durchgesetzt. Demnach kamen die NSDAP-Wähler aus allen Bevölkerungsschichten. „Sie war eine ‚Volkspartei des Protestes‘, wenn auch mit ‚Mittelstandsbauch‘.“32 Als verhältnismäßig wenig verführbar erwiesen sich allerdings, auf ganz Deutsch- land bezogen, der organisierte Teil der Arbeiterschaft und das katholische Milieu. In Anbetracht dieser generell sicherlich zutreffenden Befunde wären größere Erfol- ge der NSDAP im überwiegend protestantischen Württemberg als im stärker katho- 31 Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in den Krisenjahren der Weimarer Republik vgl. die ausführliche Darstellung von Heinrich August Winkler, Der Weg in die Katastrophe, Arbei- ter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Berlin/Bonn 1987 so- wie Hans-Gerd Schumann, Nationalsozialismus und deutsche Gewerkschaftsbewegung. Die Vernichtung der deutschen Gewerkschaften und der Aufbau der „Deutschen Arbeits- front“, Hannover und Frankfurt am Main, 1958. Brüning regierte, gestützt auf den ur- sprünglich für den Ausnahmezustand vorgesehenen Artikel 48 der Weimarer Reichsverfas- sung, mithilfe sogenannter „Notverordnungen“, die von Reichspräsident Paul von Hinden- burg erlassen wurden. Der Reichstag hatte aber immer noch die Möglichkeit, diese Notver- ordnungen außer Kraft zu setzen. 32 Weber/Wehling, Kleine Geschichte Baden-Württembergs, S. 92. kapitel Bilder wie dieses vom 1. Mai 1933 in Schwä- bisch Hall haben eine Vorgeschichte. Die hier der NSDAP zujubeln, waren nicht „plötzlich da“, sondern haben eine Entwicklung bis dahin durchlaufen. F 31 E

machtübernahme der nazis im südwesten F 32 E R e i c h s t a g s w a h l 1 9 3 0 43,9 % NSDAP-Wähler/innen 45,4 % NSDAP-Wähler/innen 42,0 % NSDAP-Wähler/innen 18,3 % 19,2 % NSDAP-Wähler/innen NSDAP-Wähler/innen 9,4 % NSDAP-Wähler/innen R e i c h s t a g s w a h l 1 9 3 3 ganz Deutschland Baden Württemberg ganz Deutschland Baden Württemberg lischen und auch stärker industrialisierten Baden zu erwarten gewesen. Tatsächlich war es genau umgekehrt. Bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 er- zielte die NSDAP im Reichsdurchschnitt 18,3 Prozent der Stimmen. In Württemberg blieb sie mit nur 9,4 Prozent weit dahinter zurück, während sie in Baden mit 19,2 Prozent knapp darüber lag. Dieses Muster bestätigte und verfestigte sich in den fol- genden Landtags- und Reichstagswahlen. Erst bei der letzten „halbfreien“ und vom Terror gegen Demokraten und Kommunisten schon geprägten Reichstagswahl am 5. März 1933 trumpften die Nazis in beiden Ländern mit annähernd gleichen Er- gebnissen auf, ohne dass die Differenz vollständig verschwunden war (Baden: 45,4 Prozent, Württemberg: 42,0 Prozent). Als Erklärung bieten sich eine Reihe regionaler Besonderheiten an: Zum einen, und dies dürfte der entscheidende Faktor gewesen sein, schlug die Weltwirtschaftskrise in Württemberg deutlich weniger stark durch als in Baden. 1932 wurden in Würt- temberg im Jahresdurchschnitt 119.412 Arbeitslose ermittelt, in Baden bei etwas kleinerer Bevölkerungszahl 174.688.33 Weitere Faktoren waren wohl der Pietismus und die Integrationskraft des in den ländlichen Gebieten Württembergs tief ver- wurzelten „Württembergischen Bauern- und Weingärtnerbundes“, der von antise- mitischen und republikfeindlichen Stereotypen alles andere als frei war, für den aber eine Zusammenarbeit mit den eher städtischen und vor allem „heidnischen“ „Nazi-Sozis“ zunächst nicht in Betracht kam.34 Schließlich hemmten in Württemberg Machtkämpfe zwischen den Nazigrößen Murr und Mergenthaler die Entwicklung. In Baden hingegen hatte sich Robert Wagner, ein Parteigenosse Hitlers der ersten Stunde und einer der in seinem Rassenwahn brutalsten Naziführer, schon Mitte der 1920er-Jahre als die unangefochtene Num- mer eins der Partei etabliert. Wagner, der übrigens seinen wenig heldisch klingen- den Geburtsnamen Backfisch früh abgelegt hatte, baute in Baden einen effizien- ten Partei- und Propagandaapparat der NSDAP auf, der den Nazis im demokrati- schen Musterländle bereits bei den Landtagswahlen 1929 einen ersten Erfolg be- schert hatte.35 33 Angaben nach Schnabel, Geschichte von Baden und Württemberg, S. 106. Baden hatte 1933 2,41 Millionen, Württemberg 2,70 Millionen Einwohner (ebd., S. 99). 34 Vgl. Weber/Wehling, Kleine Geschichte Baden-Württembergs, S. 92f. Nach der NS-Macht- übernahme zierte sich die württembergische Bauernpartei dann allerdings keinen Mo- ment, sich den neuen Herren umgehend als Bündnispartner anzudienen, vgl. Sauer, Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus, Ulm 1975, S. 33. 35 Bei der badischen Landtagswahl vom 27. Oktober 1929 war die NSDAP auf 7,0 Prozent der Stimmen gekommen; Angabe nach Schnabel, Geschichte von Baden und Württemberg, S. 102.

die gelähmte arbeiterbewegung IV. „Sichert die Wahlen“: Die gelähmte Arbeiterbewegung In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus versuchte der DMV – wie die übrigen Freien Gewerkschaften auch – in zahlreichen Artikeln den „demago- gischen“ Charakter dieser „Bewegung“ zu entlarven. Dass eine auf unerfüllbaren Versprechungen aufbauende politische Formation, deren hasserfüllte Ideologie alle Probleme dieser Welt dem „bolschewistischen Judentum“ in die Schuhe schob und mit brutaler Gewalt gegen Andersdenkende vorging, auf Dauer Erfolg haben sollte, schien gerade den auf Reform und Vernunft setzenden Gewerkschaftsvertretern un- denkbar. Im Kampf gegen die Feinde der Republik waren die Gewerkschaften – und dies ist gegen wohlfeile nachträgliche Kritik immer in Rechnung zu stellen – ganz erheblich durch den mit der Arbeitslosigkeit einhergehenden gravierenden Schwund an Mit- gliedern und Beitragszahlern geschwächt. Anfang der 1930er-Jahre hatte sich auch der DMV in einem erschreckenden Ausmaß in eine Organisation von Arbeitslosen und Kurzarbeitern verwandelt, deren politische Widerstandskraft und Kampagnefä- higkeit erheblich eingeschränkt war. Die Spaltung im Lager der Gewerkschaften Am Vorabend der Weltwirtschaftskrise wurde die Schlagkraft der betrieblichen In- teressenvertretung zudem durch die nun auch auf die Belegschaften erneut durch- schlagenden Konflikte und Feindseligkeiten innerhalb der Arbeiterschaft fatal be- einträchtigt. Hatten sich kommunistische und sozialistische Arbeiter innerhalb des DMV bis gegen Ende der 1920er-Jahre noch auf gemeinsame Listen für die Betriebs- ratswahlen einigen können, formierte sich, nach einem politischen Schwenk der Berliner KPD-Zentrale hin zu einer ultralinken Verweigerungspolitik, mit der Re- volutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) eine parteiorthodox-kommunistische Konkurrenz auch zum DMV. Die christlichen und (liberalen) Hirsch-Dunckerschen Verbände spielten in Baden und Württemberg nach wie vor nur auf lokaler Ebene zuweilen eine bedeutendere Rolle.36 36 Im deutschen Südwesten hatte der Christliche Metallarbeiterverband besonders in Ober- schwaben noch verhältnismäßig gefestigte organisatorische Strukturen; vgl. allgemein Glaeser, Metaller am See (gesamt). Allgemein lag der Schwerpunkt der Organisation in den industrialisierten katholischen Gebieten der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen. F 33 E

e tt e ! O P K Selber Verräter! R G O ! S o z i a u a s k o M USPD n a ri o a l f e r M s c h i s t ! Verräter! s u k a t r a p S die gelähmte arbeiterbewegung „Durch Deutschland geht ein tiefer Riss“, beklagte Kurt Tu- cholsky 1919 in der Zeitschrift „Weltbüh- ne“. Leider zeigte sich, das es nicht nur ein Riss war … Mit dem Linksschwenk der KPD und der Gründung der RGO wurde die innerhalb des DMV bereits zuvor alles andere als konfl iktfrei weitgehend bewahrte Einheit der Gewerkschaftsbewegung untergraben. KPD und RGO sahen nun in den etab- lierten Gewerkschaften und in der SPD den mit allen Mitteln zu bekämpfenden „so- zialfaschistischen“ Hauptfeind der Arbeiterklasse. KPD-Gewerkschaftsmitglieder, die sich 1928 im Vorfeld der Betriebsratswahlen geweigert hatten, auf einer sepa- raten „roten“ Liste zu kandidieren, wurden aus der Partei ausgeschlossen. Das be- traf auch die traditionell kommunistisch geführte Stuttgarter Ortsverwaltung, de- ren Erste und Zweite Bevollmächtigte, Simon Kraus und Ernst Dangel, stets für eine „Einheitsfront“ der Arbeiterparteien geworben hatten und die innerhalb des DMV den kommunistischen Flügel der Arbeiterbewegung repräsentiert hatten. Dangel und Kraus schlossen sich nun der KPD-Opposition (KPO) an, die sich 1929 um Au- gust Thalheimer und Heinrich Brandel gegründet hatte. Die Stuttgarter DMV-Ortsverwaltung blieb bis zur Zerschlagung der Gewerkschaften eine Bastion der KPO. Sie warb während der Weltwirtschaftskrise ebenso hellsichtig wie unermüdlich für eine gemeinsame Abwehrfront der zerstrittenen Arbeiterbewe- gung gegen die nationalsozialistische Flut.37 Zu einer gemeinsamen Aktion der verfeindeten Arbeiterparteien und der gewerk- schaftlichen Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus ist es jedoch be- kanntermaßen nicht gekommen. 37 Zur KPO vgl. insbes. Theodor Bergmann, „Gegen den Strom“. Die Geschichte der KPD (Op- position), Hamburg 2001. F 34 E

Appelle statt Aktionen Als die im Mai 1932 neu eingesetzte Reichsregierung unter Franz von Papen – im Volksmund spöttisch „Kabinett der Barone“ genannt – die nach wie vor sozialdemo- kratisch geführte preußische Regierung am 20. Juli 1932 absetzte, konnten sich die SPD und die Freien Gewerkschaften angesichts ihrer geschwächten Position nicht entschließen, dem offenkundig verfassungswidrigen „Preußenschlag“ wie während des Kapp-Putsches mit einem Generalstreik entgegenzutreten. Die Gewerkschaften aller Richtungen beließen es bei einer Protesterklärung, die in dem Aufruf an die Mitglieder mündete, Disziplin zu bewahren.38 Sie richteten ihre Hoffnungen auf den Ausgang der für den 31. Juli angesetzten Reichstagswahl, von der sie eine Korrektur der politischen Machtverhältnisse er- warteten. Stattdessen brachte diese Wahl einen weiteren Stimmenanstieg für die NSDAP, die jetzt auf 37,3 Prozent der Stimmen kam und die nunmehr mit weitem Abstand die stärkste Fraktion im Reichstag stellte. die gelähmte arbeiterbewegung Prägnante Plakate statt praktischer Politik: Die Hoffnung auf ein demokratisches Macht- wort der Wählerinnen und Wähler trog. 38 Gewerkschafts-Zeitung Nr. 30 vom 23.07.1932, S. 465. F 35 E

kapitel Eiserne Front in Mannheim: Flagge zeigen (und Musik machen) gegen die Nazis F 36 E Eiserne Front Hoffnungen auf eine gemeinsame Abwehrfront aller demokratischen Kräfte richte- ten sich nun auf die „Eiserne Front“. Sie war am 16. Dezember 1931 auf Initiative des Reichsbanners39 gegründet worden, um der nationalsozialistischen Springflut ein Gegengewicht gegenüberstellen zu können. Kern der Eisernen Front waren ne- ben der SPD die Freien Gewerkschaften, das heißt, der ADGB und seine Verbände sowie die im Allgemeinen Freien Angestelltenbund zusammengeschlossenen freien Angestelltenverbände, aber auch die „Vorfeldorganisationen“ der freien Arbeiterbe- wegung wie der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) und eben das Reichsbanner. Die Eiserne Front prägte bis zur Reichstagswahl vom 5. März 1933 den Kampf von SPD und freier Gewerkschaftsbewegung gegen den Nationalsozialismus. Sie bewirkte eine stärkere Aktivierung der Mitglieder, trat während der Reichspräsi- dentenwahl im März 1932 besonders profiliert in Erscheinung und veranstaltete bis in den Februar 1933 hinein auf lokaler und regionaler Ebene etliche Kundgebungen mit einer Vielzahl von Teilnehmern.40 Unter dem Symbol der Eisernen Front, drei nach unten zielenden Pfeilen, sammelten sich die Verteidiger der Republik noch in den ersten Märztagen 1933 zu eindrucksvollen Kundgebungen. Rückblickend be- trachtet war das das Schicksal der Demokratie und damit auch der Arbeiterbewe- gung zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits besiegelt. 39 Das „ Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republi- kaner“ war im Februar 1924 als Reaktion auf den Hitlerputsch, aber auch auf linke Um- sturzversuche, von Mitgliedern der SPD, der Deutschen Zentrumspartei, der DDP sowie Gewerkschaftern gegründet worden. Faktisch allerdings überwog der Anteil der Sozialde- mokraten an der Mitgliedschaft deutlich. 40 Zur Rolle der Eisernen Front in Ulm vgl. beispielhaft Uwe Schmidt, Ein redlicher Bürger re- det die Wahrheit frei und fürchtet sich vor niemand. Eine Geschichte der Demokratie in Ulm, Aschaffenburg 2009, S. 70ff.

kapitel F 37 E Vorläufer der Eisernen Front: Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, hier in Schramberg Marsch der Eisernen Front Drei Pfeile zerspalten wie Blitze die Nacht. Wo bist du, du Lump, der den Freund umgebracht? National? National? National? So schreist du, der nur sich selbst anerkennt und alle beschimpft und Verräter nennt! „National“? Dich, Lüge, trifft der erste Strahl! Drei Pfeile zerspalten die Nacht. Wo bist du, du Pest, die sich ausgedacht „Pg“? „Pg“? „Pg?“ Du dienst nur als Vorspann dem Schlotbaron, er zahlt dir dicke Gelder, Million um Million, „Pg“? Dich, Lüge, trifft der dritte Strahl! Fliege Pfeil, triff Hammer, Rote Fahnen, wehet ins Land! Eiserne Front! Eiserne Front! Eiserne Front! Fliege, Pfeil, triff, Hammer uns’rer Hand! 1932 auf einer „Freiheitsplatte“ von „Mitgliedern des Berliner Schubert-Chors mit Blas-Orchester“ erschienen · Verfasser unbekannt Fliege Pfeil, triff Hammer, Rote Fahnen, wehet ins Land! Eiserne Front! Eiserne Front! Eiserne Front! Fliege, Pfeil, triff, Hammer uns’rer Hand! Drei Pfeile zerspalten wie Blitze die Nacht. Wo bist du, du Schuft, der den Diebstahl gebracht? „Sozialist?“ „Sozialist?“ „Sozialist?“ So nennst du dich, der mit den Reichen paktiert, dem Hohenzollernsohn hast du dich alliiert. „Sozialist?“ Dich, Lüge, trifft der zweite Strahl! Fliege Pfeil, triff Hammer, Rote Fahnen, wehet ins Land! Eiserne Front! Eiserne Front! Eiserne Front! Fliege, Pfeil, triff, Hammer uns’rer Hand! Das Emblem der Eisernen Front war gut geeignet, um Hakenkreuze zu übermalen.

die gelähmte arbeiterbewegung Wahlplakate der frühen 1930er-Jahre F 38 E Auf dem Weg zum 30. Januar 1933 Die zweite Jahreshälfte 1932 stand zunächst für den DMV und die gesamte freie Ge- werkschaftsbewegung ganz im Zeichen der Abwehr der NSDAP und der als unsozi- al und undemokratisch gebrandmarkten Regierung Papen. Am 6. November 1932 fand nach einer erneuten Auflösung des Reichstags eine weitere Reichstagswahl statt, bei der die Hitler-Partei erstmalig deutliche Stimmenverluste zu verzeichnen hatte. Die Freien Gewerkschaften werteten das Wahlergebnis mit großem Optimis- mus als Anfang vom Ende des Nationalsozialismus. Sie vertrauten nach wie vor auf die Funktionstüchtigkeit des Parlamentarismus – und auf Reichspräsident Hinden- burg als Hüter der Verfassung. Als am 2. Dezember 1932 eine neue Regierung unter General Kurt von Schleicher gebildet wurde und dieser den Gewerkschaften schon im Vorfeld seiner Ernennung Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte, wuchsen die Hoffnungen auf eine Über- windung der nationalsozialistischen Gefahr und der ökonomischen Krise noch ein- mal an. Doch hinter den Kulissen hatte sich die politische Konstellation auf bedrohliche Weise verschoben. Nach einer Absprache von Papens mit Hitler im Haus des Kölner Bankiers Schröder gab Hindenburg den Einflüsterungen seiner Umgebung schließ- lich nach und verweigerte Schleicher die weitere Unterstützung. Letzte Appelle der Gewerkschaftsverbände an Hindenburg, keine sozialreaktionäre Regierungs- bildung zuzulassen, verhallten ungehört. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt.

die gelähmte arbeiterbewegung Der Berliner Reichstag brannte – die National- sozialisten profitierten. F 39 E Der Reichstagsbrand, die Reichstagswahl vom 5. März 1933 und das „Ermächtigungsgesetz“ Mit der Machtübernahme der NSDAP begann ein neues Kapitel in der Geschichte auch der Gewerkschaften. Dass diese Machtübernahme mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bereits vollzogen war, erkannten jedoch nur die wenigsten Akteure innerhalb der Arbeiterbewegung. Zwar hatten die Gewerk- schaften richtungsübergreifend unermüdlich vor den katastrophalen Folgen einer nationalsozialistischen Regierungsbildung gewarnt; mit der Dynamik und Brutali- tät, die die Hitler-Bewegung an der Macht entwickelte, rechneten sie jedoch nicht.41 Stattdessen reagierten die Gewerkschaften lediglich mit einem neuerlichen Aufruf zur Einigkeit, der diesmal vom ADGB, dem Allgemeinen freien Angestelltenbund, dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften und dem Gewerkschaftsring Deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände gemeinsam unterzeichnet war. Eine Aufforderung an die Arbeiterschaft, sich auf aktive Gegenwehr vorzuberei- ten, fand sich hingegen nicht. Während die Gewerkschaften an die Arbeiterschaft appellierten, Ruhe und Disziplin zu wahren und sich nicht provozieren zu lassen, versuchte die KPD vergeblich, die Arbeiterschaft zum Generalstreik zu mobilisieren. Lediglich die Arbeiter in den Tex- 41 Vgl. zum Folgenden insbes. Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiter- bewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999.

die gelähmte arbeiterbewegung Alwin Brandes, DMV-Vorsitzender, entwickelte sich nach gravierenden Fehl- einschätzungen zum Widerstandsämpfer. F 40 E tilfabriken des kleinen württembergischen Industriedorfes Mössingen folgten dem entsprechenden Aufruf der württembergischen Bezirksleitung der KPD.42 Die Gewerkschaften wie auch die SPD gaben sich in den ersten Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler der Illusion hin – oder sie klammerten sich an sie –, dass auch diese neue Regierung wie ihre Vorgänger nur von kurzer Dau- er sein würde. Alwin Brandes, einer der beiden Vorsitzenden des DMV und in der NS-Zeit dann später mutig im Widerstand aktiv, hatte noch am 31. Ja- nuar 1933 in der Sitzung des erweiterten Ausschusses des ADGB mit einem im Rückblick fast unwirklich anmutenden Optimismus geur- teilt: „Am Anfang des vorigen Jahres rechnete nicht nur die natio- nalsozialistische Anhängerschaft, sondern fast das gesamte Bürger- tum Deutschlands mit der in Kürze erfolgenden [...] Machtergreifung des Hakenkreuzfaschismus [...]. Während die kommunistische Poli- tik immer neuen Wind in die Segel der Reaktion trieb, hat die Politik der SPD, die von den Gewerkschaften unterstützt wurde, dem Natio- nalsozialismus die geschichtliche Niederlage bereitet.“43 Am 3. Februar 1933 erklärte er auf der Tagung des erweiterten Bei- rats des DMV: „Die Nazis rechnen mit einer Entwicklung wie in Italien. Doch Deutschland ist nicht Italien und Hitler ist nicht Mussolini, und die deutsche Arbeiterschaft ist nicht die gleiche wie in Italien […]. Die Erbitterung in der Arbeiterschaft über die Machenschaften der neuen Machthaber ist außerordentlich groß und das Verlangen an die politischen Parteien, die Pläne der Re- aktion mit Gewalt zu zerschlagen, verständlich. Eine gewaltsame Aufl ehnung gegen diese Regierung würde ihr den Vorwand zum Staatsstreich geben. Es ist deshalb notwendig, dass die organi- sierte Arbeiterbewegung ruhig die Nerven behält.“44 Tatsächlich baute die NSDAP ihre Machtposition binnen kürzester Frist aus. Schon am 4. Februar 1933 schränkte eine von Reichspräsident von Hindenburg erlasse- ne Notverordnung „zum Schutze des deutschen Volkes“ die Meinungsfreiheit er- 42 Vgl. zu dem wohl einzigen „Generalstreik“ gegen die NS-Machtergreifung Hans-Joachim Althaus (Hg.), Da ist nirgends nichts gewesen außer hier. Das „rote Mössingen“ im Generalstreik gegen Hitler. Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes, Berlin 1982. Der Demonstrationszug der streikenden Arbeiter und Arbeiterinnen wurde schließlich von einer eilig aus Reutlingen herbeibeorderten 40 Mann starken Staff el des Überfallkomman- dos der Polizei aufgelöst. Infolge des Streiks kam es zu zahlreichen Festnahmen. Insge- samt 58 Streikbeteiligte wurden wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit er- schwertem Landfriedensbruch“ vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts in Stuttgart zu Haftstrafen bis zu viereinhalb Jahren verurteilt, woran sich in vielen Fällen die Einweisung in ein Konzentrationslager anschloss. IG Metall, 100 Jahre, S. 282. 43 44 Ebenda.

heblich ein. Eine Gewaltwelle von SA und SS zeigte der Arbeiterbewegung, dass sie auf den Schutz des Staates endgültig nicht mehr zählen konnte. Der Wahlkampf der SPD für die Reichstagswahl im März 1933 und teilweise auch des Zentrums wur- de durch zahlreiche polizeiliche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und besonders der Pressefreiheit massiv behindert. In Karlsruhe etwa wurde eine für den 25. Februar angesetzte Demonstration der Eisernen Front ebenso verboten wie der geplante Fackelzug vor der sozialdemokratischen Abschlusskundgebung zur Reichstagswahl. Noch schärferen Repressalien war die KPD ausgesetzt, die in Ba- den lediglich am 1. Februar eine einzige Kundgebung gegen die Hitler-Regierung abhalten konnte. Nach der Reichstagsbrandverordnung wurden selbst in geschlos- senen Räumen kommunistische Veranstaltungen untersagt und alle Zeitungen der KPD endgültig verboten.45 Trotz aller Einschüchterung und Be- hinderungen brachten die von der neuen Regierung sofort angesetz- ten Neuwahlen am 5. März 1933 der NSDAP allerdings keine absolute Mehrheit der Sitze – und dies, obwohl die kommunistischen Abgeordneten ihre Mandate schon nicht mehr wahr- nehmen konnten. Wenige Tage zuvor hatte, wie eine Mehrheit der Histori- ker vermutet, der politisch links ori- entierte holländische Aktivist Mari- nus van der Lubbe den Reichstag im Alleingang in Brand gesetzt.46 Egal, ob er Einzeltäter war oder nicht: Der Vorfall lieferte für die NS-Machthaber den hoch willkommenen Vorwand zum sofortigen Erlass der sogenannten „Reichstagsbrand- verordnung“, die eigentlich „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ hieß. Schon einen Tag nach dem Reichstagsbrand wurde diese Verordnung von Hinden- burg unterschrieben. Sie setzte die verfassungsmäßigen Grundrechte außer Kraft und begründete für die gesamte Dauer des Dritten Reiches den permanenten Aus- nahmezustand. Sie ermöglichte es dem NS-Regime, die nun auf breiter Front einset- zenden Unterdrückungsmaßnahmen gegen Oppositionelle mit einem Mäntelchen von Legalität zu umgeben. Vor allem konnten politische Gegner nun ohne Anklage IG Metall, VSt. Karlsruhe (Hg.), Unser die Zukunft, S. 172. 45 46 Die lange dominierende „Alleintäter-These“ ist in der jüngeren Vergangenheit bestritten worden. Manche Historiker gehen von einer Tatbeteiligung der Nationalsozialisten aus. Die Nazis selbst versuchten die Tat den Kommunisten in die Schuhe zu schieben. die gelähmte arbeiterbewegung Sie waren sich einig, wenn Grundrechte eingestampft werden sollten: Reichsprä- sident Hindenburg (rechts) und Reichs- kanzler Hitler. F 41 E

die gelähmte arbeiterbewegung Ein unfasslicher Moment deutscher Geschichte: Uniformierte Nazi- Trupps drängen am 23. März 1933 in die Sitzung des Reichstags, um Druck auf die NS-kritischen Abgeordneten auszuüben. F 42 E und Beweise und ohne gerichtliche Überprüfung in „Schutzhaft“ genommen, Ver- sammlungen unterbunden und regimekritische Zeitungen verboten werden. Die „Reichstagsbrandverordnung“ gab dem Regime die Handhabe, noch vor der für den 5. März anstehenden Reichstagswahl eine große Zahl führender KPD-Funktio- näre – darunter fast alle Mitglieder der kommunistischen Reichstagsfraktion – und auch schon zahlreiche Sozialdemokraten zu verhaften. Sie war auch die Grundlage für die Annulierung aller politischen Mandate von Mitgliedern der KPD. Trotz aller Schikanierungen der politischen Gegner brachten selbst die bestenfalls halbfreien Reichstagswahlen vom 5. März nicht die absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate. Für eine par- lamentarische Mehrheit wur- de vorerst noch die DNVP als Steigbügelhalter der NSDAP auf dem weiteren Weg in die Diktatur benötigt. besiegelt wur- Endgültig de der Untergang von Demo- kratie und Rechtsstaatlich- keit in Deutschland dann sehr schnell. Das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 erlaubte es der Regierung, ohne die Mitwirkung des Parlaments Gesetze zu beschließen. Durch die Verabschiedung des Gesetzes mit einer Zweidrittelmehrheit unter Beteiligung des Zentrums und der bürgerlichen Parteien war der Diktatur der Anschein von Legiti- mität verliehen worden. Lediglich die Abgeordneten der SPD stimmten mit dem Mu- te der Verzweiflung dagegen.47 47 Zur Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch die sozialdemokratische Reichstags- fraktion vgl. die Rede des Abgeordneten Otto Wels vom 24. März 1933, in: Scheerer/ Schaaf, Dokumente, Dok. 134, S. 408ff.

die gelähmte arbeiterbewegung Die „Gleichschaltung“ in Baden und Württemberg Begleitet vom Terror der SA und sekundiert durch die Polizei wurden die Länder des Reiches nach der Märzwahl binnen kürzester Frist „gleichgeschaltet“ und in das nationalsozialistische Herrschaftssystem integriert. Am 8. März ernannte Reichsin- nenminister Frick mit Gauleiter Robert Wagner den ersten Mann der badischen Na- zis zum Reichskommissar des Landes. Wagner ernannte sich nach dem gewaltsam erzwungenen Rücktritt der legalen Regierung unter der Leitung von Josef Schmitt (Zentrum) selbst zum Staatspräsidenten und wurde am 5. Mai 1933 „nachträglich von Hindenburg als Reichsstatthalter legalisiert“.48 In Württemberg wurde die Fassade legaler Kontinuität hingegen formal gewahrt. NSDAP, DNVP und Bauernbund wählten NSDAP-Gauleiter Murr am 15. März zum Staatspräsidenten. Während sich in Baden jedoch Gauleiter Wagner zur unum- schränkten Nummer eins im Naziapparat des Landes aufgeschwungen hatte und bis zum bitteren Ende einer der mächtigsten Männer im Dritten Reich war, blieb die Situation in Württemberg durch die anhaltenden Rivalitäten und offenen Feindse- ligkeiten zwischen dem geistig eher schlicht strukturierten Wilhelm Murr und dem NS-Ministerpräsidenten und Kultusminister Christian Mergenthaler geprägt.49 Der letzte Akt der Machtergreifung in den Ländern wurde vollzogen, als die Landta- ge gemäß den Ergebnissen der Reichstagswahlen umgebildet wurden. Auch hier fie- len die Stimmen der mittlerweile illegalen KPD unter den Tisch. Am 8. beziehungs- weisee am 9. Juni verabschiedeten die Landtage in Baden und Württemberg ent- sprechend dem „Vorbild“ auf Reichsebene mit Zweidrittelmehrheit Landesermäch- tigungsgesetze, die formal auf legale Weise besiegelten, dass die Landesvertretun- gen nur noch eine Statistenrolle innehatten. Während sich im Stuttgarter Landtag die SPD unter Erich Roßmann und Wilhelm Keil nicht an der Abstimmung beteiligte und sich wenig später auch selbst auflöste (sehr zum Zorn des späteren Parteivorsit- zenden Kurt Schumacher)50, stimmten im Karlsruher Parlament die fünf noch nicht verhafteten SPD-Abgeordneten mit „Nein“.51 48 Weber/Wehling, Kleine Geschichte Baden-Württembergs, S. 94. 49 Vgl. hierzu besonders Paul Sauer, Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 29f. 50 Irmgard Knoll, „Die schwebende Angelegenheit Keil“, in: 100 Jahre SPD Ludwigsburg 1891–1991, Erdmannhausen 1991; Archiv der sozialen Demokratie, Bestand Schuma- cher J5; Willy Albrecht, Kurt Schumacher. Ein Leben für den demokratischen Sozialismus, Bonn 1985 51 Vgl. Weber/Wehling, Kleine Geschichte Baden-Württembergs, S. 96. F 43 E

V. Die Unterdrückung der Arbeiterbewegung in Baden und Württemberg und die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 Anders als die Kommunisten und zahlreiche Sozialdemokraten waren die Gewerk- schaften im Februar 1933 von Übergriffen der Nationalsozialisten noch weitgehend verschont geblieben. Das änderte sich nach den Wahlen vom 5. März schlagartig. Mit der Gleichschaltung der Länder fiel den Nazis nun auch der Polizeiapparat als Repressionsinstrument in die Hände. Doch selbst die blutigen Überfälle auf Gewerk- schaftshäuser in allen Teilen des Reiches führten zu keiner grundsätzlichen Über- prüfung der gewerkschaftlichen Politik des Stillhaltens. In Baden erreichte die Repression gegen politische Oppositionelle bereits im März einen unrühmlichen Höhepunkt, der die Verfolgungsintensität im übrigen Reichs- gebiet sogar noch übertraf. Anlass war, dass in der Nacht zum 17. März 1933 der SPD-Landtagsabgeordnete Christian Daniel Nußbaum zwei Polizisten mit Schüssen durch die geschlossene Wohnungstür seines Hauses tödlich verwundet hatte. An- scheinend glaubte er an einen Einbruch, allerdings nicht an einen durch die Staats- gewalt.52 Wagner ordnete in einem Geheimerlass an die Polizeibehörden umgehend „über- fallartige Durchsuchungen“ der Wohnungen Oppositioneller an. Allein in Karlsruhe wurden innerhalb einer Woche über 100 Personen festgenommen, auch die sozial- demokratischen Zeitungen im ganzen Land wurden verboten und die Parteibüros geschlossen, Wehrorganisationen wie die Eiserne Front verboten.53 Am 1. April 1933 führte der von Plünderungen und Gewalttätigkeiten begleitete Boykott jüdischer Geschäfte die menschenverachtende Brutalität des Nazi-Regimes auch der Bevölkerung Badens und Württembergs mit aller Deutlichkeit vor Augen. 52 Vgl. Heinz Siebold, Eine Atmosphäre des Terrors. Wie die Nazis die Notwehr von Daniel Nußbaum nutzten, in: Badische Zeitung vom 25. Januar 2010. IG Metall, VSt. Karlsruhe (Hg.), Unser die Zukunft, S. 175. 53 F 44 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung In Heilbronn wird am 12. März 1933 auch die Druckerei des „Neckar-Echo“ beschlagnahmt und künftig für Nazi- Zwecke genutzt – gezielte Schläge gegen die Möglichkeit der fortschrittlichen Kräfte, Informationen und Meinungen zu verbreiten. Versuche der Organisationsrettung durch taktische Anpassungsbereitschaft Statt erbitterten (und zu diesem Zeitpunkt mutmaßlich aussichtslosen) Widerstands war spätestens im März 1933 die „Rettung der eigenen Organisation“ zur „obersten Maxime“54 gewerkschaftlichen Handelns geworden. Der ADGB distanzierte sich zu- nächst vorsichtig von der SPD und betonte seinen unpolitischen Charakter als aus- schließlich wirtschaftliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Die Führung der christlichen Gewerkschaften bekundete am 16. und 17. März ihre Bereitschaft zur Mitarbeit im „neuen Staat“ und stellte sich, so Bernhard Otte, der Vorsitzende des „Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands“, „bewusst in den Dienst der großen Sache.“55 Am 9. April folgte der ADGB der programmatischen Anpassung der christlichen Konkurrenz und erklärte sich bereit, „die von den Gewerkschaften in jahrzehntelan- ger Wirksamkeit geschaffene Selbstverwaltungsorganisation der Arbeiterschaft in den Dienst des neuen Staates zu stellen56 – im Übrigen nahezu einmütig57 und unter Beteiligung der Vertreter des DMV. 54 Schneider, Kleine Geschichte, S. 226. 55 Zitiert nach: ebenda. 56 Zitiert nach: ebd., S. 226f. Eine akribische Darstellung des gewerkschaftlichen Anpas- sungskurses bietet Manfred Scharrer, Anpassung bis zum bitteren Ende, in: ders. (Hg.), Kampflose Kapitulation, Reinbek bei Hamburg 1984. 57 Lediglich Siegfried Aufhäuser, der Vorsitzende des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA-Bundes), hatte sich wiederholt gegen die gewerkschaftliche Anpassungstaktik aus- gesprochen und auf die aktive Mobilisierung der Arbeiterschaft gedrängt. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft zählte er zu den von den Nazis am meisten gehassten Gewerkschafts- führern. Ende März legte er sein Amt als Vorsitzender des AfA-Bundes nieder. F 45 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung F 46 E Erst nachdem Vertreter der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) – einer quasigewerkschaftlichen Unterorganisation der NSDAP – ADGB-Chef Theodort Leipart ultimativ zur Übergabe seines Amtes an einen Nationalsozialisten aufgefordert hatten, war die Grenze der Anpassungstaktik erreicht. Leipart pranger- te die blutigen Übergriff e auf Gewerkschaftsmitglieder und die Besetzung der Ge- werkschaftshäuser an und lehnte ab.58 Schließlich bildeten die Vorsitzenden der gewerkschaftlichen Dachverbände Ende April 1933 noch einen „Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften“ mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Gewerkschaftsbewegung und unternahmen so einen letz- ten vergeblichen Versuch, sich als eigenständige Organisationen in den ten vergeblichen Versuch, sich als eigenständige Organisationen in den „Nationalen Staat“ einzugliedern. „Nationalen Staat“ einzugliedern. Als das neue Regime mit einem geschickten Schachzug den 1. Mai Als das neue Regime mit einem geschickten Schachzug den 1. Mai zum Feiertag der „nationalen Arbeit“ erklärt hatte und damit der zum Feiertag der „nationalen Arbeit“ erklärt hatte und damit der Arbeiterschaft scheinbar entgegengekommen war, riefen auch der Arbeiterschaft scheinbar entgegengekommen war, riefen auch der ADGB und die ihm angeschlossenen Gewerkschaften die Mit- ADGB und die ihm angeschlossenen Gewerkschaften die Mit- glieder zur Teilnahme an der Maifeier der Regierung auf. Die- glieder zur Teilnahme an der Maifeier der Regierung auf. Die- se später heftig kritisierte „Selbstaufgabe“ der Gewerk- se später heftig kritisierte „Selbstaufgabe“ der Gewerk- schaften war dabei in erster Linie von der Sorge der schaften war dabei in erster Linie von der Sorge der Gewerkschaftsführung getragen, dass all diejeni- Gewerkschaftsführung getragen, dass all diejeni- gen, die nicht an der Veranstaltung teilnehmen gen, die nicht an der Veranstaltung teilnehmen würden, mit massiven Repressalien zu rech- würden, mit massiven Repressalien zu rech- nen hätten. Angesichts der Tatsache, dass Mit- te April die schnell errichteten frühen Konzen- trationslager und die Gefängnisse des Reiches bereits mit Tausenden Regimegegnern gefüllt waren, war dies keineswegs eine abwegige Ver- waren, war dies keineswegs eine abwegige Ver- mutung.59 Die Maifeiern unter Naziregie sollten mutung. dann zu einer pompösen Propagandaschau zu- dann zu einer pompösen Propagandaschau zu- gunsten der Regierung entarten. Die Teilnahme der Gewerkschaften an den nunmehr regierungstreuen Feiern zum 1. Mai markierte den später oft angeprangerten Höhepunkt der gewerkschaftlichen Anpassungsbereitschaft an das neue Regime. Denn nur einen Tag nach der „gelun- genen“ Inszenierung volksgemeinschaftlicher Solidarität folgte die ebenso gut or- 58 Leipart, der aufgrund seines Alters ohnehin kurz vor der Ablösung stand, schlug damit im Übrigen einen für ihn persönlich sehr bequemen Ausweg aus. Der Kurs der ADGB-Führung im Frühjahr ist in der historischen Forschung bis heute immer wieder diskutiert und nicht selten angeprangert worden. Nicht immer wurden dabei die geringen Handlungsspielräu- me der Arbeitnehmerorganisationen und der auf der Gewerkschaftsführung lastende po- litische Druck ausreichend gewürdigt. Vgl. hierzu besonders Ulla Plener, Theodor Leipart (1867-1947), 1. Halbband: Biographie, Berlin 2000. 59 Vgl. Plener, Leipart, S. 280ff .

ganisierte Aktion zur Zerschlagung der Freien Gewerkschaften. Ihre Gewerkschafts- häuser, die Büros der Gewerkschaftspresse und andere gewerkschaftsnahe Einrich- tungen im ganzen Reich wurden handstreichartig von SA-Verbänden besetzt – so- fern sie dies nicht bereits vorher schon getan hatten. Zahlreiche Gewerkschafts- funktionäre bis hinab zur Ebene der Bevollmächtigten und manchmal auch einfa- che Gewerkschaftsangestellte wurden Opfer der Verhaftungswelle. Andere mussten an der ordnungsgemäßen Übergabe des geraubten Gewerkschaftsvermögens an die Deutsche Arbeitsfront (DAF) mitwirken, ehe die meisten von ihnen fristlos entlas- sen wurden. Die DAF umfasste Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemäß der NS-Volksgemein- schaftsideologie und gliederte sich in 18 Reichsbetriebsgemeinschaften, darunter auch eine für den Metallbereich. Sie verdrängte die eher antikapitalistisch und nati- onal-sozialrevolutionär orientierte NSBO. Verhaftungen, Folter und Mord bereiteten der freien Gewerkschaftsbewegung am 2. Mai 1933 ein gewaltsames Ende. Die übrigen Richtungsgewerkschaften unter- stellten sich am 3. Mai 1933 einem „Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit“, womit auch ihre Rolle als eigenständige Interessenvertreter der Arbeitneh- merschaft ein Ende fand.60 60 Vgl. Schneider, Kleine Geschichte, S. 229. unterdrückung zerschlagung verfolgung Beispiel Reutlingen: Die Nazis reklamierten die alte Forderung der Arbeiterbewegung nach einem eigenen Feiertag für sich … … und organisierten ei- nen pompösen Feiertag samt nächtlicher Leucht- schrift „Deutschland ist erwacht“, ehe am nächsten Tag die freien Gewerkschaften brutal aufgelöst wurden. F 47 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung VI. Verfolgung und Widerstand der Arbeiterbewegung gegen das NS-Regime im Südwesten Am 2. Mai 1933 wurden sämtliche Vorstandsmitglieder des ADGB, da- Am 2. Mai 1933 wurden sämtliche Vorstandsmitglieder des ADGB, da- runter der Bundesvorsitzende Theodor Leipart, aber auch zahlreiche Vorstandsmitglieder der Einzelgewerkschaften des ADGB und des AfA-Bundes61, die Redakteure der maßgeblichen Gewerkschaftszei- tungen, die Bezirksvorstände des ADGB und oft auch einfache Orts- vorstände und Bevollmächtigte häufi g unter demütigenden Begleit- umständen festgenommen und inhaftiert.62 Auch eine Reihe höherer DMV-Funktionäre wurde am 2. Mai 1933 oder in den Tagen danach vo- rübergehend in Schutzhaft genommen, sofern dies nicht, wie im Fall des Reutlinger Vorsitzenden des Metallarbeiterverbandes, Georg Zi- scher, bereits vorher geschehen war.63 Zu den Verhafteten zählte auch Alwin Brandes, der Vorsitzende des DMV.64 Verhaftet, weil er Gewerkschafter war: Theodor Leipart, 1933 Vorsitzender des ADGB Insgesamt wurden hunderte Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet. Die meisten von ihnen wurden nach wenigen Tagen oder Wochen wieder freigelassen, mussten sich aber zumeist wöchentlich bei der Polizei melden. Viele von ihnen wurden später er- neut verhaftet, manchmal wiederholte sich dies mehrere Male. Andere wurden in die Konzentrationslager verschleppt und jahrelang festgehalten.65 61 Der Allgemeine freie Angestelltenbund war der Dachverband der freigewerkschaftlichen Angestelltenorganisationen. 62 Zur Verhaftung der Gewerkschaftsspitze vgl. Plener, Leipart, S. 285ff . 63 Vgl. IG Metall, VSt. Reutlingen (Hg.), Wir lernen im Vorwärtsgehen! Dokumente zur Ge- schichte der Arbeiterbewegung in Reutlingen 1844–1949, bearb. von Paul Landmesser und Peter Päßler, Heilbronn 1990, S. 403. 64 Vgl. Arne Pannen, Alwin Brandes, in: Siegfried Mielke/Stefan Heinz (Hg.) Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat. Widerstand und Verfolgung [= Gewerk- schafter im Nationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration, Bd. 1], Berlin 2012 (unter Mitarbeit von Marion Goers), S. 53-74, hier: S. 59. 65 Vgl. Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 102. F 48 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung Gefürchtet wegen seiner kalten, nassen Zellen, seiner zahl- reichen Spitzel und seines extrem bruta- len Kommandanten: Das Konzentrations- lager Oberer Kuhberg bei Ulm. Trauriger Ruhm: der kommunistische Arbeiter Hermann Wißmann aus Lud- wigsburg ist der ers- te Tote, der in einem württembergischen KZ zu beklagen war. F 49 E Die Systematisierung des Terrors: Konzentrationslager in Baden und Württemberg Mit der Machtübernahme der NSDAP in Baden und Württemberg hatte auch im deutschen Südwesten die massive Verfolgung der politischen Gegner, zunächst vor allem der Kommunisten, begonnen. Auf dem Heuberg bei Stetten am Kalten Markt richteten die Nationalsozialisten schon am 19. März 1933 das erste Konzentrationslager in Württemberg ein, das schon eine Woche später völlig überfüllt war und ohne besondere Geneh- migung keine Häftlinge mehr aufnahm. Ende 1933 wurden die ver- bliebenen Heuberg-Häftlinge in das KZ „Württembergisches Schutz- haftlager Oberer Kuhberg, Ulm/Donau“ verlegt. Im Zuge einer allge- meinen Zentralisierung des KZ-Systems wurde im Jahr 1935 das KZ Oberer Kuhberg aufgelöst. Die verbliebenen 30 Gefangenen wurden in das KZ Dachau überstellt, unter ihnen auch Kurt Schumacher, der erste Vorsitzende der SPD nach dem Krieg. In Baden wurden die La- ger Kislau und Ankenbruck angelegt, manche der badischen Schutz- häftlinge wurden aber auch auf den Heuberg verschleppt. Nicht der Terrorisierung Andersdenkender sondern der Ermordung psychisch Kran- ker und behinderter Menschen diente die Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwä- bischen Alb in Württemberg . Hier wurden 1940 im Rahmen der sogenannten „Eut- hanasie“ über zehntausend Menschen umgebracht, meistens durch „Tötungsärzte“, die die Menschen vergasten.66 66 Vgl. hierzu Ernst Klee, Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens, Frankfurt am Main 1983.

unterdrückung zerschlagung verfolgung Willkür, Häme und Klebstoff: Nazis bas- telten sich eine Bild- postkarte, nachdem der frühere Staats- präsident von Baden, der Gewerkschafter Adam Remmele, und andere Vertreter der fortschrittlichen Denkart verhaftet und gedemütigt worden waren. F 50 E Verfolgung, Schutzhaft, Mord Der allgemeine Terror traf alle Organisationen der Arbeiterbewegung, Parteien wie Gewerkschaften; auch die sozialistischen Vorfeldorganisationen wie die Arbeiter- sportvereine und die Naturfreunde, karitative Organisationen wie die Arbeiterwohl- fahrt und wirtschaftliche Selbsthilfeeinrichtungen wie die Genossenschaften blie- ben nicht ausgespart. Verfolgt wurden dabei „gerade zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft Po- litiker und Funktionäre der mittleren und oberen Führungsebene der Arbeiterbewe- gung, und zwar oftmals unabhängig davon, wie sie sich in der konkreten Entschei- dungssituation im Frühjahr 1933 verhielten beziehungsweise verhalten hatten.“ 67 Allein das Konzentrationslager auf dem Heuberg durchliefen bis zum 23. August rund 3.300 Männer aus Württemberg, 178 aus Baden und 11 aus Hohenzollern.68 Von Anfang an ging es darum, die Persönlichkeit und den Widerstandsgeist der Gefangenen zu brechen. Schläge prägten den Alltag: „Als Werkzeug dienten den SA-Männern dabei Koppelriemen und Polizeiknüppel, Holzprügel oder die Absät- ze von beschlagenen Militärstiefeln. Auch ein schwerer Schlüsselbund wurde als Schlaginstrument benutzt. Die Folge waren ausgeschlagene Zähne, gebrochene Rippen und Blutergüsse am ganzen Leib.“69 Als besonders schlimm empfanden die Häftlinge die Wasserfolter am Brunnen des Lagers, bei der die Opfer fortgesetzt in das gerade im Winter eiskalte Wasser des Brunnentrogs eingetaucht, mit einem un- 67 Vgl. hierzu Ernst Klee, Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens, Frankfurt am Main 1983. 68 Kienle, Das Konzentrationslager Heuberg bei Stetten am kalten Markt, Ulm 1998, S. 98. 69 Ebd., S. 82.

unterdrückung zerschlagung verfolgung ter hohem Druck stehenden Wasserstrahl abgespritzt und ihre Haut anschließend mit rauen Scheuerbürsten malträtiert wurde.70 Nicht ganz so barbarisch wie auf dem Heuberg waren die Verhältnisse zunächst wohl im badischen Lager Kislau bei Bruchsal. Hierhin waren am 16. Mai 1933 ne- ben dem früheren badischen Staatspräsidenten Adam Remmele auch der frühere badische Justizminister und langjährige Vorsitzende der badischen SPD-Landtags- fraktion, Ludwig Marum, und fünf weitere führende badische Sozialdemokraten verbracht worden. Ludwig Marum – gebildet, links, jüdischer Herkunft Ludwig Marum, geboren 1882 in Frankenthal in der Pfalz, war pro- Ludwig Marum, geboren 1882 in Frankenthal in der Pfalz, war pro- movierter Jurist und wurde als scharfsinniger, brillanter Redner be- movierter Jurist und wurde als scharfsinniger, brillanter Redner be- schrieben. Er war freireligiös und stammte aus einer jüdischen Fa- schrieben. Er war freireligiös und stammte aus einer jüdischen Fa- milie mit Wurzeln in Spanien. Als Sozialdemokrat jüdischer Her- milie mit Wurzeln in Spanien. Als Sozialdemokrat jüdischer Her- kunft war er sicherlich doppeltem Druck ausgesetzt; aus ver- schiedenen Konzentrationslagern wird berichtet, dass die Über- griff e der Wachmannschaften besonders auf die Gefangenen zielten, die als Juden bezeichnet wurden. Als einziger der sieben gemeinsam verhafteten prominenten SPD-Politiker weiger- te er sich, eine Erkärung zu unterschreiben, wonach er sich nicht mehr gegen den „neuen Staat“ engagieren werde. Während die anderen sechs bereits wieder freige- kommen waren, wurde Ludwig Ma- rum weiterhin festgehalten. Ob we- gen seiner Herkunft oder seiner un- beugsamen Haltung: Am 29. März 1934 wurde er – wahrscheinlich auf direkten Befehl des badischen „Reichsstatthalters“ Robert Wagner – erdrosselt.71 Inmitten Uniformierter und vieler Schaulustiger wurde Ludwig Marum zusammen mit anderen willkürlich Verhafteten auf dem off enen Prit- schenwagen durch die Stadt gefahren, um ihn zur Schau zu stellen. 70 Ebd., S. 89. 71 Zu Ludwig Marum vgl. Manfred Koch, „Meine Freiheit können sie mir nehmen, aber nicht meine Würde und meinen Stolz“. Ludwig Marum – in Schutzhaft ermordet, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.), Politische Gefangene in Südwestdeutschland, Tü- bingen 2001, S. 195–211. F 51 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung F 52 E Metall-Gewerkschafter Georg Zischer – gefoltert bis in den Tod Auch Georg Zischer, der in der Weimarer Republik die Reutlinger Verwaltungsstel- le des DMV geleitet hatte, brachten die Nazis den Tod. Zischer war Mitte April 1933 mit anderen Reutlinger Gewerkschaftern auf dem Heuberg interniert worden. Ein Freund und Mithäftling berichtete später: „Er wurde geschlagen, weil er die Treppe, die er putzen sollte, nicht sauber brachte. Man hatte ihm befohlen, die Steinstufen von unten nach oben zu reinigen. Dabei schüttete man immer Wasser nach, so dass er nicht fertig wurde. Am Ende bekam er Prügel, weil er ein faules Schwein sei. Als er völlig erschöpft war, wurde er ins Revier gebracht. Der SA-Sturmführer aber, ein Reutlinger, riss das Fieberblatt weg und schrie den Kranken an: ‚Heraus aus dem Bett, du Lügner.‘ Am nächsten Morgen in der Toilette weinte Zischer und sagte zu mir: ‚Ich kann nicht mehr, ich nehme mir das Leben‘.“ Kurz nach seiner Entlassung aus dem Lager beging Georg Zischer Selbstmord. 72 Gustav Schulenburg – Tod im Konzentrationslager Gustav Schulenburg – Tod im Konzentrationslager Gustav Schulenburg war von 1919 bis 1933 erster Bevollmächtigter des Gustav Schulenburg war von 1919 bis 1933 erster Bevollmächtigter des DMV in Karlsruhe gewesen. Er entging seiner Verhaftung durch Flucht in die DMV in Karlsruhe gewesen. Er entging seiner Verhaftung durch Flucht in die Schweiz. Von da aus ging er nach Straßburg, wo er von 1906 bis 1918 eben- Schweiz. Von da aus ging er nach Straßburg, wo er von 1906 bis 1918 eben- falls Bevollmächtigter des DMV gewesen war und fand bis zu seinem Ru- falls Bevollmächtigter des DMV gewesen war und fand bis zu seinem Ru- hestand 1939 bei den elsässischen Gewerkschaften eine neuerliche An- hestand 1939 bei den elsässischen Gewerkschaften eine neuerliche An- stellung. Nach dem Einmarsch in Frankreich verhafteten ihn die Na- stellung. Nach dem Einmarsch in Frankreich verhafteten ihn die Na- zis und verbrachten ihn nach Karlsruhe ins Gefängnis. Nach zwei- jähriger Untersuchungshaft und schweren Misshandlungen wur- de er zu vier Jahren Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochver- rat verurteilt. Dass die Netzwerkverbindungen unter den ehemali- gen DMV-Funktionären auch zu diesem Zeitpunkt immer noch be- standen, zeigt sich daran, dass es Alwin Brandes in Berlin gelang, Schulenburg ei- nen Rechtsbeistand für seinen Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart zu be- sorgen. Im Zuchthaus von Zweibrücken wurde Schulenburg zwei Jahre inhaftiert, ehe er in das Konzentrationslager Dachau abtransportiert wurde. Hier starb er am 20. De- zember 1944.73 72 Zu Georg Zischer vgl. Heinz Dieter Schmid, Die nationalsozialistische Machtergreifung in einer Kreisstadt, Frankfurt am Main 1983, S. 32 IG Metall, VSt. Karlsruhe (Hg.), Unser die Zukunft, S. 192f. 73

unterdrückung zerschlagung verfolgung Sie – und andere – geben dem gewerkschaftlichen Widerstand gegen das Nazi-Regime Namen und Gesicht: Heinrich Schliestedt, Alwin Brandes und Max Urich (von links). F 53 E Widerstand in der totalitären Diktatur: 1933 – 1936 Die Widerstandsaktivitäten von Gewerkschaftern des DMV auf lokaler und regiona- ler Ebene sind nach wie vor nur lückenhaft erforscht – das gilt auch für den Südwes- ten des damaligen Deutschen Reiches. Eine jüngst erschienene Untersuchung über die Funktionäre des Metallarbeter-Verbands im NS-Staat stieß auf eine ganze Reihe von Widerstandsaktivitäten von DMV-Funktionären, konzentrierte sich aber weitge- hend auf Berlin, Mittel- und Ostdeutschland.74 Am wirksamsten scheinen nach bisherigem Stand der Forschung die Wider- standsaktivitäten der Gruppe um den DMV-Vorsitzenden Alwin Brandes, Max Urich, Willy Rößler, Richard Teichgräber, Heinrich Schliestedt und einige andere Funkti- onäre gewesen zu sein. Brandes war es gelungen, Schreibmaschinen und Verviel- fältigungsgeräte aus der Berliner DMV-Zentrale vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Die Gewerkschafter bauten nach der Zerschlagung des DMV ab Herbst 1933 ein ver- gleichsweise großes informelles Netz von Kontaktleuten aus dem früheren Verband auf, mit denen sie Nachrichten austauschten und die sie mithilfe der geretteten Ge- räte mit Flugblättern und anderen Schriften belieferten.75 74 Vgl. Mielke/Heinz, Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat (ge- samt). 75 Vgl. ebd., S. 24ff . Schliestedt war bereits im Sommer 1934 ins tschechoslowakische Komo- tau gefl ohen und versuchte von dort aus, eine Auslandsvertretung deutscher Gewerkschaf- ten und – mithilfe von Unterstützungsgeldern der internationalen Gewerkschaftsbewe- gung – konspirative Organisationsstrukturen innerhalb des Reiches aufzubauen.

unterdrückung zerschlagung verfolgung Hans Brümmer 1918… Beispiele für Widerstand und Verfolgung: Johann (Hans) Brümmer Hans Brümmer war schon vor 1918 im DMV aktiv gewesen und hatte sich während des Ersten Weltkriegs auf die Seite der Gegner der Burgfriedenspolitik geschlagen. Während der Novemberrevolution gehörte Brümmer dem Arbeiter- und Soldaten- rat in Karlsruhe an und wurde als Mitglied der vorläu- fi gen badischen Volksregierung Minister für militäri- sche Angelegenheiten. 1923 schloss sich Brümmer wieder der SPD an und vertrat die Sozialdemokratie 1925 bis 1928 im badischen Landtag. 1919 wurde er Bevollmächtigter des DMV in Mannheim, 1927 Mit- glied der Bezirksleitung in der Region Stuttgart. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozia- listen wurde Brümmer als einer der führenden süd- westdeutschen DMV-Funktionäre am 15. Mai 1934 verhaftet und etwas später zu 15 Monaten Haft verurteilt. 1936 war er nochmals in einen Hochverratsprozess verwickelt. In der Endphase des „Dritten Reichs“ begann Brümmer die Fäden zu einer Reor- ganisation der Gewerkschaften zu ziehen und beteiligte sich maßgeblich an der Gründung des Gewerkschaftsbundes Württemberg-Baden am 31. Mai 1945. Die Gewerkschaft Metall Württemberg-Baden wählte ihn 1946 zu ihrem ersten Vorsit- zenden. Nach dem Krieg erklärte Brümmer, dass er die schriftlichen und persönlichen Verbindun- gen in seinem früheren Wirkungskreis (Rhein-Pfalz und Württemberg) und darüber hinaus im ganzen Reichaufrecht erhalten habe, auch wenn diese Kon- takte recht lose gewesen seien. 76 … und nach dem Ende des NS-Regimes als gestandener Metall- Gewerkschafter 76 Vgl. Siegfried Mielke/Stefan Heinz, Johann (Hans) Brümmer, in: Funktionäre des Deut- schen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat, S. 182–187, hier S. 186. F 54 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung Als beispielhaft für den sich häufig überlappenden parteipolitischen und gewerk- schaftlichen Widerstand kann Willi Bleicher genannt werden, der spätere langjähri- ge Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. Beispiele für Widerstand und Verfolgung: Willi Bleicher Zunächst Mitglied der KPD, hatte sich Bleicher Anfang der 1930er-Jahre der oben schon erwähnten und im Stuttgarter DMV stark vertretenen KPO angeschlossen. Als Aktivist der KPO-Jugend sowie als Mitglied und vermutlich auch ehrenamtlicher Jugendfunktionär des DMV hatte er es in den frühen 1930er-Jahren zu einiger Be- kanntheit in seinem lokalen Stuttgarter Umfeld gebracht. Seit dem März 1933 hielt er sich in seiner Heimatstadt an ständig wech- selnden Wohnsitzen auf. Wie viele Linke arbeitete er nun im engsten Zir- kel gegen das Unrechtsregime, unter anderem war er an der Herstellung und Verteilung antifaschistischer Flugschriften beteiligt. Im Mai flüch- tete er ins schweizerische Schaffhau- sen, weitere Etappen der Emigrati- on in Frankreich und dem noch frei- en Saarland folgten, bevor er Anfang 1935 wieder nach Stuttgart zurück- kehrte. Bleicher schloss sich nun der Wider- standsgruppe „Neckarland“ an, von der zahlreiche Widerstandsaktionen in den Stuttgarter Neckarvororten ausgingen und in der er alte Mitstreiter aus seiner KPD-Zeit wiedertraf. Anfang 1936 flog die Gruppe auf. Im November 1938 verurteil- te der erste Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Bleicher wegen der „Vorbe- reitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu zweieinhalb Jahren Haft. An- statt jedoch nach Ablauf der Haftzeit wie gehofft entlassen zu werden, wurde er im Sommer zunächst in das Konzentrationslager Welzheim in der Nähe von Stuttgart eingeliefert und im Oktober 1938 ins KZ Buchenwald verschleppt. Schließlich kam er, nachdem er als Mitorganisator einer Häftlingsfeier für den er- mordeten KPD-Führer Ernst Thälmann schweren Folterungen ausgesetzt worden Bei einem Treffen ehemaliger Buchen- wald-Häftlinge (rechts hinter Willi Bleicher ist Eugen Ochs zu sehen) begleitet ihn auch sein Sohn Gerhard. F 55 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung war, ins Gestapo-Gefängnis in Ichtershausen. Nicht genug damit, überlebte er in den letzten Kriegswochen nur mit knapper Not einen Todesmarsch der aus Ich- tershausen in Richtung Erzgebirge getriebenen politischen Häftlinge, auf dem er einmal mehr den Tod vieler Kameraden mit ansehen musste.77 Ein paar Mal in seinem Leben ist Willi Bleicher der Erkenntnis gefolgt, wer etwas verändern wolle, sollte nicht alleine blei- ben. So trat er als Jugendlicher in die KPD ein – mit der Partei und ihren Methoden überwarf er sich gänzlich, nicht aber mit dem Ziel einer solidarischen Gesellschaft … Als Überlebender des KZ-Ter- rors wurde Bleicher 1946 Mit- glied im „Landesausschuss Württemberg-Baden der vom Naziregime politisch Verfolg- ten“, der späteren VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Anti- faschisten). Und 1950 trat der gelernte Bä- cker in die IG Metall ein – wo er ein wichtiger und, wie heu- te klar ist, legendärer Funktio- när wurde. Willi Bleicher starb 1981 in Stuttgart. 77 Zum Leben Bleichers vgl. Hermann G. Abmayr, Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben, Tübingen/Stuttgart 1992; Rainer Fattmann, „Und wenn die Welt voll Teufel wär‘“, Willi Bleicher – ein konsequentes Leben für Menschenwürde und Gerechtigkeit, Ludwigsburg 2011 F 56 E

Widerstand in der totalitären Diktatur: Nach 1936 Auf die Konsolidierung der nationalsozialistischen Herrschaft und die Zerschla- gung der illegalen Zellen und Gruppen 1935/36 reagierte „die Arbeiterbewegung zum Teil mit Resignation und Rückzug, zum Teil mit neuen Strategien und Konzep- ten sowie mit Veränderungen der Widerstandspraxis“.78 In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre scheint sich die Mehrzahl der Arbeiter auch in Baden-Württemberg mehr oder minder mit den politischen und innerbetrieblichen Machtverhältnissen arrangiert zu haben. Ursächlich hierfür war ein vielschichtiges Bündel interner und externer Faktoren, die nach Michael Schneider zu einer „Ato- misierung“ der Arbeiterschaft und einer starken Ausrichtung der Beschäftigten auf ihre eigenen Belange führte.79 Ein nicht zu unterschätzender Faktor hierfür stell- te sicherlich auch der Aufbau eines aus- gefeilten Überwachungs- und Spitzelsys- tems in den Betrieben dar, welches op- positionelles Handeln oder auch nur die Äußerung abweichender Meinungen zu- nehmend unterband. Werkschutzeinhei- ten unter der Leitung sogenannter „Ab- wehrbeauftragter“ arbeiteten aufs Engste mit den staatlichen „Sicherheitsorganen“ (SD und SS) zusammen, um jede Form der „Disziplinlosigkeit“ schon im Keim zu er- sticken.80 Ein organisatorisch verfestigter, überre- gional aktiver gewerkschaftlicher Wider- stand ging im Süden und Südwesten des Reiches nach 1936 nach heutigem Kennt- nisstand wohl vor allem von einer Grup- pe Transport- und Telegraphenarbeiter um den früheren Stuttgarter Bezirksleiter des Eisenbahnerverbandes, Karl Molt, aus. Ihre Flugblatt- und Aufklärungsaktionen wurden tatkräftig von der Internationalen Transportarbeiterföderation in Amster- dam und ihrem Generalsekretär Edo Fimmen unterstützt. Aber auch die Molt-Grup- pe wurde 1938 weitgehend zerschlagen.81 Georg Lechleiter 78 Schneider. 79 80 81 Vgl. hierzu Helmut Esters/Hans Pelger/Alexandra Schlingensiepen, Gewerkschafter im Vgl. hierzu ausführlich Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 717-735. Vgl. Roth, Der Weg, S. 148f. Widerstand, Bonn 1983, S. 77-84. unterdrückung zerschlagung verfolgung F 57 E

unterdrückung zerschlagung verfolgung Die Mannheimer Druckschrift „Der Vorbote“ richtete sich an Beschäftigte in den großen Fa- briken der Region. Nach Kriegsausbruch konnte dann bereits der Vor- wurf der Sabotage die direkte Einweisung in ein Kon- zentrationslager zur Folge haben. Der blutige Terror gegen organisierte Widerstandsversuche zeigte sich beispielhaft in Mannheim auf barbarische Art: Hier hatte eine Gruppe kommunistischer und sozialdemo- kratischer Widerstandskämpfer um den ehemaligen badischen KPD-Bezirkssekretär Georg Lechleiter vom September 1941 an unter dem Titel „Der Vorbote, In- formationsschrift gegen den Hitlerfaschismus“ in Mannheim und Heidelberg eine Druckschrift gegen das NS-Regime herausgegeben und unter der Arbeiterschaft ver- breitet. Trotz größter Vorsichtsmaß- nahmen wurde die Gruppe schon im Februar 1942 von der Gestapo zerschlagen. In einem wahren Blutrausch verurteilte der 2. Senat des Volksgerichtshofes am 15. Mai 1942 14 Mitglieder der Gruppe zum Tode, dar- unter Lechleiter selbst und Käthe Seitz, die einzige Frau innerhalb des Widerstands- zirkels, ihren Mann Alfred und ihren Vater Philipp Brun- nemer.82 Mit Todesurteilen gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, gegen Mitglie- der von SPD und KPD versuchte das NS-Regime, seine Macht zu festigen, als an- dere Gruppen kritischer Menschen sich noch nicht für den aktiven Widerstand ent- schieden hatten. 82 Vgl. das Urteil des 2. Senats des Volkgerichtshofes gegen Mitglieder der Widerstandsgrup- pe Lechleiter in Mannheim und Heidelberg (Auszug), 15. Mai 1942, in: IG Metall, VSt. Heidelberg (Hg.), Damit nichts bleibt wie es ist. Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbe- wegung in Heidelberg 1845–1949, bearbeitet von Peter Merz, Heidelberg 1986, S. 233–243. Vgl. auch den bewegenden Abschiedsbrief von Käthe Seitz an ihre Tochter vom 6. September 1942 (ebd., S. 246f.). F 58 E

Tausende leisteten Widerstand Obwohl das NS-Regime seinen Terrorapparat systematisch ausbaute, gelang es ihm gerade in Hinblick auf die Arbeiterschaft niemals vollständig, oppositionelles und widerständiges Handeln zu unterdrücken. Bei Kriegsbeginn betrug die Zahl der „po- litischen“ Häftlinge in den Konzentrationslagern schon 25.000 Männer und Frauen, im März 1942 dann sogar knapp 100.000. Die Mehrzahl von ihnen war wegen ille- galer „sozialistischer“ Tätigkeit festgenommen worden. Bis Kriegsende bezahlten etwa 25.000 Menschen ihren Widerstand gegen die Nazibarbarei mit dem Tode.83 83 Angaben nach Manfred Funke, Gewerkschaften und Widerstand. Zwischen Ausharren und Orientierung auf die Zukunft, in: Richard Albrecht u. a. (Hg.), Widerstand und Exil 1933– 1985, Frankfurt am Main 1986, S. 60 –75, hier S. 66; vgl. auch Schneider, Kleine Ge- schichte, S. 244. unterdrückung zerschlagung verfolgung Vor einem Wachturm versammelten sich im April 1945, eini- ge Wochen nach der Befreiung des Lagers, ehemalige Buchen- wald-Häftlinge aus Württemberg; unter ihnen Ludwig Becker (Mitte), von 1952 bis 1959 Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. F 59 E

Aalen F 60 E Eindrücke aus Stadt und Land: Saalschlachten und Solidarität Am 24. Februar 1932 verteilten in Aalen arbeitslose SA-Männer grüne Handzettel, die für den Nachmittag zu einer „Erwerbslosenversammlung“ im „Löwenkeller“ ein- luden. Es kam dabei zu Zwischenfällen. Kommunisten unter Führung von KPD-Stadt- rat Wießner entrissen ihnen die Flugblätter. Als SA-Führer Fridolin Schmid dazwi- schenfuhr, schlug ihm Wießner ins Gesicht und schrie: „Wart, Dir wollen wir’s Unter- menschentum zeigen!“ 1 Bei der Versammlung selbst waren die Straßen zum „Löwenkeller“ von den Lin- ken gesäumt. „Die schiefsitzende Mütze saß auf dem Kopf wie festgewachsen, im Mundwinkel hing der Zigarettenstummel“, vermeldet ein zeitgenössischer Bericht. Der Saal war von Kommunisten und Angehörigen der Eisernen Front reichlich durch- setzt; sie waren entschlossen, die Veranstaltung zu sprengen. NS-Ortsgruppenlei- ter Karl Barth forderte vergeblich auf, Ruhe zu bewahren. Unter den Protestrufen sei- ner Gegner kam der Referent Dr. Glauner nicht mehr zu Wort. Die Versammlung lös- te sich auf, und die „Roten“ inszenierten auf den Straßen bis zum Marktplatz ei- ne Gegendemonstration. Wie nachher von Anhängern der SPD erzählt wurde, hatte Polizeirat Friedrich Schwäble einige seiner Polizisten auf der Bühne des Löwenkel- lersaales hinter den Kulissen postiert, um einer drohenden Saalschlacht zu begeg- nen. Das große Polizeiaufgebot forderte anschließend die Demonstranten auf dem Marktplatz ultimativ auf, auseinanderzugehen, was dann auf Weisung der Eisernen Front auch nach und nach befolgt wurde. Der Verlauf dieser Erwerbslosenversammlung setzte ein deutliches Sturmsignal. „Was dem Kommunistenschwanz in Aalen vorbeigelungen war“ so urteilte der NS-Chronist Karl Mutschler, „sollte am folgenden Tag, dem 25. Februar 1932, in Fach- senfeld mit Erfolg getätigt werden!“ Ja, die „Saalschlacht in Fachsenfeld“ markier- te einen Höhepunkt der gewalttätigen Zusammenstöße im regionalen Kampf um die Macht. Die Nationalsozialisten hatten ein Flugblatt verteilt, welches die organisier- te Arbeiterschaft in größte Erregung versetzte. Ein kleines Stück rosafarbenes Sei- denpapier trug den handgeschriebenen und vervielfältigten Text: „Öﬀ entliche Ver- sammlung. Am 25. Februar, 8 Uhr, spricht in Fachsenfeld im ‚Rößle‘ Dr. Glauner über ‚Irrlehren des Marxismus‘. Freie Aussprache!“ In der oberen Hälfte des Blattes sah man einen niedersausenden Hammer, im Be- griﬀ , den fünfzackigen Sowjetstern zu zerschlagen; daneben die Worte „Der Marxis- mus sterbe!« Der untere Teil zeigte das Hoheitszeichen der NSDAP, den Adler über dem Hakenkreuz, und die Worte „Der Nationalsozialismus lebe!“ 1 Alle Informationen aus Karlheinz Bauer, Vorwärts ist die große Losung, Heilbronn 1991.

Einem Bericht aus den Reihen der Nazi-Gegner zufolge spielte sich die Veranstaltung dann wie folgt ab: „Nach den Erfahrungen der vorausgegangenen Tage waren die Nazis vorsichtiger und hatten die Nazipartei und SA aus Heidenheim angefordert, was aber durch unsere Gewährsmänner in der Aalener SA rechtzeitig bekannt wur- de, so dass die aus Heidenheim ankommenden SA-Abteilungen, deren Lastwagen durch Hakenkreuzfahnen kenntlich waren, von politischen Gegnern schon auf der Straße zwischen Aalen und Fachsenfeld unsanft empfangen und begleitet wurden. Im Versammlungslokal selbst entstand nachher Sachschaden am Ofen, an Möbeln und Beleuchtungskörpern. Dank einer Anweisung der obersten Reichsbannerleitung und strenger Strafandrohung durch die Justiz kamen bei diesen Auseinandersetzun- gen Menschen nur geringfügig zu Schaden.“ Gewerkschafter des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV) waren wichtige Stüt- zen des politischen Widerstands im damaligen Kreis Aalen – auch abseits der Kreis- stadt; vielfach verband sie auch die Mitgliedschaft in der SPD. Eine besonders treue Kerntruppe bestand in Hofherrnweiler, ein Wohnplatz, der vor 1933 „die zuverläs- sigste Hochburg der SPD im Kreis Aalen“ war. Dort lebten vorwiegend Industrie- arbeiter, die in Aalen und Wasseralfi ngen ihre Arbeitsplätze hatten. Ein Zeitzeuge schrieb dazu: „In Hofherrnweiler waren unsere Genossen immer solidarisch, so dass sich die Nazis nicht getrauten, auch nur eine Versammlung abzuhalten.“ Ähnlich war es auch in Unterkochen, wo die Werkmeister Welz, Bledl und Herdeg sowie Genosse Wiedmann dem Reichsbanner angehörten; Albert Amerein hielt die Beziehungen zwischen Gewerkschaft und SPD aktiv aufrecht. In Wasseralfi ngen be- stand ebenfalls ein reges Parteileben, das hauptsächlich die Arbeiter der Schwäbi- schen Hüttenwerke und der Maschinenfabrik Alfi ng trugen. Nach Kräften unterstützten sich die sozialdemokratisch orientierten Kolleginnen und Kollegen gegenseitig. Dies galt auch, wenn in den Dörfern der Umgebung, etwa vor Wahlen, SPD-Redner auftraten. Für viele Mitglieder war es selbstverständlich, dass sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad solche Versammlungen besuchten und mittru- gen. Manchmal kam es dann vor, dass ihnen der auswärtige Referent Bier und Brot bezahlte, was in einer Zeit schlechter Wirtschaftslage und vieler Arbeitsloser dank- bar angenommen wurde. Aalen Zeitungsanzeige von Februar 1933: Wenn der junge SPD-Abge- ordnete Kurt Schu- macher spricht (nach dem Zweiten Welt- krieg war er Bun- desvorsitzender der SPD), galt: „Nazis ha- ben keinen Zutritt“ F 61 E

Aalen Gewerkschafter Opfer der Verhaftungswelle Der Aalener Gewerkschaftssekretär Karl Mikeler fand sich in einer stattlichen Rei- he von Männern und Frauen wieder, die den Nazis verdächtig waren: Am 11. März meldete die „Kocher-Zeitung“ die ersten Verhaftungen in Aalen. Sieben Funktionä- re und eine Funktionärin der KPD wurden in „Schutzhaft“ genommen. Sie wurden in Postomnibussen in das Konzentrationslager Heuberg gebracht, ein Lager, das auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Heuberg bei Stetten am Kalten Markt errichtet worden war. Am 20. März folgte eine weitere große Verhaftungswelle. In Aalen, Hof- herrnweiler, Wasseralfi ngen und Unterkochen, aber auch in einigen Außengemein- den wurden etwa 100 Personen festgenommen. Es waren hauptsächlich Kommunis- ten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer – um einen Eindruck von der Men- ge dieser Menschen zu geben, führen wir hier unten die Namen der 177 Frauen und Männer auf, die im damaligen Kreis Aalen verhaftet wurden.1 Zu dieser Razzia schrieb die „Kocher-Zeitung“: „Die Verhaftungen erfolgten teils, um das Leben von verschiedenen Personen zu schützen, zum Teil, weil die öﬀ entliche Ruhe und Ordnung gefährdet schien, und im Interesse der Staatsautorität.“ Es hieß ferner, „die Schutzhaft soll keine Strafe, aber auch kein reines Sommervergnügen sein“. Schon lange vorher waren die aktiven Kräfte der Linken durch SA und sonsti- ge Spitzel registriert worden. Die Verhaftungen selbst geschahen meist mitten in der Nacht, um kein öﬀ entliches Aufsehen zu erregen. Die Betroﬀ enen wurden durch Po- lizei, Landjäger sowie Mitglieder von SA und Stahlhelm aus den Betten geholt. Die Häuser waren während der Aktion von den Schergen des Faschismus umstellt und regelrecht umlagert. Gleichzeitig wurden die Wohnungen der Verhafteten, ebenso die Büroräume der SPD und der Gewerkschaften, durchsucht und alle dem Nationalsozialismus nicht geneh- men Schriften beschlagnahmt und verbrannt. Das Naturfreundehaus am Braunen- berg und das Waldheim im Rohrwang, das dem Arbeiterturnverein „Jahn“ gehörte, wurden polizeilich beschlagnahmt und den „nationalen Verbänden“ übergeben. Dass es Konzentrati- onslager gab, sollte jeder wissen – die Nazis informierten gezielt über regionale Lager, aber auch über Dachau, wo Platz für 5.000 „Politische“ sei – Einschüchterung pur. Karl Altmann, Pfahlheim Otto Amerein, Unterkochen Karl Balluﬀ , Aalen Erwin Bauer, Aalen JohannBetzler, Oberkochen Georg Bihlmayer, Ohmenheim Jakob Borst, Ellwangen Karl Borst, Unterrombach Josef Brenner, Aalen Georg Bullinger, Unterkochen August Cyron, Wasseralfi ngen Georg Diebold, Hofherrnweiler Karl Diebold, Aalen Johann Dittrich, Westhausen 1 Alle Informationen aus Karlheinz Bauer: Vorwärts ist die große Losung, Heilbronn 1991 F 62 E

Josef Dörrer, Aalen Rudi Dubrow, Dorfmerkingen Johann Eberhardt, Unterrombach Reinhold Ebertin, Aalen Karl-Heinz Eckart, Ellwangen Johannes Eisenmann, Pommertsweiler Alfred Endle, Aalen Hermann Endruhn, Aalen Franz Englert, , Wasseralfi ngen Eduard Fabritz, Aalen Friedrich Feder, Kirchheim am Ries Therese Feile, Unterbronnen Ludwig Fischer, Aalen Erwin Frei, WasseraHingen Dr. Franz Frick, Ellwangen Max Fuchs, Wasseralfi ngen Emil Funk, Wasseralfi ngen Eugen Funk, Wasseralfi ngen Josef Funk, Wasseralfi ngen Moritz Gentner, Zöbingen Gebhard Glaser, Reichenbach Sophie Goerlich, Pommertsweiler Ernst Götting, Aalen Alfred Göttlicher, Ellwangen Otto Götz, Aalen Rudolf Goggele, Wasseralfi ngen Ludwig Grammling, Ellwangen Christoph Griesheimer, Aalen Lony Grimm, Aalen August Grötzbach, Aalen Michael Grundler, Aalen Emil Gudat, Unterkochen Rosalia Haas, Ellwangen Josef Hägele, Abtsgmünd Hermann Hähnle, Aalen Johann Hämmerer, Hofherrnweiler Karl Hartmann, Ellwangen Fritz Heim, Hofherrnweiler Johann Henne, Unterrombach Wilhelm Henne, Oberkochen Anton Herdeg, Unterkochen August Hirsch, Aalen Karl Hirsch, Hofherrnweiler Johannes Hönle, Unterschneidheim Josef Hofmann, Aalen Adolf Holz, Hofherrnweiler Christian Holz, Hofherrnweiler Erwin Holz, Hofherrnweiler Georg Holz, Hofherrnweiler Hermann Holz, Aalen Ottilie Holz, Aalen Karl Honold, Unterkochen Willi Hübner, Unterkochen Gustav Huth, Aalen Karl Ilg, Aalen Franz Jarkovsky, Aalen Anton Joas, Wasseralfi ngen Christian Joas, Wasseralfi ngen Josef Joas, Aalen Wilhelm Joas, Aalen Jakob Jooß Oberkochen Hans Kauﬀ mann, Aalen Max Kauﬀ mann, Bopfi ngen Simon Keller, Aalen Paul Kling, Oberdorf Erich Klose, Aalen Friedrich Kober, Utzmernmingen Richard Kochendorfer, Oberkochen Franz Köhler, Rosenberg Christiane Kommerell, Wasseralfi ngen Wilhelm Kommerell, Wasseralfi ngen Wilhelm Kopp, Wasseralfi ngen Karl Krauss, Wasseralfi ngen Josef Kruger, Aalen Emil Kübler, Aalen Rudolf Kunze, Aalen Franz Kurz, Aalen Friedrich Kurz, Wasseralfi ngen Karl Laib, Oberdorf Christian Märkle, Unterrombach Josef März, Ellwangen Friedrich Mäule, Ellwangen Aalen F 63 E

Aalen F 64 E Jakob Maier, Hofherrnweiler Josef Maier, Baiershofen Paul Maier, Ellwangen Maria Mangold, Hohenstadt Franz Marterer, Aalen Georg Mergenthaler, Aalen Georg Merz, Aalen Paul Merz, Aalen Franz Metz, Aalen Josef Michel, Geislingen Kurt Michels, Ellwangen Karl Mikeler, Aalen Anton Müller, Trochtelfi ngen Gustav Müller, Trochtelfi ngen Wilhelm Müllner, Hofherrnweiler Georg Munz, Wasseralfi ngen Josef Nagel, Ellwangen Anselm Neher, Hohenstadt Josef Oﬀ ner, Oberdorf Johann Orth, Aalen Gertrud Ott, Adelmannsfelden Paul Ott, Adelmannsfelden Aloisia Pendelin, Utzmemmingen Anton Peter, Wasseralfi ngen Franz Peter, Aalen Alois Pfi tzer, Schwenningen Timofei Ploschnik, Aalen Adolf Pösselt, Wasseralfi ngen August Raab, Ellwangen Sebastian Rauneker, Aalen Anton Renner, Neresheim Adolf Rietzler, Aalen Otto Sass, Neuler Otto Sauter, Aalen Franz Seidl, Aalen Josef Siek, Aalen Karl Spohn, Pommertsweiler Stefan Schäfer, Ellwangen Georg Scheurle, Essingen Karl Schiele, Hofherrnweiler Hermann Schillinger, Hofherrnweiler Franz Xaver Schmid, Laubach Karl Schmid, Oberkochen Richard Schmid, Aalen Florian Schneider, Aalen Johannes Schneider, Aalen Anton Schnobrich, ltzlingen Richard Scholz, Baldern Josef Schultes, Waldhausen Johann Schuran, Aalen Viktor Stäbler, Jagstzell Richard Stanzel, Westhausen-Reichenbach Wilhelm Stegmaier, Aalen Johannes Stelzte, Nordhausen Josef Thau, Aalen Adam Vogt, Wasseralfi ngen Karl Vogt, Wasseralfi ngen Kaspar Vogt, Wasseralfi ngen Leopold Vrzala, Aalen Karl Wagenblast, Himmlingsweiler Eugen Wahl, Aalen Heinrich Wahl, Aalen Egon Waldenfels, Aalen Konrad Waldenmaier, Ellwangen Georg Walter, Unterrombach Hermann Wanke, Trochtelfi ngen Pius Weber, Ohmenheim Dr. Oskar Weinelt, Ellwangen Josef Weiß, Ellenberg-Schweizerhof Adolf Weitmann, Aalen Erwin Weitmann, Aalen Heinrich Weng, Aalen Christian Wichtermann, Aalen Rudolf Wille, Pfahlheim Engelbert Willerscheidt, Ellwangen Bernhard Winkler, Aalen Jakob Winkler, Hofherrnweiler Alexander Wittig, Aalen Georg Wörle, Aalen Konrad Wolf, Aalen Georg Wolfmaier, Hofherrnweiler

Hans Schaudt aus Ebingen – durch Willkür im KZ Ebingen (heute ein Teilort von Albstadt) gehört zu den Orten, die vor der Zerschla- gung der Gewerkschaften durch die Nazis im Frühjahr 1933 einen eigenen Eintrag im Adressverzeichnis des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV) hatten. Bei- spielsweise gehörte, umgeben von Textilindustrie, die Firma „Theodor Groz & Söh- ne“ (heute Groz-Beckert) zur Metall-Industrie – dank der Herstellung von Nadeln für die Textilien-Verarbeitung. Der DMV taucht in den Unterlagen der Zeit selten eigenständig auf. In Zeitungs- anzeigen zu Veranstaltungen laden meistens die „Vereinigten Gewerkschaften“ ein – häufi g im Verbund mit der SPD (beispielsweise zu Weihnachtsfeiern und Mai-Kundgebungen). Aus den historischen Dokumenten geht nicht hervor, welche Gewerkschaften darin zusammengefasst waren. Als Bevollmächtigten und gleichzeitig auch Kassierer führt die DMV-Liste von 1933 Hans Schaudt auf. Dieser lebte von 1887 bis 1974. Laut Einwohnermeldekarte war der gelernte Mechaniker seit 1922 von den Vereinigten Gewerkschaften als Sekre- tär eingestellt. Das Büro war oﬀ ensichtlich in der Eberhardstraße 1; allem Anschein nach in gemieteten Räumen. Hans Schaudt war für die SPD während der gesamten Zeit der Weimarer Republik im Ebinger Gemeinderat – 14 Jahre von 1919 bis 1933, als die Nazis auch die Gemein- deräte „gleichschalteten“. Im März 1933 wurde er verhaftet und wie viele SPD- und KPD-Mitglieder in das KZ auf dem Heuberg verbracht. Am Ostersamstag 1933 wurde er mit anderen wieder entlassen, Ende Mai 1933 jedoch wieder verhaftet – wie lange er hier in Haft bleiben musste, ist bisher nicht bekannt. Im November 1945 wurde er in das Gemeinderats-Komitee berufen, im Jahr darauf bei der ersten Nachkriegs-Wahl wieder in den Gemeinderat gewählt. 1959 wurde er letztmals auf sechs Jahre gewählt. jof / Dorothea Reuter, Stadtarchiv Albstadt (Albstadt-) Ebingen F 65 E

Freiburg Das Freiburger Gewerkschaftshaus in der damaligen Schwabentorstraße 2 – eine gemeinsame Adresse mit der Staatsbrauerei Rothaus F 66 E Freiburger Gewerkschafter im Gemeinderat – verhaftet und verfolgt Peter Kappes (1889-1960) • Seit 1926 war der gelernte Buchdrucker und Gewerk- schaftler Peter Kappes für die SPD Mitglied des Freiburger Bürgerausschusses, be- vor ihn die Nationalsozialisten nach dem Reichstagsbrand 1933 verhafteten. Wie die anderen Mandatsträger seiner Partei verzichtete er am 29. Mai 1933 auf seinen Stadtverordnetensitz. Nach dem Kriege war er stellvertretender Leiter des Arbeits- amts und Abteilungsleiter im Arbeitsministerium sowie von 1946 bis zu seinem To- de wieder Mitglied des Stadtrats.1 Reinhold Zumtobel (1878-1953) • Der Fabrikarbeiter Reinhold Zumtobel aus Hausen im Wiesental brachte es in Freiburg zum Chefredakteur der „Volkswacht“. Seit 1919 saß Zumtobel, der sich auch in der Gewerkschaftsbewegung engagierte, für die SPD im Stadtrat. Wie die anderen Mandatsträger der SPD wurde er nach dem Reichstags- brand 1933 verhaftet. Seine Zeitung wurde verboten. Er verlor sein Mandat bei der Gleichschaltung, blieb aber als Regimegegner im Visier der Nationalsozialisten und wurde im Zusammenhang mit dem Hitlerattentat am 20. Juli 1944 verhaftet.2 1 www.freiburg.de > Stadtgeschichte > Stadtrat in der NS-Zeit. 2 Ebenda.

Freiburg F 67 E Freiburger Gewerkschaftshaus – überfallen, durchsucht, beschlagnahmt Von der Vielfalt, die im Freiburger Gewerkschaftshaus ursprünglich herrsch- te, gibt der nebenstehende Auszug aus dem Adressbuch von 1933 einen Ein- druck. Auf die Gleichschaltungsaktionen vom Mai warteten die südbadischen Nazis nicht: Am 7. März 1933 wurde das Haus von Nazi-Einheiten nach Waﬀ en durchsucht und zwei Tage später geschlossen.1 Nach der Machtübernahme dekorierten die Nazis das Haus mit dem Emblem ihres „Nationalsozialistischen Betriebs-Organisation“ und pressten ihm den Namen des „Deutsche Arbeitsfront“-Bezirksleiters auf: „Fritz-Plattner-Haus“. Am 30. September 1933 wurde es pompös unter neuer Herrschaft eingeweiht. 1942 diente das Haus auch als Behelfslager für Zwangsarbeiter.2 1 2 Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Band 3. Hg. von Heiko Haumann und Hans Schadek. 2. Aufl age Stuttgart 2001. Band 3, S. 303. Bernd Spitzmüller: „... aber das Leben war unvorstellbar schwer.“ Die Geschichte der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Freiburg während des Zweiten Weltkrieges. Freiburg 2004. S. 67.

blick zurück: historische dokumente Knüppeldicke Propag- anda (oben) und faust- dicke Rechtsbrüche kennzeichneten das Nazi-Regime. Rundschreiben von Robert Ley ( Reichsleiter der NSDAP und Leiter des Ein- heitsverbands „Deutsche Arbeitsfront“) betreffend die „Gleichschaltungsaktion“ gegen die freien Gewerkschaften (Auszug), vom 21. April 19331 Dienstag, den 2. Mai 1933, vormittags, 10 Uhr beginnt die Gleichschaltungsaktion gegen die freien Gewerkschaften. […] Als der Terror begann: Nazi-Handbuch für den Staatsstreich von innen … Im Wesentlichen richtet sich die Aktion gegen den Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts- bund (ADGB) und den Allgemeinen freien Angestelltenbund (AfA-Bund). Was darüber hin- aus von den freien Gewerkschaften abhängig ist, ist dem Ermessen der Gauleiter anheimgestellt. Verantwortlich für die Durchführung der Gleichschaltungsaktion in den einzelnen Gebieten sind die Gauleiter. Träger der Akti- on soll die NSBO sein. SA bzw. SS ist zur Besetzung der Gewerkschaftshäuser und der Inschutzhaftnahme der in Frage kommenden Persönlichkeiten einzusetzen. Der Gauleiter trifft seine Maßnahmen im engsten Ein- vernehmen mit dem zuständigen Gaubetriebszellenleiter. Die Aktion in Berlin wird durch den Aktionsausschuß selbst geleitet. Im Reich werden besetzt: Die Leitung der Verbände; die Gewerkschaftshäu- ser und Büros der freien Gewerkschaften; die Parteihäuser der SPD, soweit Gewerkschaf- ten dort untergebracht sind; die Filialen und Zahlungsstellen der „Bank der Arbeiter, An- 1 Willy Müller: Das soziale Leben in Deutschland, Berlin 1938, S. 51 f. F 68 E

blick zurück: historische dokumente gestellten und Beamten AG“; die Bezirksausschüsse des ADGB und des AfA-Bundes; die Ortsausschüsse des ADGB und des AfA-Bundes. In Schutzhaft werden genommen: alle Verbandsvorsitzenden; die Bezirkssekretäre und die der Filialen der „Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten AG“. Die Ortsausschuss- vorsitzenden sowie die Angestellten der Verbände sind nicht in Schutzhaft zu nehmen, son- dern zur Weiterarbeit zu veranlassen. Ausnahmen sind nur mit Genehmigung des Gaulei- ters zulässig. Die Übernahme der freien Gewerkschaften muss in der Form vor sich gehen, dass dem Ar- beiter und Angestellten das Gefühl gegeben wird, dass diese Aktion sich nicht gegen ihn, sondern gegen ein überaltertes und mit den Interessen der deutschen Nation nicht überein- stimmendes System richtet. Die vorläuﬁge örtliche Leitung des ADGB und des AfA-Bundes übernimmt ein Kommissar der NSBO. Der Verkehr mit den Be- hörden und anderen Organisationen geht mit sofortiger Wirkung auf die eingesetzten Kommissare über. Alle Kassen und Konten der freien Gewerkschaften werden mit sofortiger Wirkung gesperrt bis Donnerstag, nachmittags, 18 Uhr. Soweit die bisherigen Kassiererer im Amt gelassen werden, wird ihnen ein Kommissar beigegeben beziehungsweise übergeordnet. Alle Zahlungsanweisungen müssen von dem Kommissar gegenge- zeichnet sein. Nach Aufhebung der Sperre müssen die gewohn- ten Auszahlungen an Unterstützungen und so weiter unbedingt sichergestellt sein, um bei den Mitgliedern keine Beunruhigung aufkommen zu lassen. … einschließlich Tipps zum Einlullen der Bevölkerung (hier zur Hervorhebung nachträglich farbig markiert) In allen Städten sind möglichst bald Massenversammlungen für die Gewerkschaftsmitglie- der bei freiem Eintritt zu veranstalten, in denen über den Sinn der Aktion gesprochen und dargetan wird, dass die Rechte der Arbeiter und Angestellten unbedingt gewahrt werden ... Die übrigen einzusetzenden Kommissare werden vom Gauleiter im Einvernehmen mit dem Gaubetriebszellenleiter ernannt. Es ist selbstverständlich, dass die Aktion in größter Diszi- plin vor sich zu gehen hat. Die Gauleiter sind dafür verantwortlich, dass sie die Leitung der Aktion fest in der Hand behalten. F 69 E

Freiburg Bericht des Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft Freiburgs, Eduard Spind- ler, über den Stand des Wiederaufbaus der Gewerkschaften in Baden, Oktober 19461 Wenige Tage nach dem Einmarsch der französischen Truppen in Freiburg im Breisgau traten einige frühere Kollegen der Gewerkschaften zusammen, um zu den nun schwebenden Tagesfragen Stellung zu nehmen und mit dem Befehlshaber der französischen Truppen in Fühlung beziehungsweise in Verhandlungen zu treten. Zu- sammenkünfte aller Art waren untersagt, trotzdem aber wurden unsererseits alle Vorbereitungen getroﬀ en, um im Falle der Erlaubni- serteilung unsere Leute bei der Hand zu haben. Als der Terror vorüber war: Schwieriger Weg zum zivilen, zivilisierten Leben Die erste Bildung bestand aus antifaschistischen Aufbaugruppen, die sich aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftern zusammensetz- ten, denen sich später auch Anhänger und Mitglie- der der ehemaligen Zentrumspartei anschlossen. Diesen Aufbaugruppen oblag die schwierige Aufga- be, aus dem Chaos der Übergangszeit das Bestmög- lichste für die Bevölkerung der Stadt bezüglich der Lebensmittelversorgung, der Wohnfrage, der Ru- he und Ordnung, der Wiederingangsetzung der le- benswichtigen Betriebe, der Krankenversorgung und dergleichen zu tun, und es war für uns in der damaligen Zeit keine leichte Arbeit. Nach wochen- und monatelanger unermüdlicher Arbeit konnten wir dann dazu über- gehen, feste Gebilde zu schaﬀ en. Aus den Aufbaugruppen entstand eine antifaschis- tische Arbeitsgemeinschaft, dann die Arbeiterwohlfahrt und die ersten Vorkehrun- gen für die neu zu gründenden Gewerkschaften. Nach dem Vorbild der Aachener Beschlüsse gingen auch wir Gewerkschafter dazu über, in den in der Zwischenzeit in Gang gesetzten Betrieben die Mitglieder zu werben. In sehr mühseliger Kleinar- beit ohne jegliche Mittel, ohne jegliches Material, denn alles was einst den Gewerk- schaften gehörte und der Naziorganisation der Deutschen Arbeitsfront zur Verfü- gung stand, war verschwunden und von diesem Verbrecherpack verschoben oder vernichtet worden. Kein Federhalter, kein Bleistift war mehr vorhanden, alles musste neu beschaﬀ t und gespendet werden […]. Die gegründeten Gewerkschaften haben sich nun zu Ortsausschüssen zusammen- geschlossen und bilden nun den Ortsausschuß der Freien Gewerkschaften. Die Ge- werkschaften zählen zur Zeit in der französisch besetzten Zone Südbadens ungefähr 26 000 Mitglieder, davon entfallen für Freiburg ca. 6 000 Mitglieder. (Zahlen sind noch unvollständig, da genaue Unterlagen noch ausstehen). 1 DGB Freiburg: Dokumente zur Geschichte der Gewerkschaft im DGB-Kreis Freiburg 1945- 1949, II. F 70 E

[…] Die wirtschaftliche Ankurbelung läßt sehr viel zu wünschen übrig. Das Fehlen von Rohmaterial, von Brennstoﬀ , Baustoﬀ en und der Rohmaterialien auf allen Gebieten macht sich sehr stark bemerkbar. Hinzu kommt das Fehlen von Verkehrsfahrzeugen, und vor allen Dingen ist für die Wirtschaft äußerst beeinträchtigend die strenge Zo- nenabsperrung. […] In wirtschaftspolitischer Beziehung können wir sagen, dass wir in dieser Beziehung zufrieden sein können. Ist es uns doch gelungen, durch unse- re Aktivität das badische Arbeitsministerium, das Wirtschaftsministerium, das Lan- desarbeitsamt und den politischen Arbeitseinsatz von unseren Kollegen zu beset- zen. Auch örtlich sind eine Reihe von maßgebenden Posten in unserem Besitz. Zur Zeit sind wir nun dabei, die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer und die Innungen paritätisch zu besetzen, obwohl wir hier noch einige Schwierigkei- ten zu überwinden haben. Aber wir hoﬀ en, den Widerstand der Arbeitgeber auch in dieser Frage brechen zu können. […] Was in zwölfjähriger verbrecherischer und verantwortungsloser Raubbauwirt- schaft vernichtet wurde, kann selbstverständlich nicht in 18 Monaten wiederaufge- baut werden. Hierzu kommt, dass wir als Antifaschisten und Antimilitaristen in vie- len Beziehungen bei der französischen Besatzungsbehörde wenig oder gar kein Ver- ständnis ﬁ nden. […] Bezüglich der Entnaziﬁ zierung das gleiche Lied! Während wir, die Gewerkschaften und Linksparteien, uns die größte Mühe geben, die städtischen und staatlichen Be- hörden mit einwandfreien und politisch nicht belasteten Gegnern der Nazibewegung zu besetzen sowie die Wirtschaft von nazistischen Elementen zu säubern, stellen sich sehr oft französische Dienststellen vor belastete Elemente und nehmen sie in Schutz. In den meisten Fällen sind Oﬃ ziere der Besatzung bei belasteten Nazis in Wohnung und unterstützen dieselben mit allen Dingen des täglichen Lebens. An Lebens- und Genußmitteln, an Feuerzeug, Gas und Strom, an Wohnungseinschränkung und all den üblichen Dingen, worunter der größte Teil der Bevölkerung zu leiden hat, ha- ben diese Herrschaften noch keine Not gelitten; und oft taucht in den Reihen unserer standhaften Kameraden die ernsthafte Frage auf, ob denn unser Kampf um den Aus- und Aufbau eines wirklich demokratischen Staates einen Zweck hat, wenn in dieser Beziehung das Gegenteil erreicht wird. Was uns zu dieser Klage treibt, ist nicht blinde Rache, sondern nur die gerechte For- derung, die belasteten Elemente zum Wiederaufbau des durch ihre Mitschuld in das furchtbare Unglück geführte Land heranzuziehen. Hoﬀ en wir, dass durch die baldige Genehmigung einer Zivilregierung diesem Mißstand ein Ende bereitet wird und der Glaube an eine wahre Demokratie wieder mehr Achtung gewinnt. […] Freiburg F 71 E

Heidelberg Nazis zerstören vor dem besetzten Heidelberger Gewerkschaftshaus Unterlagen und Fahnen – Zeitungs- bild von 1933. F 72 E Ich hab die Freiheit in Heidelberg verloren Direkt gegenüber der Polizeidirektion befand sich das alte Gewerkschaftshaus. Im Erdgeschoss war eine Gaststätte, der „Artushof“, in deren Saal die Veranstaltungen der Gewerkschaften meistens abgehalten wurden. Die Gaststätte war in der Zeit der Weimarer Republik auch geselliger Mittelpunkt der Arbeiter und ihrer Familien, die sich häufi g abends dort trafen. Auch wenn die Nazi-Partei den Begriﬀ „Sozialismus“ in ihrem Namen führte, so war doch die organisierte Arbeiterbewegung ihr Hauptangriﬀ sziel. Die Gewerkschaftsbe- wegung war ihr ein Dorn im Auge, weil sie wusste, dass gegen den Widerstand einer straﬀ organisierten Arbeiterschaft die totale Diktatur und die Vorbereitung des Zwei- ten Weltkrieges nicht möglich gewesen wären. Bei der Märzwahl 1933 hatte die NSDAP mit 45,9 Prozent die absolute Mehrheit im Reichstag verfehlt. Ermutigt durch das rund zwei Prozent höhere Ergebnis in Heidel- berg begannen die Nazis bereits drei Tage später mit Aktionen gegen die Gewerk- schaften in der Stadt. Am 8. März wurde das Gewerkschaftshaus polizeilich durch- sucht, anschließend von der SA und SS bewacht und am 12. März ein zweites Mal durchsucht. Der Vorsitzende des Ortskartells, Adolf Engelhardt, habe angeblich sei- ne Gewerkschaftsfunktion für SPD-Arbeit missbraucht. Als Beweis wurden der Pres- se fünf rote Ordnerarmbinden vorgelegt.

Die zweite, endgültige Besetzung des Gewerkschaftshauses fand am 2. Mai 1933 statt. Etwa 50 SA-Männer drangen in das Gewerkschaftshaus ein und nahmen den Sekretär der Gewerkschaft Holz, Fritz Schell, die Sekretäre Brückner und Schmaus sowie den Wirt des „Artushofes“, Hauer, fest. Dann hissten sie sowohl die Flagge mit dem Hakenkreuz als auch die Flagge der NSBO (Nationalsozialistische Betrieb- szellenorganisation). Bald darauf bezog die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) Quartier im Gewerkschaftshaus. Wenige Tage später wurden auch der Vorsitzende des Buchdruckerverbandes, Adolf Rausch, später Bürgermeister von Heidelberg, und der damalige SPD-Sekretär Josef Amman in Schutzhaft genommen. Bekannte Kommunisten – unter ihnen Franz Bö- ning, Otto Gabler, Simon Leibowitsch, Hans Fehrentz und der Landtagsabgeordne- ter Hermann Böning – waren bereits früher verhaftet worden. Sie alle kamen ins KZ Heuberg, während ihre Gesinnungsgenossen Anton Böhner, Karl Noe, Kurt Metten- heimer, Hans Gärter, Hans Beiler, Fritz Rimmler, Alfred Frick, Otto Gabler, Gottfried Deckelnick in das KZ Kislau bei Bruchsal eingeliefert wurden.1 1 Text aus Das andere Heidelberg – Ein alternativer Stadtführer, herausgegeben von der IG Metall, Verwaltungsstelle Heidelberg, mit einem Vorwort von Karin Benz-Overhage, Köln 1987. Heidelberg Das Heidelberger Gewerkschaftshaus 1948: Neben der roten Fahne weht das Schwarz-Rot-Gold der künftigen Republik; das Straßenschild am Bildrand ist für amerikanische Soldaten auf Englisch geschrieben. F 73 E

Heidelberg Verbotene Flugblätter und Hinrichtungen auf dem Firmengelände Erlebnisbericht von Anna Zambelli1, einer ehemaligen Beschäftigten der Fuchs-Waggonfabrik: In Heidelberg-Kirchheim gab es vor und während der Zeit des Faschismus viele po- litisch bewusste Arbeiter mit kommunistischer und sozialistischer Einstellung, die sich aktiv gegen den Faschismus zur Wehr setzten, indem sie im Gebiet des Höllen- steins und im Betrieb der Firma Fuchs-Waggonfabrik antifaschistische Flugblätter verteilten. Es war natürlich klar, dass diese Verteilung der Flugblätter absolut im Un- tergrund stattfand. Die SA und die SS ließen nichts unversucht, den Kern der antifa- schistischen Bewegung zu zerschlagen. Es verging deshalb auch kein Tag, an dem nicht Hausdurchsuchungen in sämtlichen Arbeiterwohnungen vollzogen wurden. Ein Teil der Arbeiterschaft der Firma Fuchs-Waggonfabrik bildete schon immer den Kern kommunistischer und sozialistischer Bewegung. Ich weiß, […] da gab es in der Nähe des Kirchheimer Bahngeländes ein kleineres rus- sisches Gefangenenlager. Die russischen Gefangenen lebten in kleineren, verwahrlos- ten Baracken und mussten für die Nazis irgendwelche Arbeiten verrichten. Die Verpﬂ e- gung und Behandlung der Gefangenen war so menschenunwürdig, dass es hie und da vorkam, dass sich die Gefangenen aus Eisenbahnwaggons Verpﬂ egung holten. Inzwischen sind die Namen der getöteten Zwangsarbeiter bekannt: Nikolai Ewdokimow (*8. 8. 1924) Alexej Bjelow (*1. 10. 1922) Wassili Skorkin (*1. 1. 1925) Anatolji Bachatschow (*8. 2. 1923) Pawel Chrebor (*10. 2. 1923) Solche Dinge sind natürlich auch an die Nazis verraten worden, und so kam es, dass an einem Morgen im Betriebsgelände der Firma Fuchs-Waggonfabrik Galgen aufgestellt wurden und fünf oder sechs Russen vorgeführt wurden. Die Galgen wurden na- türlich so aufgestellt ‚ dass es nach Möglichkeit der Öﬀ entlich- keit verborgen blieb.Trotzdem haben viele Arbeiter der Firma Fuchs-Waggonfabrik genau gesehen, wie fünf oder sechs Rus- sen durch die Heidelberger SA und SS aufgehängt worden sind. Die Hinrichtung ist so vollzogen worden: Ein junger Russe (wir nannten ihn den kleinen Stalin) musste die Holzkisten‚ auf denen die Russen stan- den, wegschieben. Herr Fuchs, der Fabrikdirektor, hat sich an diesem Tag aus dem Staub gemacht, damit später keiner sagen konnte, er wusste von alledem. Jeden, der sich gegen diese Methoden der Nazis gewandt hätte, hätte ein ähnliches Schicksal erwartet. Später wurde uns gesagt, dass die russischen Gefangenen Gift getrunken hätten und gestorben wären.2 1 2 Anna Zambellis Sohn Gerhard war übrigens von 1993 bis 1998 Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Aus IG Metall Verwaltungsstelle Heidelberg (Hg), Damit nichts bleibt wie es ist; bearbeitet von Peter Merz, Heidelberg 1986. F 74 E

„Man hat auf die Wahlen gesetzt“ Erinnerungen eines Gewerkschafters Ich war in der Zeit vor 1933 Mitglied der SPD. Wenn ich mich richtig entsinne, war die SPD in Heidelberg doch stark rechts eingestellt. Die Tradition von Ebert1 hat doch viel mitgewirkt. […] Die Sozialdemokraten hatten in dieser Zeit eine eigene Zeitung, „Die Volkszeitung“, die dann 1933 verboten wurde. Ich kann mich nicht mehr genau entsinnen, aber es hat einige Genossen gegeben, die frühzeitig auf die Gefahr des Nazismus aufmerksam gemacht und eine ande- re Politik verlangt haben. Unter einer anderen Politik wurde verstanden, dass man re Politik verlangt haben. Unter einer anderen Politik wurde verstanden, dass man schärfer gegen den Nationalsozialismus vorgehen muss. Zwischen der SPD und der KPD gab es, soweit ich mich erinnern kann, keine Kontakte. In den Gewerkschaften und Kulturverbänden gab es einige persönliche Kon- takte. Ich kann mich an eine Versammlung erinnern, da waren große Aus- einandersetzungen zwischen rechten und linken Sozialdemokraten in der Frage der Kooperation mit der KPD. Ich glaube, weitsichtige Leute haben damals schon erkannt, dass es zu spät war, dass man die Einheitsfront früher hätte machen müssen. Nur so hätte der Faschismus verhindert werden können. […] Auch als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde und die SPD und die Gewerkschaften zwar behin- dert wurden, aber diese noch legal tätig sein konnten, haben nur weitsichtige Leute in der SPD und in den Gewerkschaften erkannt, dass es bereits zu spät war. Man hat auf die Wahlen gesetzt, denn die Wählerzahlen der Nazis waren ja zuvor rückläuﬁ g gewesen. Man hat auch nicht damit gerechnet, dass die SPD verboten wird, denn sie hat sich ja in ihren Wahlergebnissen ziemlich gehalten. Am 2. Mai sind dann auch in Heidelberg die Gewerkschaftshäuser besetzt worden. Danach wurde auch die SPD verboten. In dieser Zeit fanden einige illegale Bespre- chungen statt, die aber ohne Ergebnis verlaufen sind. […] Mein Vater hatte damals gesagt: „Wenn der Lubbe den Reichstag angesteckt hätte, dann hätte er hundert Hände und Füße haben müssen“. Und da ist einer fort von der SA, der dabei geses- sen hat und hat ihn angezeigt. […] Er ist dann zu einem halben Jahr Haft verurteilt worden, wegen dieser Bemerkung. […] Fritz Winteroll, Gewerkschafter2 1 2 Friedrich Ebert, der erste sozialdemokratische deutsche Kanzler, stammte aus Heidelberg. Aus IG Metall Verwaltungsstelle Heidelberg (Hg), Damit nichts bleibt wie es ist; bearbeitet von Peter Merz, Heidelberg 1986. Heidelberg „Seine Stimme abgeben“ – selten hatte die doppelte Bedeutung dieser Formulierung so viel fatalen Sinn wie bei der Reichstagswahl 1933. F 75 E

Heidenheim F 76 E Heidenheimer Gewerkschafter in Haft, Vermögen einkassiert In Heidenheim erfolgte der Übergriﬀ auf die führenden Leute der Gewerkschaften bereits vor dem 2. Mai 1933. Der Heidenheimer Gewerkschafts-Kartellvorsitzende Hermann Wild und der Vorsitzende der Tabakarbeiter-Gewerkschaft, Heinrich Tal- mon-Gros, waren verhaftet worden und saßen im Konzentrationslager Heuberg. Peter Häberle, der im April 1928 zum Ersten Bevollmächtigten der Ortsverwaltung Heidenheim des Metallarbeiter-Verbandes gewählt worden war, wurde am 27. März 1933 morgens um 5 Uhr zusammen mit mehreren Reichsbannerleuten verhaftet und ins Gefängnis nach Ulm gebracht. Häberle war Führer des Reichsbanners, Mitglied des Vorstands der Heidenheimer SPD und außerdem im Aufsichtsrat der Konsumge- nossenschaft tätig. Bereits am 29. März 1933 wurde er aus dem Ulmer Gefängnis wieder entlassen. Die zweite Verhaftung erfolgte am 22. April 1933 wieder um 5 Uhr morgens. Er wurde in „Schutzhaft“ genommen und kam in das Konzentrationslager Heuberg, aus dem er nach 15 Wochen Haft am 5. August 1933 entlassen wurde. Zuvor musste er eine Er- klärung unterschreiben, dass er niemandem über die Zustände und die Behandlung im Lager berichten werde. Zur Zeit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 hatten die Gewerkschaften des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) rund 5.000 Mitglieder im Kreis Heidenheim. Allein der Metallarbeiter-Verband hat- te 1.300 Mitglieder. In der Kasse der Verwaltungsstelle Heidenheim des Metallarbei- ter-Verbandes befanden sich zu der Zeit rund 40.000 Reichsmark, die hauptsächlich für ein neues Metallarbeiter-Heim Verwendung fi nden sollten. Am 2. Mai 1933 wurde der zweite Bevollmächtigte des Metallarbeiter-Verbandes, Georg Kropp, von zwei mit Gewehren bewaﬀ neten SA-Leuten abgeholt, denen er alle Akten und die Kasse des Verbandes übergeben musste. Bei den anderen Ge- werkschaften wurden ähnliche Aktionen durchgeführt. Das Waldheim des ADGB auf den Heeräckern wurde beschlagnahmt. Damit waren die Gewerkschaften des ADGB „gleichgeschaltet“ und in die DAF übernommen. Der Heidenheimer NSBO-Kreisleiter veröﬀ entlichte damals eine Bekanntmachung, in der es hieß, „ anlässlich der Beset- zung der Gewerkschaftshäuser am 2. Mai versuchen verschiedene Hetzer in den Be- trieben, Unruhe in die Arbeiterschaft hineinzutragen. Gegen solche unverantwortli- chen Gerüchtemacher wird rücksichtslos vorgegangen.“1 1 Jürgen Bohnert: Die Gewerkschaften werden zerschlagen, in: Heidenheim zwischen Hakenkreuz und Heidenkopf, eine lokale Dokumentation zur Nazi-Zeit, Heidenheim 1983.

Heidenheim Terror anwenden, aber auch mit Terror drohen – das waren Rezepte der Nazis. Berichte über Verhaftungen sollten abschrecken. F 78 E Peter Häberle hatte besonders stark unter dem Druck der NS-Schergen zu lei- den. Mehrmals wurde er in der Nazi-Zeit verhaftet, unter Druck gesetzt, seine Wohnung durchsucht und seine Familie schikaniert. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften und dem Verlust des Ar- beitsplatzes war Häberle lange Zeit ar- beitslos. Häberle sah sein Lebenswerk zerstört, Haft und Repressalien taten ihr eigenes, sodass Häberle auch psychisch ange- schlagen war. Er starb nach langer Krank- heit 1939 in einem Ulmer Krankenhaus mit nur 46 Jahren. Hermann Wild war Geschäftsfüh- rer des Textilarbeiterverbands Heiden- heim und wurde am 25. März 1933 ver- haftet (siehe unten stehende Zeitungs- meldung). Wild war seit 1919 Sekretär des Textil- arbeiterverbandes. Er wohnte im Ge- werkschaftshaus der Textilarbeiter im Vorort Schnaitheim, wo er am 25. März zum ersten Mal verhaftet und nach Heuberg verschleppt wurde. Weitere Verhaftungen folgten. Während der NS- Zeit sicherte er sich seinen Lebensun- terhalt bei der Firma WCM durch Hilfs- tätigkeiten.

Heidenheim SA vor dem widerrechtlich besetzten Haus des Deutschen Textilarbeiter- verbandes Kriminelle Machenschaften wurden dem Tabakarbeiterverband unterstellt. Gewerkschaftssekretär Talmon-Gros hatte anscheinend noch vor seiner Verhaftung Sicherheitsmaßnahmen ergriﬀ en und Aktenmaterial vernichtet sowie Buchungen über die Schuldengrenze hinaus veranlasst. Sehr zum Leidwesen der NSDAP fan- den die SA-Trupps neben unvollständigen Akten eine Ortskasse mit Schulden in Hö- he von knapp 200 Reichsmark vor.1 1 Angaben auf dieser Doppelseite nach Recherchen von Maja Reusch, IG Metall Heiden- heim. Maifeier des Regimes in Heidenheim 1935 F 79 E

Heilbronn Letzte Ausgabe des „Neckar-Echo“ F 80 E Lang gehalten und doch gefallen: Gewerkschaften in Heilbronn Gewerkschaften, SPD, Reichsbanner und Eiserne Front standen in Heilbronn rela- tiv lange auf passablem Posten gegen die Nazis: Am 5. Februar 1933 brachten sie 10.000 Menschen auf dem Marktplatz zusammen, um gegen Hitler und seine Pläne zu demonstrieren. Im „roten Böckingen“ forderte die KPD sie mit einigen Kilometern Abstand zum „gemeinsamen Kampf“ auf. Bei der Reichstagswahl erreichten die Fa- schisten weniger als ein Drittel der Heilbronner Stimmen; die SPD blieb mit 31,7 Pro- zent gar stärker – allerdings nur 0,1 Prozent. Um so rabiater gingen die Nazis gegen ihre Gegner in der „roten Hochburg“ Heil- bronn vor. Dabei tat sich besonders der Maschinenbau-Ingenieur Richard Drauz als Kreisleiter der NSDAP hervor. „Unsere führenden Männer sind rücksichtslos genug, alles, was sich ihnen in den Weg stellt, mit Vernichtung zu schlagen“, tönte er – nicht zuletzt über sich selbst. Bereits ab dem 6. März wurde die Tageszeitung der Heilbronner SPD, das „Neckar-Echo“, durch eine Verfügung des württember- gischen Innenministeriums verboten. Das Verbot war zwar bis zum 17. März befristet, doch schon am Morgen des 12. März be- setzte die SA das Verlagsgebäude in der Allee. Die Nationalsozia- listen nutzten dieses Gebäude dann in den folgenden Jahren, um ihr „Heilbronner Tagblatt“ herzustellen. Ebenfalls am 12. März wurde das Gewerkschaftshaus, das „Volks- haus“ an der Ecke Weinsberger-/Paulinenstraße, sowie das Haus des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV) in der Gartenstra- ße vorübergehend besetzt. Ab Mitte März 1933 wurde auch mas- siv gegen sozialdemokratische Mandatsträger und Funktionäre vorgegangen, nachdem Kommunisten schon früher verfolgt wor- den waren. Das Reichsbanner und die Eiserne Front sowie sämt- liche Vereinigungen, die für die Belange dieser beiden Organisationen eintraten, liche Vereinigungen, die für die Belange dieser beiden Organisationen eintraten, wurden verboten, deren Vermögen beschlagnahmt, die Funktionäre verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen. Auch der Heilbronner SPD-Reichstagsabgeordnete Fritz Ulrich wurde in Stuttgart verhaftet und kam ebenfalls in „Schutzhaft“. Am 26. März wurden die ersten etwa 60 Heilbronner Antifaschisten mit zwei Bussen in das Kon- zentrationslager Heuberg abtransportiert. Nun gingen die Nazis daran, die Gewerkschaften zu zerschlagen. Es nützte der AD- GB-Führung nichts, dass sie versucht hatte, sich von der SPD zu lösen, und der Hit- ler-Regierung ihre Mitarbeit im „neuen Staat“ anbot. Diese Haltung und der Be-

schluss des ADGB, seine Mitglieder zur Beteiligung an dem von den Nazis inszenier- ten „Tag der nationalen Arbeit“ aufzurufen, führten bei den Gewerkschaftern in Heil- bronn „zu allgemeiner Verwirrung und maßloser Enttäuschung“. Am 2. Mai erstürmte die SA endgültig die Heilbronner Gewerkschaftshäuser. Das Vermögen wurde beschlagnahmt und die Gewerkschaftssekretäre mit vorgehalte- nem Revolver gezwungen, eine Entlassungsurkunde zu unterzeichnen. Die meisten hauptamtlichen Funktionäre, aber auch Betriebsräte, wurden verhaftet und in die hauptamtlichen Funktionäre, aber auch Betriebsräte, wurden verhaftet und in die „Schutzhaft“ abgeführt, darun- ter die Bevollmächtigten des DMV, Carl Baßler und Otto Voll- mer, sowie der Geschäftsführer des ADGB, Friedrich Reinhardt. Die Heilbronner Gewerkschaf- ten mit ihren 12.000 Mitglie- dern waren zerschlagen. Heilbronn Am 16. März 1933 wur- den die sozialdemokra- tischen Stadträte Ernst Riegraf (im Bild) und Karl Britsch auf dem Weg zur Gemeinderatssitzung vor dem Rathaus von NS-Schlägern niederge- prügelt, abgeführt und in „Schutzhaft“ genommen. Carl Baßler, der Bevollmächtigte der Metallarbeiter F 81 E

Heilbronn Arbeitsbedingungen im Nazi-Staat Nach der Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 beanspruchte zu- nächst die „Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation“ (NSBO) die Nach- folge. Am 10. Mai setzten die Nazis jedoch die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) an die Stelle der Freien Gewerkschaften. Formal eine Organisation „aller schaﬀ enden Deut- schen“, also auch der Arbeitgeber, war sie in Wirklichkeit ein Instrument zur Bespit- zelung und Disziplinierung der Arbeiterschaft. Mit dem „Gesetz über die Betriebsvertre- tungen“ vom 4. April 1933 gingen die Na- zis gegen missliebige Betriebsräte vor und ersetzten sie durch Parteigenossen. Am 19. Mai 1933 wurden mit dem „Gesetz über die Treuhänder der Arbeit“ das Streikrecht und die Tarifautonomie liquidiert. Vom fa- schistischen Staat eingesetzte Beamte („Treuhänder der Arbeit“), meist ehemali- ge juristische Berater der Arbeitgeberver- bände, übernahmen nun die Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. In den Firmen (hier Karosseriewerke Drauz KG, Heilbronn) mussten Reden von Adolf Hitler häufi g im sogenannten „Ge- meinschaftsempfang“ angehört werden. Mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar 1934 wurden die Unternehmer als „Betriebsführer“ zu fast unumschränkten Herrschern, denen die Arbeiter und Angestellten als „Gefolgschaftsmitglieder“ ausgeliefert waren. Im Sinne dieses Gesetzes wurden Betriebsordnungen erlassen. Trotz der relativ geringen Preissteigerungen in den Jahren 1933 bis 1939 gab es nur für die Beschäftigten der von der Rüstungskonjunktur begünstigten Branchen rea- le Lohnsteigerungen. In allen anderen Produktionsbereichen und vor allem bei den Dienstleistungen sank dagegen das Realeinkommen. Als Maximalarbeitszeit wurde der Zehnstundentag amtlich festgelegt. Überstunden wurden aber großzügig geneh- migt und waren mit einem Zuschlag von 25 Prozent zu vergüten. Die Heilbronner In- dustrie war bis 1937/38 nicht voll ausgelastet, die durchschnittliche Wochenarbeits- zeit lag noch bei 50 Stunden. Ab 1938 wurde wegen der Rüstungskonjunktur die Arbeitszeit ständig erhöht, ge- gen Ende des Krieges mussten die verbliebenen Arbeitskräfte durchschnittlich 60 Stunden in der Woche arbeiten. Außerdem wurde die Arbeitsintensität durch Rati- onalisierungsmaßnahmen gesteigert. Die so immer schärfer werdende Ausbeutung schlug sich auch in der deutlichen Zunahme von Arbeitsunfällen nieder; den Unter- nehmen, vor allem den Rüstungsfi rmen, sicherte sie dagegen enorme Profi te. F 82 E

Infolge der Schaﬀ ung von Massenorganisationen wie dem Reichsarbeitsdienst und so weiter, der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpfl icht, der Herausnahme der Frauen aus der Produktion sowie der ungehemmten Aufrüstung verringerte sich bis 1939 die Erwerbslosigkeit auch im Arbeitsamtsbezirk Heilbronn. Ab 1936 erhielten im Raum Heilbronn sowohl die Branchen Maschinenbau und Metallverarbeitung als auch die Automobilindustrie zunehmend Rüstungsaufträge. Nach Kriegsbeginn wurden verstärkt Frauen in der Rüstungsproduktion kriegs- dienstverpfl ichtet. Sie wurden teilweise zu Schwer- und Schichtarbeit herangezo- gen, ohne dass sie jedoch im Lohn und in der Lebensmittelzuteilung den Männern gleichgestellt wurden. Die Kaufkraft erhöhte sich nun auch für die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie nicht mehr. Der zivile Konsum wurde durch Lebensmittelra- tionierung und Drosselung der Verbrauchsgüterproduktion ständig eingeschränkt, blieb jedoch – anders als im Ersten Weltkrieg – durch rücksichtslose Ausplünderung der besetzten Länder auf einem scheinbar relativ erträglichen Niveau.1 1 Mit geringfügigen Änderungen entnommen aus IG Metall Verwaltungsstelle Heilbronn (Hg.): Trau! Schau! Wem? – Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Raum Heilbronn/Neckarsulm 1844–1949; bearbeitet von Susanne Stickel-Pieper, Heilbronn 1994. Heilbronn Seit 1933 wurde jährlich der „Reichsberufswett- kampf“ durchgeführt. Das Bild zeigt Arbeiterinnen der Zwirnerei Ackermann in Sontheim, 1938. F 83 E

Karlsruhe F 84 E Leopold Rückert – Metaller, Minister, ermordet Leopold Rückert starb 1942 „an einem Herzleiden – vermutlich infolge eines voran- gegangenen Gestapo-Verhörs“. Relativ zurückhaltend wurde der Tod des Mannes in einer Pressemitteilung der Karlsruher SPD anlässlich der Verlegung eines Stolper- steins für ihn beschrieben: Am 16. April 2013 setzte der Kölner Künstler Gunter Dem- nig in der Ettlinger Straße 45 für Rückert einen seiner berühmten (inzwischen rund 40.000) Erinnerungssteine in den Gehweg – zur Erinnerung an einen Menschen, der Opfer der Verfolgung durch das NS-System wurde. Viele Stolperstein-Initiativen sprechen grundsätzlich von Mord, wenn ein Gegner der Nazis im Zusammenhang mit der Verfolgung durch das braune System zu Tode kam – der Tod von Nicht-Fa- schisten war eingeplant und gewollt, auch wenn er im Einzelfall womöglich nicht in diesem Augenblick gezielt herbeigeführt wurde. Als erster hauptamtlicher Geschäftsführer des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV) für Karlsruhe und Umgebung sowie als Sozialdemokrat stand Leopold Rückert grundsätzlich auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Der gelernte Schlos- ser übernahm die Arbeit im DMV-Büro bereits 1905 und betrieb sie bis 1918. Als eher konservativer SPD-Mann passte er ins kompromissorientierte Personalkonzept der badischen Revolutionsregierung, die einen behutsamen Übergang von der Monar- chie zur Demokratie versuchen wollte. Zunächst als „Minister für Verkehrswesen“, später als „badischer Staatsminister für soziale Fürsorge und öﬀ entliche Arbeiten“ erwies Rückert sich als erfolgreicher Mann des Ausgleichs.

Karlsruhe Als der 1. Mai noch nicht in die Hände der Nazis gefallen war: Leopold Rückert (mit Hut) zwischen der Karlsruher SPD-Frau Kunigunde Fischer und DMV-Geschäftsführer Gustav Schulenburg auf dem Weg zur Kundgebung am 1. Mai 1930. F 85 E Als – wie man heute sagen würde – Sozialminister versuchte er durch Wohnbaupro- jekte, die Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerungsschichten zu verbessern und auch Arbeitsplätze zu schaﬀ en – doch als ein Siedlungsunternehmen in Pforz- heim in Konkurs ging, trat Leopld Rückert zurück und arbeitete neben anderen Auf- gaben als Abgeordneter weiter. „Am 3. Februar 1933 erlebte Leopold Rückert seine Sternstunde als Parlamentarier“, heißt es über ihn in den „Badischen Biografi en“1. Mit scharfen Worten verteidigte er das Parlamentarische System gegen NS-Propaganda. Wenige Wochen später wurde der 52-Jährige vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. Ohne Parlament war der Abgeordnete arbeitslos und musste versuchen, seine Familie als Versicherungsver- treter zu ernähren. Er war Überwachung und anderen Schikanen ausgesetzt – auch wenn der beliebte Politiker im erzwungenen Ruhestand besser behandelt wurde als viele andere Gegner des Nazi-Systems. Ob das viele Treppensteigen als Versicherungsvertreter oder persönlicher Terror der Geheimen Staatspolizei den 62-Jährigen schließlich zu Tode brachte – es scheint eindeutig, dass der langjährige Gewerkschafter und Politiker starb, weil die Faschis- ten seinen Lebensraum immer mehr einengten. 1 Frank Raberg in: Badische Biographien, Stuttgart 1985.

Karlsruhe F 86 E Ein Jahr Gefängnis für einen Metall-Gewerkschafter, weil er eine Zeitung besaß Durch die konsequente Verfolgung aller Organisationen der Arbeiterbewegung gab es auch in Karlsruhe keine Strukturen mehr, die einen wirksamen Widerstand hät- ten auf die Beine stellen können – weder lokal, schon gar nicht überörtlich vernetzt. Doch Menschen, die sich dem Terror-System mit großem Einsatz entgegensetzten, gab es auch in Karlsruhe. Eine eigene Dokumentation des Widerstands wäre selbst- mörderisch gewesen – wären solche Unterlagen in die Hände der Nazis gefallen, hätte das furchtbare Folgen gehabt. So sind häufi g die Unterlagen der Strafverfol- gung bei allem berechtigten Zweifel an Qualität und Objektivität des NS-Apparats die beste Quelle, um über den Widerstand etwas zu erfahren. Doch nach ei- nem Bombenangriﬀ sind 1944 die Akten des Oberlan- desgerichts Karlsruhe verbrannt. Daher ist die Überlie- ferung besonders unvollständig. Da eine gemeinsame Plattform wie beispielsweise die Gewerkschaft oder auch nur Betriebsräte fehlten, agierten die zuvor schon konkurrierenden politischen Lager jeweils alleine: Die Karlsruher KPD brachte be- reits im März 1933 die Zeitschrift „Trotz alledem: Ro- te Fahne“ heraus. Anfangs wurden 100 bis 150 Exem- plare jeder Ausgabe hektographiert, später 300. Das einfache Druckgerät stand in Privatwohnungen, Drei- ergruppen von KPD-Aktiven verteilten die Blätter – nur einer der drei hatte Kontakt zu einer anderen Dreiergruppe; keiner sollte einen Über- blick über das gesamte Netzwerk haben, damit bei Verhaftungen Einzelner nicht das ganze System auﬄ iegen sollte. Auch anonyme Weitergaben sind überliefert: Man fand eine Nachricht, wann man wo warten sollte, dann übergab einem ein unbe- kannter Radfahrer am angegebenen Platz 20 Exemplare der „Trotz alledem“. Ob nun Gustav Kappler und Eugen Wiedmaier die geistigen Köpfe hinter diesem Blatt mit der kleinen Aufl age und dem großen Aufwand waren oder doch Eva Ma- ria Rosenberg und der Student Herbert Paltschik oder alle zusammen oder andere – nachdem diese Verdächtigen Anfang 1934 verhaftet worden waren, gab es keine neuen Ausgaben. Wilhelm Belschner, der nach 1945 die IG Metall in Karlsruhe mit- begründete, wurde im Oktober 1933 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil man bei einer Hausdurchsuchung ein Exemplar bei ihm gefunden hatte.

Karlsruhe Neben dieser publizistischen Arbeit produzierten die Karlsruher Kommunisten auch Flugblätter, die sie über ihren internen Kreis verteilten, und im Ausland hergestellte Tarnschriften. Einer der Boten, die solche Drucksachen zu Fuß transportierten, war der Daxlander Metallarbeiter August Dosenbach. Er wusste, dass die Gestapo ihn im Visier hatte, und ging extra ohne Druckschriften seinen Weg – dennoch wurde er „auf der Flucht erschossen“. Zumindest bis 1936 unterhielt die KPD in Karlsruhe ein funktionsfähiges Kommuni- kationsnetz, über das Druckschriften verbreitet und Gelder für die „Rote Hilfe“ ge- sammelt wurden. Josef Eckl und Friedrich Dietz fl üchteten danach ins Ausland, Ru- dolf Ritter aus Karlsruhe und Adolf Betz aus Durlach wurden bereits 1935 verhaftet und zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Die Sozialdemokraten in Karlsruhe begannen erst später im Jahr 1933 mit illegaler Informationsarbeit; eine zentrale Person dabei war Georg Reinbold, der vom Saar- land und vom Elsaß aus das Einschmuggeln von sozialdemokratischen Zeitungen or- ganisierte. Verhaftet und mit mehrmonatigen Haftstrafen belegt wurden unter ande- rem der Maler Friedrich Weick, Wilhelm Oﬀ enbacher, Walter Knobloch, August Jülg, Emil und Eugen Kern, Albert und Hermann Erny sowie Willy Lange, Hellmut Stutz, Hermann Walter und Karl Konz. Dramatische Folgen hatte 1944 der Versuch von Widerstand in den Reihen von Kriegsgefangnen, die in mehreren badischen Lagern Komitees der „Brüderlichen Zusammenarbeit“ gründeten und vernetzten, darunter Baden-Baden, Rastatt und Karlsruhe – die Folgen trafen allerdings nicht die Faschisten, sondern ihre Gegner selbst: In Karlsruhe wurden über 300 Angehörige der Organisation verhaftet und größtenteils in Dachau, Flossenbürg und Mauthausen erschossen. Am 12. Januar 1945 wurde der Karlsruher Rechtsanwalt Reinhold Frank, ein christli- cher Demokrat, der auch schon Oppositionelle in seiner Heimatstadt verteidigt hat- te, in Berin hingerichtet, weil ihm Verbindungen zu den Militär-Verschwörern des 20. Juli vorgeworfen wurden.1 1 Alle Angaben dieses Beitags nach IG Metall, Vst. Karlsruhe (Hg.): Unser die Zukunft, Do- kumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Karlsruhe 1845 - 1952; bearbeitet und eingeleitet von Wolfgang Glaeser, Heilbronn 1991. F 87 E

Herrenberg Nicht immer eine Heldengeschichte Wer die Spuren der Kollegen nachverfolgen will, die vor 80 Jahren vor Ort mit ihrem Namen für den Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) standen, darf nicht immer mit spannenden Archivfunden rechnen. Stefanie Albus-Kötz vom Stadtarchiv Her- renberg kam zu dem Ergebnis: „Wir konnten weder gewerkschaftseigene Immobili- en noch Bildmaterial oder weitere Informationen zum DMV in Herrenberg in unseren Beständen ermitteln.“ Über Paul Niethammer, der im Adressverzeichnis des DMV von 1933 als Kassierer aufgeführt ist, berichteten die Akten immerhin, dass er Elektrikermeister war, am 6. Februar 1887 geboren wurde und am 15. Dezember 1974 in Nagold starb. Über Fritz Leyerle, der als Bevollmächtigter im Adressbuch steht, ist gar nichts in den städtischen Akten zu fi nden. Doch einen anderen – wenngleich augenscheinlich nicht besonders erfreuli- chen – Hinweis konnte die Archiv-Fachfrau geben: Einer Doktorarbeit über po- litische Parteien in Herrenberg1 ist zu entnehmen, dass der 1886 geborene Her- renberger SPD-Gemeinderat Heinrich Kohler zunächst in Reutlingen arbeite- te, sich dort dem DMV anschloss, als dessen Funktionär er oﬀ enbar bis 1925 auch Vorstandsmitglied war. Nach den Informationen aus der Spruchkamme- rakte des Gewerkschafters2 kam Kohler 1911 nach Herrenberg, wo er bei der Elektrischen Kraftübertragung Herrenberg angestellt war und 1925 Werkstatt- meister wurde. Oﬀ enbar trat Kohler dann unter politischem Druck 1937 in die NSDAP ein und wurde dort sogar Blockwart. 1 2 Rafael Binkowski: Die Entwicklung der Parteien in Herrenberg 1918-1933, Diss. phil. Stuttgart 2007, S. 130. STAL EL 902/4 Bü 7382. F 88 E

Manchmal sind keine Nachrichten gute Nachrichten – vielleicht … Als die Leiterin des Archivs und Museums der Stadt Kehl ihre Bestände nach den beiden Männern durchforstete, die 1933 als örtliche Ansprechpartner des Deut- schen Metallarbeiter-Verbands (DMV) genannt wurden, fand sie schließlich, „dass beide Herren den NS-Terror überlebt haben“. Oﬀ ensichtlich ist auch, dass sie keine Büroräume zur Verfügung hatten, sondern ihre gewerkschaftlichen Aufgaben in den Betrieben oder eben bei sich zuhause ausübten. Georg Schwarz ist am 2. Mai 1881 in Dillingen/Saar geboren, war von Beruf Arbei- ter, hat am 14. Oktober 1905 in Kehl Sofi e Bohnert geheiratet und wohnte auch noch am 9. Juni 1944 in der Kinzigstr. 46 – der Kontaktadresse, unter der man ihn im Ge- werkschafterverzeichnis von 1933 fand, und zwar als Mieter. Er ist am 12. Mai 1958 in Kehl gestorben. Friedrich Dill ist am 23. Juli 1874 in Gassen, Kreis Gelnhausen, geboren, war Schlos- ser von Beruf und heiratete am 1. November 1902 in Kehl Marie Rapp aus Kehl. In der Heßlöhstraße 10 (die auch schon im Adressverzeichnis des DMV stand) wohnte er zumindest bis zum 23. Juni 1942. Er ist am 8. März 1955 in Kehl gestorben. Kehls Archivarin Ute Scherb stieß auch im Bundesarchiv Berlin auf die beiden: In der Akte R 58/414 ist ein Schriftwechsel zwischen dem Bezirksamt Kehl (Geheime Staat- spolizei), dem „Geheimen Staatspolizeiamt Karlsruhe“ und dem „Polizeikomman- deur der Länder“ in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße 8, erhalten: Am 26. August 1935 re- agiert die Kehler Gestapo auf ein Ersuchen der Karlsruher Gestapo vom 12. August 1935 und liefert „ein Verzeichnis aller im Dienstbereich der Geheimen Staatspoli- zei Kehl bekannten, ehemaligen Funktionäre der SPD-Gewerkschaften“. Hier sind Friedrich Dill als Bevollmächtigter des Metallarbeiter-Verbands und Georg Schwarz als Kassierer genannt. Soweit die Haftlisten des Kehler Gefängnisses für die Jahre 1934 bis 1941 erhalten sind, werden die beiden Gewerkschafter dort nicht genannt. Ob die beiden Kehler Metall-Gewerkschafter tatsächlich ohne strenge Verfolgung durch die faschistischen Jahre gekommen sind, lässt sich anhand dieser Aktenlage höchstens vermuten – immerhin gibt es bisher keine gegenteiligen Informationen.. Kehl F 89 E

Ludwigsburg Altes produzierendes Gewerbe in Ludwigs- burg: Die Firma Heinrich Franck & Söhne mit Produkten wie Caro-Kaff ee F 90 E Ab dem 4. April 1933: Widerstand ohne Chance auf größere Wirksamkeit Im Anschluss an die letzten Reichstagswahlen am 5. März 1933 waren die Arbeiter- parteien durch die Razzien und den Terror gelähmt. Am 15. März wurden auch in Lud- wigsburg das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der Kampfbund gegen den Faschis- mus, die kommunistischen Arbeitersportvereine einschließlich der Schützenverei- ne aufgelöst und verboten, Schieß- und Sportplätze geschlossen und das Vermögen der Arbeiterorganisationen eingezogen1. Nicht besser ging es den Arbeitergesangvereinen: „ […] ist neulich der Arbeiter- gesangverein ‚Vorwärts‘ vorläuﬁ g polizeilich geschlossen worden, nachdem das gleiche Schicksal schon früher den Turnerbund Ludwigsburg, den Turnverein Hohen- eck, den Turnverein Eglosheim e. V. und die freie Turner- schaft Ossweil ereilt hatte. In einigen anderen Fällen steht eine Entscheidung der Behörden noch aus.“2 Es blieben als einzige ernst zu nehmende Organisati- on die Gewerkschaften übrig. Auch deren Kampfkraft war geschwächt, weil nur etwa ein Drittel der Gewerkschafts- mitglieder noch Arbeit hatte. Trotzdem stand die Arbeiter- schaft in weiten Teilen in Distanz zu den Nazis: Bei den Betriebsratswahlen im März 1933 waren die ersten Ergeb- nisse so schlecht für die Nazis (25 Prozent für die Natio- nalsozialistische Betriebsorganisation, über 70 Prozent für die Freien Gewerkschaften), dass die Wahlen abgebrochen und ausgesetzt wurden. Anstatt auf diese Unterstützung aus den Betrieben zu bauen, klammerte sich die ADGB- Führung an die Illusion, man könne in einem Vergleich mit den Nazis die Organisation retten. Am 4. April wurden die Betriebsratswahlen dann per Gesetz verboten. In Folge wur- den die Betriebsräte durch die NSBO (Nationalsozialistische Betriebsorganisation – sozusagen die Nazi-Gewerkschaft) zum Rücktritt gezwungen. Eigens für die Rücktrit- te der Betriebsräte wurden Formblätter gedruckt: die der Betriebe KAWAG, Fa. Hein- rich Burkhardt, Hagspiel Apparatebau, Orgelbau Walcker, Vereinigte Metallwarenfa- brik (vorm. Th. Kapﬀ ), Hubele, GdF (Wüstenrot), Wagner + Keller, André & Goosens, Pfeiﬀ erwerk AG, Eisfi nk, Karl Weiss & Cie, Heinrich Franck Söhne GmbH, Ungeheuer 1 2 LZ, 15. 3. 1933. LZ 19. 4. 1933.

+ Ulmer, Bleyle, Ziegelwerke Ludwigsburg, O & M Hausser, G. W. Barth, Beru, Metall AG, Bremer & Brückmann, AOK, Gebrüder Stern aus Ludwigsburg sind heute noch vorhanden. Ebenso die der Betriebsräte Julius Knapp, Streicher, Eisfi nk, Frischauer Farbenfabrik, Eugen Weidner und der Württembergischen Gärtnereigenossenschaft in Asperg, der Firmen Karl Rommel und Grotz in Bissingen, Salamander, Stotz; der Buchdruckerei Gustav Reichert, Willy Cantz und Stahlfensterbau Wilhelm Conrad in Kornwestheim. Außerdem die der Seidenstoﬀ weberei in Markgröningen und der Fir- ma Kleinheinz in Möglingen. Den Betriebsratsmitgliedern Ernst Kaufmann, Otto Münz, Otto Theurer und Anna Riedl der Firma Bremer & Brückmann wurden am 26. April 1933 wegen staatsfeindli- cher Einstellung das Betriebsrats-Mandat entzogen. Am gleichenTag wurde der rest- liche Betriebsrat zum Rücktritt gezwungen.3 Sofi e Damböck, die bei der Betriebsratswahl am 25. März 1933 in Abwesenheit in den Arbeiterrat der Firma Bleyle gewählt worden war, wurde am 21. April das Mandat entzogen und ihr wurde gleichzeitig gekündigt. Im Kündi- gungsschreiben der Firma Bleyle, das am 6. April geschrie- ben und auf den 20. April datiert ist, steht: „Nachdem Sie nun schon seit 11. März 1933 interniert sind, sehen wir uns genötigt, Ihren Arbeitsplatz anderweitig zu besetzen und kündigen Ihnen auf heute über 14 Tage, also auf den 20. April.“ Am 21. April wurde Sofi e Damböck ins Frauenge- fängnis Gotteszell gebracht.4 Mit der Absetzung der Betriebsräte verloren die Gewerk- schaften einen zentralen Teil ihrer Organisationsbasis in den Betrieben. Die Betriebsräte waren nach dem Selbst- verständnis der Gewerkschaften auch ihre Vertreter und Ansprechpartner an der betrieblichen Basis gewesen – quasi ihr „verlängerter Arm“. Mit der Ausschaltung von tausenden Gewerkschaftsfunktionären in den Betrie- ben wurde der Rückhalt der Gewerkschaften an der Basis schwer getroﬀ en, sodass sie nun nicht viel mehr darstellten als isolierte Organisa- tionen, die zu machtvollen Kampfaktionen nicht mehr fähig gewesen wären. Wenn es eine Chance gegeben hätte, gegen die Nationalsozialisten wirksame Aktionen zu starten – der Zeitpunkt war nun, nach dem 4. April 1933, verpasst. 3 4 Staatarchiv (StA) Ludwigsburg, F 181 III, Bü 399. StA LB F 181 III, Bü 399. Ludwigsburg In der Bausparkasse Wüstenrot gab es be- reits 1933 eine stramm nationalsozialistische Ausrichtung. F 91 E

Ludwigsburg Eugen Ochs – als dieses Bild aufgenommen wird, ist er bereits einige Jahre aus Buchenwald zurück. F 92 E Einen aufschlussreichen Bericht aus der Sicht eines wachen, politisch aktiven jun- gen Mannes gibt Eugen Ochs von der Machtübernahme der Nazis. Ochs, Jahrgang 1905, überlebte den Nationalsozialismus im Konzentrationslager Buchenwald und baute in Ludwigsburg die IG Metall mit auf, als diese 1955 von der Verwaltungsstelle baute in Ludwigsburg die IG Metall mit auf, als diese 1955 von der Verwaltungsstelle Stuttgart unabhängig wurde. Bis 1970 war er Erster Bevollmächtigter. Stuttgart unabhängig wurde. Bis 1970 war er Erster Bevollmächtigter. „Die Sozialdemokraten und die von ihnen geführten Gewerkschaften meinten noch „Die Sozialdemokraten und die von ihnen geführten Gewerkschaften meinten noch immer, die Nazis könnten sich nicht lange halten und würden bald wieder aufgeben. immer, die Nazis könnten sich nicht lange halten und würden bald wieder aufgeben. […] Deshalb forderten die Gewerkschaften die Arbeiter auf, am 1. Mai 1933 an den […] Deshalb forderten die Gewerkschaften die Arbeiter auf, am 1. Mai 1933 an den von den Nazis organisierten Maifeiern teilzunehmen. Nur einen Tag später, am 2. von den Nazis organisierten Maifeiern teilzunehmen. Nur einen Tag später, am 2. Mai 1933, bekamen sie die Quittung. Die Gewerkschaftshäuser wurden von den Na- Mai 1933, bekamen sie die Quittung. Die Gewerkschaftshäuser wurden von den Na- zis besetzt, die Gewerkschaften zerschlagen.“ 5 zis besetzt, die Gewerkschaften zerschlagen.“ Von solchen grundsätzlichen Einschätzungen war es ein mühsamer Weg zu politi- Von solchen grundsätzlichen Einschätzungen war es ein mühsamer Weg zu politi- schem Widerstand. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Stuttgarter Metallarbei- schem Widerstand. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Stuttgarter Metallarbei- terjugend des DMV ging er „sofort daran, aus eigener Initiative in Gummi einen Stem- terjugend des DMV ging er pel zu schneiden ‚Hitler gleich Krieg’. Mit diesem Stempel bedruckten wir rote Klebe- pel zu schneiden ‚Hitler gleich Krieg’. Mit diesem Stempel bedruckten wir rote Klebe- streifen, die wir abends bei Dunkelheit mit unseren Freundinnen an die Häuserwän- streifen, die wir abends bei Dunkelheit mit unseren Freundinnen an die Häuserwän- de klebten. Dabei spielten wir Liebespaare, um die Zettel unbemerkt anzubringen.“ de klebten. Dabei spielten wir Liebespaare, um die Zettel unbemerkt anzubringen.“ Der junge Eugen Ochs, aus der KPD ausgeschlossen und in der Kommunistische Par- Der junge Eugen Ochs, aus der KPD ausgeschlossen und in der Kommunistische Par- tei Opposition (KPO) aktiv, wusste, „dass es nicht sofort um den Sturz der Nazis ge- tei Opposition (KPO) aktiv, wusste, hen konnte, dies wäre illusionär gewesen. Es kam jetzt darauf an, trotz Terror der Na- hen konnte, dies wäre illusionär gewesen. Es kam jetzt darauf an, trotz Terror der Na- zis den Zusammenhalt unserer Gruppe zu sichern und darüber hinaus in Arbeiter- zis den Zusammenhalt unserer Gruppe zu sichern und darüber hinaus in Arbeiter- kreisen so gut wie möglich Aufklärung über die Nazipolitik zu schaﬀ en. Dies war un- kreisen so gut wie möglich Aufklärung über die Nazipolitik zu schaﬀ en. Dies war un- ter den jetzt gegebenen Umständen nicht leicht. Die Nazis verhafteten ohne Grund ter den jetzt gegebenen Umständen nicht leicht. Die Nazis verhafteten ohne Grund viele Funktionäre der Arbeiterbewegung und brachten sie in Konzentrationslager viele Funktionäre der Arbeiterbewegung und brachten sie in Konzentrationslager wie Heuberg, Kuhberg, Welzheim und Dachau. Dort wurden sie gedemütigt, gefol- wie Heuberg, Kuhberg, Welzheim und Dachau. Dort wurden sie gedemütigt, gefol- tert und nicht wenige umgebracht. Diese Vorgänge blieben nicht geheim; sie dran- gen auch in die Öﬀ entlichkeit und verbreiteten Angst und Schrecken. ‚Halt Deinen Mund, sonst kommst Du nach Dachau‘ war eine ständige Warnung dieser Zeit. Durch laufende Informationen, Zwiegespräche mit den einzelnen Gruppenmitgliedern, die überwiegend dem DMV angehörten, gelang es uns, dieselben zusammenzuhalten. Es war wichtig, dem Einzelnen zu zeigen, dass er nicht allein war mit seiner Gegner- schaft zu den Nazis, dass andere genauso wie er über die Vorgänge im Dritten Reich dachten.“ Wie schwierig es war, die unter Gefahr gesammelten Informationen weiter zu geben, beschreibt Eugen Ochs in Erinnerung an seine Stuttgarter Zeit ebenfalls: „Zunächst musste es auf der Schreibmaschine geschrieben werden. Das besorgte Heinrich Krathwohl, der von Beruf Kaufmann war. Er besaß eine Schreibmaschine. Für ihn war es aber gefährlich, mit der Schreibmaschine zu schreiben. Das Geräusch hätten die 5 Eugen Ochs: Ein Arbeiter im Widerstand, Stuttgart 1984.

Ludwigsburg Nachbarn gehört und sich gefragt, was hat ein arbeitsloser Kaufmann zu schreiben? Außerdem wäre der damals übliche Hauswart aufmerksam geworden. Dieses Prob- lem wurde gelöst, indem wir einen großen Kasten aus Sperrholz über die Schreibma- schine stülpten, der innen mit einem dicken Tuch ausgeschlagen war. Für die Tasta- tur wurde ein mit Glas verschlossener Ausschnitt gemacht. Damit zum Schreiben die Hände in den Kasten gesteckt werden konnten, haben wir an das dicke Tuch aus dem selben Material Manschetten angebracht.“ In Ludwigsburg waren es vielfach Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die konspirativ arbeiteten, um Informationen zu verbreiten und Sicherheit zu schaﬀ en. So beschreibt der KPD-Mann Karl Kunde in seinen Lebenserinnerungen6, wie er nach seiner ersten Inhaftierung im Konzentrationslager Heuberg erneut in Ludwigsburg mit der Arbeit gegen die Nazis begann. Albert und Else Seyerle nennt er als Verbin- dungsleute zum Bezirksinstrukteur der illegalen Bezirksleitung seiner Partei. Albert Seyerle war Vorsitzender des Ortskartells des Allgemeinen Deut- Albert Seyerle war Vorsitzender des Ortskartells des Allgemeinen Deut- schen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Ludwigsburg, seine Frau Else schen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Ludwigsburg, seine Frau Else Seyerle arbeitete dort als Bürokraft. Als Karl Kunde nach sei- Seyerle arbeitete dort als Bürokraft. Als Karl Kunde nach sei- nem zweiten KZ-Aufenthalt und nach einer Denun- nem zweiten KZ-Aufenthalt und nach einer Denun- ziation wieder von Haft bedroht war, nahm er wie- ziation wieder von Haft bedroht war, nahm er wie- der Kontakt mit Albert Seyerle auf, „der der Verant- „der der Verant- wortliche für die illegale Tätigkeit in Ludwigs- wortliche für die illegale Tätigkeit in Ludwigs- burg war. […] Er beschloss, dass ich sofort burg war. […] Er beschloss, dass ich sofort untertauchen sollte. Ich bekam ein Quar- untertauchen sollte. Ich bekam ein Quar- tier bei einer Genossin, in dem ich blei- tier bei einer Genossin, in dem ich blei- ben musste, bis man die notwendigen ben musste, bis man die notwendigen Maßnahmen für mich eingeleitet hatte. Es mögen wohl einige Tage vergangen sein, dann bekam ich falsche Papiere und eine Fahrkarte nach Zürich.“ Albert und Else Seyerle sowie ihr Sohn Erwin gerieten selbst ebenso ins Visier der juristischen Verfolgung: Erwin wur- de 1933 vom Sondergericht Stuttgart mit gerade mal 16 Jahren zu zwei Jah- ren Haft verurteilt, weil er Flugblätter verbreitet hatte.7 Albert Seyerle wur- de im November 1935 wegen „Vorbe- 6 7 Karl Kunde: Die Odyssee eines Ar- beiters, Stuttgart 1985. Zitiert nach VVN Kreis Ludwigs- burg: Streifl ichter 5, 1993. Die Gewerkschafter Else und Albert Seyerle haben die Verfolgungen des NS-Systems überlebt. F 93 E

Ludwigsburg Else Seyerle F 94 E reitung zum Hochverrat“ von der Gestapo verhaftet und nach 20-monatiger Untersu- chungshaft 1937 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Mit kurzer Unterbrechung war er bis zum 15. April 1938 eingesperrt.8 Else Seyerle wurde im April 1938 vom Zweiten Strafsenat des Oberlandgerichts Stutt- gart „wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unter Anrech- nung von elf Monaten Untersuchungshaft zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr sechs Monaten verurteilt“. In der Urteilsbegründung hieß es: „Was die politische Einstellung […] betriﬀ t, so ist sie vor der nationalen Erhebung zwar im Holzarbeiter- verband organisiert gewesen, [habe] im Übrigen aber einer politischen Partei nicht angehört […]. Immerhin war sie […] kommunistisch eingestellt. Das konnte schon im Hinblick auf ihre nächsten Angehörigen gar nicht anders sein.“ Im Juli 1945 schrieb Else Seyerle über diese Zeit: „Nach der Macht- ergreifung Hitlers betätigte sich meine ganze Familie illegal gegen den Faschismus, wobei mein Ehemann und mein Sohn durch Verrat vom Sondergericht zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Ich selbst setzte diese Tätigkeit auch nachher noch fort und benütz- te zur Aufrechterhaltung der Verbindung zu einer Freundin, die we- gen ihrer antifaschistischen Tätigkeit verfolgt wurde und unter fal- schem Namen in Solingen lebte, eine Deckadresse. […] Trotz schwe- rer Erkrankung musste ich meine ganze Strafe verbüßen und habe dadurch einen dauernden körperlichen Schaden erlitten.“ Zunächst wurde Else Seyerle in Stuttgart, später im Frauengefängnis Gottes- zell eingesperrt.9 Einen bezeichnenden Hinweis auf die Position von Frauen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gibt eine Notiz der „Lan- desbezirksstelle für die Wiedergutmachung Stuttgart“ an Else Seyerle: „Wir sind nicht abgeneigt, Ihnen eine Beihilfe zu verwilligen, benötigen je- doch zuvor die Zustimmungserklärung Ihres Ehegatten, wonach er mit einer Zahlung an Sie einverstanden ist.“10 1965 berichtete die Ludwigsburger Kreiszeitung, dass die Mitarbeiterin des DGB, El- se Seyerle, das Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen hatte. „Frau Seyerle er- hielt diese Auszeichnung, wie der DGB mitteilte, für ihre stetige Mitarbeit in verschie- densten demokratischen Organisationen, Vereinen und Gremien, in denen sie vom 16. Lebensjahr an mitarbeitete, zum Wohl und Aufbau der D mokratie.“11 Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I, Bü 5741. Streifl ichter 5. 8 9 10 Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I, Bü 5742. 11 Ludwigsburger Kreiszeitung, Ausgabe Besigheim, vom 12. April 1965.

Eine organisierte Widerstandsgruppe in Ludwigsburg ist unbekannt. Es gab jedoch eine Reihe in dieser Hinsicht aktiver Kommunisten und Sozialdemokraten. Im Hin- terhaus der Gaststätte „Krone“ war beispielsweise eine illegale Anlaufstelle der KPD. Karl Römer, der SPD-Vorsitzende für das Gebiet Backnang/Gaildorf, der in Lud- wigsburg wohnte, war eine Anlaufstelle für Flugblatt-Verteiler. Die Flugblätter wur- den illegal aus der Schweiz über Straßburg nach Ludwigsburg gebracht. Auch vom emigrierten SPD-Parteivorstand in Prag sollen Flugblätter nach Ludwigsburg gekom- men sein.12 Manche gewerkschaftlich und politisch Engagierte aus Ludwigsburg bezahlten ih- ren Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Leben. Franz Martin war als Holz-Ge- werkschafter und KPD-Mitglied auch in der Illegalität aktiv. Karl Kunde schreibt über ihn: „In Erinnerung ist mir noch, welche Methode der Genosse Franz Martin entwi- ckelt hatte. Er trug sein ganzes ‚Büro‘ in einer Streichholzschachtel stets bei sich. Hier waren seine wichtigsten Aufzeichnungen untergebracht, die er im Notfall sofort hätte verschlucken können.“13 In seiner Wohnung wurden „viele Jahre später, lan- In seiner Wohnung wurden „viele Jahre später, lan- ge nach dem Ende der faschistischen Herrschaft, ge nach dem Ende der faschistischen Herrschaft, Unterlagen der kommunistischen Partei hinter ei- Unterlagen der kommunistischen Partei hinter ei- nem Küchenschrank gefunden. Wie man sich im nem Küchenschrank gefunden. Wie man sich im ‚Täle‘ berichtete, durchaus zum Schrecken seiner ‚Täle‘ berichtete, durchaus zum Schrecken seiner Vermieterin, die sich ausmalte, was passiert wäre, Vermieterin, die sich ausmalte, was passiert wäre, wenn das Material bei einer der Hausdurchsuchun- wenn das Material bei einer der Hausdurchsuchun- gen seinerzeit entdeckt worden wäre.“ 14 Martin wurde im November 1935 verhaftet und in Martin wurde im November 1935 verhaftet und in der 20-monatigen Untersuchungshaft in der Stutt- der 20-monatigen Untersuchungshaft in der Stutt- garter Gestapo-Zentrale „Hotel Silber“ schwer miss- garter Gestapo-Zentrale „Hotel Silber“ schwer miss- handelt. Weil seine Tätigkeit nach Ansicht der Nazis handelt. Weil seine Tätigkeit nach Ansicht der Nazis „Gefährdung der öﬀ entlichen Ordnung und Sicher- „Gefährdung der öﬀ entlichen Ordnung und Sicher- heit“ bedeutete, sperrten sie ihn im Folgenden in verschiedene Konzentrationslager. Am 5. Januar 1940 starb er im KZ Dachau wegen angeblicher „Nichteinhaltung der Diät“ Fritz Züfl e, Leiter der Kornwestheimer Ortsgruppe des Einheitsverbandes der Eisen- bahner, kam als Zugschaﬀ ner oft nach Friedrichshafen, nahm Kontakt zu NS-Geg- nern in der Schweiz auf und verbreitete Flugblätter und anderes im Bahnhof Ulm. Bei einer Razzia im Mai und Juni 1938 wurden 35 Personen, meist Eisenbahner ver- 12 Streifl ichter 1. 13 Karl Kunde, Odyssee eines Arbeiters. 14 Stolpersteine in Ludwigsburg: Zu Besuch bei verfolgten Nachbarn, Ludwigsburg 2010. Ludwigsburg Franz Martin – Arbeiter mit politi- schem Engagement F 95 E

Ludwigsburg Möglichst viel Öff entlichkeit gegen das Nazi-Regime zu mobilisieren, war die Hoff nung von Willi Bader. haftet. Züfl e, der mit seiner Frau featgenommen wurde, starb in Gestapohaft. Wilhelm Bader war für die KPD in den Gemeinde- rat nachgerückt und brachte neben seiner Tätigkeit als Hilfsarbeiter verschiedene Informationsschrif- ten heraus – wie beispielsweise die hier abgebil- dete „Ludwigsburger Arbeiter-Zeitung“. Er gehör- te zu den 18 Männern und zwei Frauen, die in der Stadt bereits in den Morgenstunden des 11. März 1933 verhaftet wurden. Mit Unterbrechungen war er in den Konzentrationslagern Heuberg, Oberer Kuh- berg, Welzheim, Mauthausen und Dachau. Ein mit ihm gefangener Pfarrer schrieb über ihn: „[…] Willy hatte das frohe Lachen verlernt. […] Der arme Tropf musste Grausiges erlebt haben. […] Wenn wir in Dachau nur Blockpersonal und Kapos à la Willy Bader gehabt hätten, wären tausende Kameraden am Leben geblieben. […] Leider ist dieser kreuzbrave und stets hilfsbe- reite Bader kurz vor der Befreiung am 10. März 1945 gestorben.“ 15 Willi Bader – Arbeiter, Gewerkschafter und Parteiaktivist jof / Walter Mugler 15 Ebenda. F 96 E

Nürtinger Metall-Gewerkschafter Nürtingen Aus dem Adressbuch des Deutschen Metall- arbeiter-Verbands für 1933 Wilhelm Heinrich wurde 1903 in Neckarhausen geboren. Er war Mechaniker und ist wohl erst nach 1925 nach Nürtingen zugezogen. Der Sozialdemokrat gehörte zu den ganz wenigen jungen Leuten innerhalb der Nürtinger SPD, für die er im Dezem- ber 1931 (erfolglos) zum Gemeinderat kandidierte. Im Juli 1931 fi rmierte er als Be- vollmächtigter des Deutschen Metallarbeiterverbands Verwaltungstelle Nürtingen. 1932/Anfang 1933 stand Heinrich der Eisernen Front in Nürtingen vor. Im Juli 1933 zog er nach Esslingen um. Der Mechaniker Ernst Richter, geboren 1888 in Schlierbach, gehörte im April 1920 zu den Mitbegründern der Nürtinger KPD. Im Spätsommer 1920 hatte er den Vorsitz im neu gebildeten Nürtinger Gewerkschaftskartell inne. Um 1927 trat er aus der KPD aus und in die SPD ein (oﬀ enbar zusammen mit Albert Klein, dem Betriebsratsvorsit- zenden der Maschinenfabrik Esslingen – vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass er damals, wie viele Nürtinger Metallarbeiter, auswärts beschäftigt war.) 1928 und 1931 kandidierte er (gleichfalls erfolglos) für die SPD zum Nürtinger Gemeinderat. Im Juli 1933 erschien im „Nürtinger Tagblatt“ ein Aufruf der NSBO an die Metallarbeiter des Bezirks, ihre alten Mitgliedsbücher bei „Kassierer“ (wohl der NSBO) abzugeben. Ob Richter sich zu diesem Zeitpunkt bewusst dem Regime zur Verfügung stellte oder ob und in welcher Weise er dazu gezwungen wurde, ergibt sich nicht aus den Akten. Reinhard Tietzen, Stadtarchiv Nürtingen Im Juli 1933 erschien die- se Anzeige im „Nürtinger Tagblatt“. Dass Ernst Fi- scher, einer der führen- den Nazis der Stadt, den Kassierer Ernst Richter als Ansprechpartner be- nennen konnte, lässt den Schluss zu, dass Richter wohl sein Amt als Kas- sierer behalten hat, nicht aber seine Überzeugung als Gewerkschafter … F 97 E

Lörrach Das Gewerkschafts- haus in der Tumringer Straße (heute Platz vor der Sparkasse) nach der Nazi-Besetzung F 98 E Gewerkschafter in Lörrach: kriminalisiert und eingesperrt1 Seit 1890 war in Lörrach der „Tag der Arbeit“ von der Arbeiterbewegung begangen worden. Die Nazis machten daraus einen „Tag der nationalen Arbeit“; doch den skeptischen Teil der Arbeiterschaft erreichten sie auch damit nicht: „Einen solchen grandiosen Festzug hat Lörrach noch nie in seinen Mauern gesehen“, schrieb die NS-Presse über die etwa 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – das waren deut- lich weniger als an anderen politischen Aufmärschen, die Lörrach schon erlebt hat- te. Bewusst hatte man beim Aufmarsch in der Dammstraße vor dem „Wiesentäler Hof“ haltgemacht, um ausgerechnet im „Kommunistenviertel“ die neuen Machtver- hältnisse zu demonstrieren: Eine Straße wurde umbenannt und eine Fahne der Ei- sernen Front öﬀ entlich verbrannt. Paul Herbster, langjähriges SPD-Mitglied, hat in seinen bald nach dem Krieg aufge- schriebenen Erlebnissen geschildert, wie er und etliche Kollegen dem Spektakel der Nazis aus dem Weg gingen: „Noch am Vorabend des 1. Mai haben wir uns fast unbe- merkt mit dem Fahrrad abgesetzt und am Hohen Felsen (bei Endenburg) unsere Zel- te aufgebaut. Noch in der Nacht trafen noch weitere Kameraden ein. Andere Kame- raden wollten erst am Morgen des 1. Mai zu uns kommen, aber ab 5 Uhr in der Frühe 1 Der Text stützt sich ganz überwiegend auf Hubert Bernnat, 125 Jahre Arbeiterbewegung im Dreiländereck – die Geschichte der Lörracher SPD; Lörrach 1993.

Lörrach hatte die SA alle Ausfallstraßen abgeriegelt. Auch die Brücken über die Wiese wa- ren gesperrt. Kurz entschlossen durchquerten meine Kameraden mit dem Fahrrad die Wiese etwa in Höhe [der Firma] KBC. Im Laufe des Vormittags waren wir dann al- le ‚Unentwegten‘ am Hohen Felsen. Aus Sicherheitsgründen kehrten wir erst in der Nacht nach Lörrach zurück.“ Am 2. Mai holten die Nationalsozialisten auch in Lörrach zum großen Schlag gegen die Gewerkschaften aus. Mit Unterstützung der SA wurden durch Angehörige der NSBO das Gewerkschaftshaus der freien Gewerkschaften in der Tumringer Straße am heutigen Senigallia-Platz, die Büros des Textilarbeiterverbandes in der Vorstadt und die des Metall- und Bauarbeiterverbandes durchsucht und besetzt. Die beiden Gewerkschaftssekretäre Peter Lautenschläger vom Bauar- beiterverband und Friedrich Mayer vom Gewerkschaftskartell, die am 10. März schon einmal verhaftet worden waren, wurden jetzt erneut festgenommen. Sie wurden zwar wieder freigelassen, verloren aber ihre Arbeit als Gewerkschaftssekretäre. Es mutete für die Kolleginnen und Kollegen reichlich unverfroren an, wenn behauptet wurde, diese Aktion sei „nicht gegen die Arbeiterschaft“ gerichtet, sondern habe den Sinn, „die bisher marxistisch eingestellten Gewerkschaften von dem Gift der marxistischen Idee zu bereinigen“. In starkem Maße waren nun auch die gewerkschaftlich orientierten Mitglieder des Zentrums dem Druck ausgesetzt. Mitte Mai verzichte- te der Sekretär des christlichen Gewerkschaftskartells, Albert Kaiser, wohl nicht ganz freiwillig, auf sein Stadtratsmandat, das er seit 1919 innegehabt hatte. Anfang Juli wurden gleichzeitig Adolf Kieslich, ein alter Kämpfer der Arbeiterbewegung und erklärter Nazi-Gegner, mitt- lerweile aber auch schon fast 60 Jahre alt, als Sekretär des sozialde- mokratischen Textilarbeiterverbandes und das Zentrumsmitglied Jo- sef Kindle als Sekretär des christlichen Textilarbeiterverbandes ent- lassen. Die Aktion gegen die Gewerkschaften und andere aus der Arbeiterbewegung hervor- gegangene Organisationen war propagandistisch vorbereitet. Im Vorfeld war beson- ders im „Alemanne“ immer wieder behauptet worden, dass bei diesen Organisatio- nen Geldverschwendung und fi nanzielle Unregelmäßigkeiten gang und gäbe seien. Dadurch versuchte man, die Gewerkschaftssekretäre zu diﬀ amieren und zu krimina- lisieren; gleichzeitig sollte in der Bevölkerung eine Stimmung gegen die „Gewerk- schaftsbonzen“ erzeugt werden – ganz wie im zentralen Anleitungsschreiben der von Nazi-„Reichsorganisationleiter“ Robert Ley vorgegeben worden war. Standardisierte Pressetexte beglei- teten die Anti- Gewerkschafts- Aktionen der Nazis F 99 E

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Mannheim Hochverrat durch Zeitunglesen Die Anklage gegen Karl Eichhorn aus Mannheim – ein Lehrstück Zwei knappe Briefe und Auszüge aus einer ellenlangen Anklageschrift machen an- schaulich, wie rigoros die Nazis mithilfe von Knebelgesetzen Kritiker stumm ma- chen wollten. Nebenbei gibt der Schriftsatz des Staatsanwalts einen interessanten Einblick in die Konzepte und Methoden von Widerstand im Dritten Reich. Schreiben der Firma Bopp & Reuther an Karl Eichhorn, 11. Mai 19331 Herrn Karl Eichhorn Mannheim-Waldhof Heidestr. 9 Wir haben Kenntnis erhalten, dass Sie sich in Schutzhaft befi nden. Dadurch sind Sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig und wir behalten uns aus dieser Tatsache alle Rechte vor. Hochachtungsvoll Bopp & Reuther GmbH Kündigungsschreiben der Armaturenfabrik Bopp & Reuther, 30. Mai 19332 Einschreiben Herrn Karl Eichhorn Mannheim-Waldhof Heidestr. 9 Mannheim-Waldhof, den 30. Mai 1933 Wir lösen hiermit das Arbeitsverhältnis auf und begründen die Kündigung un- ter Beziehung auf das Gesetz vom 4. 4. 33 Artikel II mit dem Verdacht staats- feindlicher Einstellung. Ihre Arbeitspapiere werden Ihnen durch die Post zugestellt. Hochachtungsvoll Bopp & Reuther GmbH 1 2 Archiv IG Metall Mannheim. Ebenda. F 100 E

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Aus der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts wegen Vorbereitung zum Hochverrat gegen Karl Eichhorn und andere, 25. August 1936 […] I. Persönliche Verhältnisse der Beschuldigten Der Beschuldigte Karl Eichhorn wurde am 27. August 1882 in Mannheim als Sohn des Formermeisters Christian Eichhorn und seiner Ehefrau Monika geb. Breunig ge- boren. In Mannheim besuchte er die Volksschule und erlernte nach der Schulentlas- sung das Modellschreinerhandwerk. Nach der Lehrzeit begab er sich auf Wander- schaft in verschiedene Städte Deutschlands. Vom 22. Oktober 1902 bis 26. September 1904 diente er beim Infanterieregiment 111. Am 6. August 1914 wurde er ins Feld eingezogen und war dort dem Infanterieregi- ment 40 zugeteilt. Am 27. September 1915 geriet er in russische Gefangenschaft. Am 21. November 1918 wurde er aus dem Heeresdienst entlassen. Nach seiner Rückkehr in die Heimat fand er eine Anstellung bei der Firma Bopp & Reuther in Mannheim. Da er dort das Amt eines sozialdemokratischen Betriebsrats- mitglieds bekleidete, wurde er bei der nationalen Erhebung entlassen. Er fand dann wieder Arbeit und war zuletzt bei den Motorenwerken in Mannheim gegen einen Wo- chenverdienst von 40 Reichsmark beschäftigt. Verheiratet ist Eichhorn seit 27. Juli 1907 mit Sophie Möst. Er hat zwei Kinder im Al- ter von 28 und 16 Jahren. Eichhorn ist freireligiös. Schon vor dem Kriege trat Eichhorn der SPD bei und gehörte ihr bis zum Verbot an. Auch war er Leiter der marxistischen Organisation der Kinder- freunde in Mannheim-Waldhof. Jetzt ist er Mitglied der Deutschen Arbeitsfront. Vor- bestraft ist Eichhorn nicht. […] II. Allgemeine Darstellung des in Frage stehenden hochverräterischen Unternehmens Nach der nationalen Erhebung 1933 und der dadurch bedingten Flucht der höheren sozialdemokratischen Parteifunktionäre in das Ausland hat sich unter Führung des ehemaligen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Wels ein neuer Partei- vorstand der SPD in Prag gebildet […]. Die illegale Arbeit der SPD in Deutschland be- stand im wesentlichen darin, dass […]ein illegaler Parteiapparat aufgezogen wurde, in dem sich die von den inländischen illegalen Funktionären wieder zu sammelnden Mannheim F 101 E

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Mannheim F 102 E ehemaligen und neuen SPD-Anhänger zum Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus zusammenschlossen. Der Zusammenhalt unter diesen Anhängern wur- de dadurch aufrechterhalten, dass sie regelmäßig mit dem im Ausland hergestell- ten und heimlich nach Deutschland eingeführten Organ der illegalen SPD, der „So- zialistischen Aktion“, beliefert wurden. Für die Lieferung hatten die Anhänger klei- nere Geldbeträge zu entrichten, mit denen die Unkosten des Parteiapparates bestrit- ten werden sollten. Im Laufe der gegen die illegale SPD in Südwestdeutschland unternommenen Akti- on wurden drei große Zentren in Mannheim für Nordbaden in Freiburg für Südbaden und in Stuttgart für Württemberg festgestellt. […] Der Bezirk Mannheim war wieder in Unterbezirke eingeteilt und zwar, soweit das Stadtgebiet in Frage kam, in die ein- zelnen Stadtteile und Vororte. Auf dem Land waren die Unterbezirke aus mehreren Gemeinden zusammengefasst. An der Spitze des Unterbezirks stand jeweils ein be- sonderer Leiter, der hauptsächlich für die Zusammenfassung und Neuwerbung von Anhängern, für die Druckschriftenverbreitung innerhalb seines Unterbezirks und für den Einzug und die Ablieferung der Gelder zu sorgen hatte. Für die „Sozialistische Aktion“ sollte bei der Weitergabe für das Stück 10 Pfennig, von Besserbemittelten auch mehr, von Arbeitslosen 5 Pfennig erhoben werden. Zuletzt wurde die „Sozialis- tische Aktion“ in einer Auﬂ age von etwa 1.500 Stück in Mannheim und Umgebung verbreitet. […] III. Die allgemeinen Ziele der illegalen SPD Mit der Auﬂ ösung der SPD und ihrer Nebenorganisationen und zugleich mit der Be- seitigung des alten Parteienstaates wurde der SPD für die Zukunft jede Möglichkeit eines gesetzmäßigen Wiederaufbaues und einer parlamentarischen Betätigung ge- nommen. Dementsprechend ist auch die im Ausland wiedererstandene illegale SPD ausdrücklich von ihrer früheren gemäßigten Kampfesweise abgerückt und erstrebt nunmehr unter Propagierung einer Einheitsfront mit der KPD mit allen Mitteln den gewaltsamen Sturz der Regierung Hitlers, also die gewaltsame Änderung der Ver- fassung des Deutschen Reiches. Dieses hochverräterische Ziel der SPD ergibt sich eindeutig aus dem Inhalt der von ihr hergestellten und vertriebenen Druckschriften, insbesondere der „Sozialistischen Aktion“. Im übrigen sucht die SPD noch durch eine maßlose Lügen- und Greuelhetze, das An- sehen der nationalsozialistischen Regierung zu untergraben und auch so den Boden für einen gewaltsamen Umsturz vorzubereiten. Eines ihrer Hauptmittel zur Beein- ﬂ ussung der Massen in ihrem Sinn sind illegale Zeitungen und Druckschriften, die fast ausschließlich im Ausland hergestellt und von dort auf geheimen Wegen nach Deutschland eingeführt werden. Alle diese Tatsachen sind gerichtsbekannt.

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IV. Die Tätigkeit der Beschuldigten im einzelnen Der Beschuldigte Karl Eichhorn erhielt zunächst im August oder September 1934 ein bis zwei mal eine Nummer der „Sozialistischen Aktion“ von dem Beschuldigten Hin- terberger gebracht, der in ihm, der sich früher aktiv in der marxistischen Organisa- tion der Kinderfreunde betätigt hatte, oﬀ enbar einen zuverlässigen Gesinnungsge- nossen sah. Im Frühjahr 1935, vermutlich in den Monaten März oder April, wurde Eichhorn von dem damaligen politischen Leiter der illegalen SPD für Mannheim, dem durch Urteil des Volksgerichtshofs vom 26. November 1935 abgeurteilten Karl Mayer aufgesucht […]. Mayer fragte Eichhorn, ob er jemand wisse, der bereit sei, illegal zu arbeiten. […]. Mayer fragte Eichhorn, ob er jemand wisse, der bereit sei, illegal zu arbeiten. Eichhorn erwiderte ihm zunächst, er selbst komme hierfür Eichhorn erwiderte ihm zunächst, er selbst komme hierfür nicht in Frage, denn seine Frau sei krank, er könne sich um nicht in Frage, denn seine Frau sei krank, er könne sich um die illegale Arbeit wegen Zeitmangels daher nicht kümmern. die illegale Arbeit wegen Zeitmangels daher nicht kümmern. Hierauf verabschiedete sich Mayer, hinterließ dem Eich- Hierauf verabschiedete sich Mayer, hinterließ dem Eich- horn jedoch ein Paket mit einigen illegalen Broschüren, die horn jedoch ein Paket mit einigen illegalen Broschüren, die durch Reklame über Rasierklingen und Nähmaschinen ge- durch Reklame über Rasierklingen und Nähmaschinen ge- tarnt waren. Diese Broschüren will Eichhorn zerrissen ha- tarnt waren. Diese Broschüren will Eichhorn zerrissen ha- ben. Nach acht Tagen kam Mayer wieder zu Eichhorn und ben. Nach acht Tagen kam Mayer wieder zu Eichhorn und erkundigte sich nochmals nach einer für die illegale Arbeit erkundigte sich nochmals nach einer für die illegale Arbeit geeigneten Persönlichkeit. Eichhorn führte ihn nun zu dem geeigneten Persönlichkeit. Eichhorn führte ihn nun zu dem Beschuldigten Hinterberger, der dann auch auf die Vor- Beschuldigten Hinterberger, der dann auch auf die Vor- schläge Mayers einging. Am nächsten Tage erschien Hin- schläge Mayers einging. Am nächsten Tage erschien Hin- terberger bei Eichhorn, sprach mit ihm über die Frage des terberger bei Eichhorn, sprach mit ihm über die Frage des Kassiererens bei der illegalen Arbeit und brachte ihm eini- Kassiererens bei der illegalen Arbeit und brachte ihm eini- ge Exemplare der „Sozialistischen Aktion“. Die Zeitschrif- ge Exemplare der „Sozialistischen Aktion“. Die Zeitschrif- ten hat Eichhorn gelesen und dann, wie er glaubhaft an- gibt, verbrannt. Eichhorn, der hierzu allerdings noch nicht gehört worden ist, hat nach den Angaben des Hinterberger ferner, ver- mutlich ebenfalls im Frühjahr 1935, eine weitere Lieferung von et- mutlich ebenfalls im Frühjahr 1935, eine weitere Lieferung von et- wa 20 Nummern der „Sozialistischen Aktion“ erhalten. Es handelte sich um einen wa 20 Nummern der „Sozialistischen Aktion“ erhalten. Es handelte sich um einen Teil von Druckschriften, die Hinterberger bei einer Versammlung der illegalen SPD im Mannheimer Keglerheim erhalten hatte. […] Mannheim F 103 E

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Mannheim F 104 E V. Rechtliche Würdigung Die Beschuldigten sind im wesentlichen geständig und suchen ihr Verhalten ledig- lich teilweise durch die Angabe geringerer Mengen von ihnen bezogener oder wei- tergegebener Druckschriften zu beschönigen. Die ihnen zur Last gelegten Taten er- füllen den Tatbestand des Verbrechens der Vorbereitung zum Hochverrat […]. Die Be- schuldigten Konzett und Hinterberger sind als Funktionäre der illegalen SPD anzuse- hen, denn sie haben eine wesentlich umfangreichere Tätigkeit entwickelt als die an- deren Beschuldigten. Bei Hinterberger fällt besonders ins Gewicht, dass er auch an einer illegalen Versammlung teilgenommen und sich dort die Instruktionen für sei- ne Tätigkeit geholt hat. Alle übrigen Beschuldigten sind nur als Anhänger der illega- len SPD ohne besondere Funktionen anzusehen. Sie waren die untersten Glieder der Organisation. […] Die hochverräterische Tätigkeit dieser Beschuldigten besteht nicht allein in der Entgegennahme der illegalen Zeitschrift, sondern auch darin, dass sie sich eben dadurch zu einer neuen SPD zusammengeschlossen haben. Der Bezug der „Sozialistischen Aktion“ war das äußere Bindeglied der Organisation. Aber auch subjektiv liegen bei allen Beschuldigten Tatbestandsvoraussetzungen […] vor. Alle Beschuldigten sind alte, durch die Schule der früheren SPD und des Reichs- banners oder sonstiger marxistischer Verbände gegangene Marxisten. Schon des- wegen mussten ihnen die hochverräterischen Ziele der SPD genau bekannt sein, die übrigens regelmäßig in den ihnen gelieferten und von ihnen gelesenen „Sozialisti- schen Aktionen“ mit aller Deutlichkeit besprochen worden sind. Eine Verjährung […] kommt bei den Beschuldigten, die die Druckschriften verbreitet haben, schon deshalb nicht in Frage, weil sie sich noch allgemein […] bei der Her- stellung und Aufrechterhaltung eines organisatorischen Zusammenhalts der illega- len SPD betätigt haben. Alle Beschuldigten haben sich somit der Vorbereitung zum Hochverrat […] schuldig gemacht. Ich klage daher die Beschuldigten Karl Friedrich Konzett aus Karlsruhe, Wendelin Pauels aus Mannheim, Karl Eichhorn aus Mannheim, Viktor Emil Hinterberger aus Frankenthal, Wilhelm Michel aus Mannheim, Ludwig Röder aus Ludwigshafen a. Rh., Georg Roth aus Oﬀ enbach a. M. und Karl Willi Eichstädter aus Mannheim an, dass sie unter sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, also gemeinschaft- lich, und in fortgesetzter Tat ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitet haben, wobei die Tat a) bei sämtlichen Beschuldigten darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochver- rats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen und aufrechtzuerhalten, b) bei den Beschuldigten Konzett, Hinterberger, Michel und Röder auch auf Beein- ﬂ ussung der Massen durch Verbreitung von Schriften gerichtet war.

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1. Karl Friedrich Konzett hat seit Beginn des Jahres 1934 in Mannheim von Schäﬀ , einem Unterverteiler der illegalen SPD, laufend die hochverräterische Druckschrift „Sozialistische Aktion“ bezogen und für die Lieferung gelegentlich 25 bis 30 Pfen- nig bezahlt. In der Zeit von Juni bis Oktober 1935 hat sich Konzett von dem illega- len Unterbezirksleiter Rosenzweig mit der „Sozialistischen Aktion“ beliefern lassen und hat nunmehr einige Exemplare an Schäﬀ und an Degethof weitergegeben. Von Schäﬀ hat er sich zweimal 10 Pfennig bezahlen lassen. 2. Wendelin Pauels hat in der Zeit von März bis Mai 1935 in Mannheim von Schäﬀ mehrmals die „Sozialistische Aktion“ bezogen und hierfür einmal 10 Pfennig bezahlt. 3. Karl Eichhorn hat seit Herbst 1934 bis Frühjahr 1935 in Mannheim von dem Beschuldigten Hinterberger und von Karl Mayer, dem politi- schen Leiter der illegalen SPD für Mannheim, die Druckschrift „Sozia- listische Aktion“ bezogen. 4. Viktor Emil Hinterberger hat seit Frühjahr 1934 bis zum Früh- jahr 1935 in Mannheim von den Beschuldigten Röder und Mi- chel sowie von dem illegalen Leiter Mayer wiederholt die „So- zialistische Aktion“ bezogen und teilweise an die Beschuldig- ten Roth, Eichhorn und Eichstädter und Michel weiterverteilt. Im Frühjahr 1935 hat Hinterberger an einer Versammlung der il- legalen SPD im Mannheimer Keglerheim teilgenommen. 5. Wilhelm Michel hat in der Zeit vom Frühjahr 1934 bis Frühjahr 1935 in Mannheim von dem illegalen Funktionär Gustav Dieter sowie von dem Beschuldigten Hinterberger mehrmals mehrere Nummern der „Sozialistischen Aktion“ bezogen und teilweise an die Beschuldigten Hinterberger, Röder und Roth weitergegeben. 6. Ludwig Röder hat im Frühjahr 1934 in Mannheim zweimal von dem Beschuldigten Michel die „Sozialistische Aktion“ bezogen und sie wei- sungsgemäß an den Beschuldigten Hinterberger weitergegeben. 7. Georg Roth hat im Laufe des Jahres 1934 in Mannheim von den Beschuldigten Mi- chel und Hinterberger mehrmals die „Sozialistische “ bezogen. 8. Karl Willi Eichstädter hat im Laufe des Jahres 1934 in Mannheim von dem Beschul- digten Hinterberger zweimal die „Sozialistische Aktion“ bezogen. […] Ich beantrage, gegen die Beschuldigten Hauptverhandlung vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe anzuordnen und die Untersuchungshaft für fort- dauernd zu erklären. Mannheim F 105 E

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Reutlingen Ein stattliches Haus zu Füßen der Achalm: Für viele Jahre der Sitz der Reutlinger Gewerkschaften Widerrechtliche Besetzung in drei Anläufen Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes gründete sich als erste Gewerkschaft in Reutlingen 1890 der Verband der Holzarbeiter. Im selben Jahr wurde Ecke Wern- erstraße/Lederstraße ein Wirtschafts- und Wohngebäude erstellt, das spätere Ge- werkschaftshaus. Das Gasthaus „Deutsches Haus“ wurde am 15. Januar 1891 eröﬀ - net. Erst im Jahre 1920 waren sich die Vereinigten Gewerkschaften Reutlingens einig, das „Deutsche Haus“ pachtweise zu übernehmen. Zum Preis von 165.000 Reichs- mark plus 35.000 Mark für das Inventar wurde das Gebäude erworben. Auf Anregung des Konsum- und Sparvereins, der einen Laden benötigte, wurde 1924 die Erweite- rung des Hauses beschlossen. Eigentümer für die nicht rechtsfähigen Vereinigten Gewerkschaften waren Ernst Hipp und Gottlob Sigmund. Das Gewerkschaftshaus wurde zum Zentrum der Reutlinger Arbeiterbewegung. Am 1. Mai 1925 wurde das erweiterte Haus eingeweiht. Ende Januar 1932 bildete sich in Reutlingen das politische Aktionsbündnis „Eiserne Front“, in dem sich die SPD, die Vereinigten Gewerkschaften, das Ortskartell der Angestelltenausschüsse, das Reichsbanner und das Arbeitersport- und Kulturkartell zusammenschlossen. F 106 E

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Reutlingen Zu den Reichstagswahlen fand am 29. Juli 1932 in Reutlingen der Hitlertag statt. Hit- ler landete mit dem Flugzeug in Böblingen. Seine Wagenkolonne nahm aber nicht den direkten Weg über Tübingen, sondern fuhr durch das Steinlachtal und über Bronnweiler und Gönningen, weil sie angeblich beim Gewerkschaftshaus von Be- waﬀ neten erwartet worden wären. Nach der Wahlkampfrede Hitlers auf der Renn- wiese versuchen faschistische Verbände in die Büros der „Freien Presse“ und in das Gewerkschaftshaus einzudringen. Bis in die Nacht hinein machten Hitler-Anhänger auf ihrem Heimweg unliebsame Bekanntschaft mit den Antifaschisten der Sicken- häuser Straße. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichs- kanzler ernannt. Der von der KPD geplante Generalstreik fand am 31. Januar nur im benachbarten Mössingen statt. Die Übermittlung der Nachricht, dass der General- streik abgeblasen wurde, kam zu spät. Beim Mössinger Streik sprach der kommu- nistische Reutlinger Stadtrat Fritz Wandel zu den Streikenden. Eine halbe Hundert- schaft der Reutlinger Schutzpolizei hat den Zug der Streikenden ohne größere Ge- genwehr aufgelöst. Es gab 58 Verhaftungen. Die wegen Landfriedensbruch und Vor- bereitung zum Hochverrat angeklagten Beteiligten wurden zu Haftstrafen bis zu vie- reinhalb Jahren verurteilt. In vielen Fällen schloss sich eine KZ-Haft an. Bei der antifaschistischen Demonstration von Eiserner Front und KPD gegen die Er- nennung Hitlers zum Reichskanzler am 3. Februar in Reutlingen kam es zu tätlichen- Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Nationalsozialisten. Es sollte die letzte dieser Art für zwölf Jahre sein. Der kommunistische Stadtrat Fritz Wandel wurde nach dem Mössinger Generalstreik amtsenthoben. Waff en und Uniformen ersetzen die juristische Grundlage: SA vor dem Reutlinger Gewerkschaftshaus. Nach dem Reichtagsbrand am 27. Feb- ruar kam es am 1. März in Reutlingen zu Hausdurchsuchungen bei kommunisti- schen Funktionären, die KPD wurde ille- galisiert. Am 11. März wurden 15 Reutlin- ger KPD-Funktionäre verhaftet, darunter Stadtrat Fritz Wandel. 14 Reutlinger KPD- ler kamen am 20. März in das „Schutz- haftlager“ Heuberg. Bei der Novemberrevolution 1918 durf- te der Arbeiterrat auf dem Reutlinger Rathaus mit Genehmigung des Stadto- berhaupts die Rote Fahne hissen. Diese Schmach wollten die Nationalsozialis- ten wettmachen. Die SA zog am 8. März Hakenkreuzfahnen auf dem Rathaus und F 107 E

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Reutlingen Die Nazis wüteten auch in Reutlingen mit allen Demütigungen und Erniedrigungen wider- wärtiger Propaganda wie öff entlichem Haarescheren. F 108 E drei weiteren öﬀ entlichen Gebäuden auf. Das Rathaus wurde dazu für 24 Stunden unter den Schutz eines Sturmbannführers gestellt. Am 13. März verbot der württembergische Polizeikommissar von Jagow die Eiserne Front und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Am 24. März, zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, wurde das Gewerkschaftshaus erstmals besetzt. Auch die Redaktion der „Freien Presse“ wurde von Polizei, SA und SS durchsucht und Redakteur Georg Bayer verhaftet. Die zweite Besetzung des Gewerkschaftshauses fand am 11. April statt. Am 12. April wurde der Vorsitzende der Vereinigten Gewerk- schaften Reutlingens, Albert Blon, verhaftet. Führende Reutlinger SPDler wurden am 19. April ins „Schutzlager“ Heuberg abtransportiert. Trotzdem steuerte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) zur Be- standsrettung einen Kurs der Anpassung. Der ADGB-Vorstand rief sogar zur Teilnah- me am faschistischen „Tag der nationalen Arbeit“ auf. Am 30. April verteilten Reut- linger Kommunisten Flugblätter, riefen zum Boykott des 1. Mai auf. Am 2. Mai wurde das Gewerkschaftshaus zum dritten Mal und endgültig besetzt. Die Gewerkschaften wurden an diesem Tag reichsweit zerschlagen. Die Reutlinger Gewerkschaftsführer waren schon alle in „Schutzhaft“ im KZ Heuberg. Dorthin reiste Fritz Krimmel, Kreis- walter der „Deutschen Arbeitsfront“, mit Formularen, auf denen die Gewerkschafter ihren „freiwilligen Rücktritt“ unterschreiben mussten.

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Nach der Besetzung des Gewerkschaftshauses durch die SA am 24. März verwal- tete die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) das Haus samt Gaststätte „Deutsches Haus“, die nun von der Arbeiterschaft konsequent boykot- tiert wurde. Durch ihr Verbot blieben auch die Arbeitervereine aus. Trotz der Herab- setzung des Bierpreises (Schwabenbräu) auf 20 Pfennig und des Aufrufs am 10. Juni 1933: „Deutsche Volksgenossen! Setzt Euch ein, dass Eure Gaststätte einen Besuch aufzuweisen hat und erkämpft eine Tradition für Euer Volkshaus!“ wollte die Wieder- belebung des „Deutschen Hauses“ nicht gelingen. Durch Zwangsversteigerung fi el das Gewerkschaftshaus 1936 an die beliefernde Brauerei. Beim Luftangriﬀ vom 15. Januar 1945 wurde das „Deutsche Haus“ total zerstört. Das ausgebrannte Erdgeschoss wurde 1947 notdürftig überdacht, um Raum zu gewin- nen. Ab September 1945 durften in Reutlingen wieder freie Gewerkschaften aufge- baut werden. Gegenüber der Brauerei Leicht wurden ab November 1948 die Besit- zansprüche am Gewerkschaftshaus energischer vertreten. Da vor der Beschlagnah- me Ernst Hipp und Gottlob Sigmund die Besitzer waren, mussten sie das Gebäude formal an die Gewerkschaften zurückgeben. Das zerstörte Haus wurde gemäß der „Verordnung über die Rückerstattung geraubter Vermögenswerte“ am 1. Juni 1949 zurückgekauft. Am 21. Oktober wurde das neu aufgebaute Gewerkschaftshaus ein- geweiht. Doch dem Ausbau der Reutlinger Straßen war das „Deutsche Haus“ im Weg. Die Ge- werkschaften zogen in die KrämerStraße 31 um, und das Haus wurde abgerissen. Holger Lange1 Reutlingen Nach der Zerstörung (siehe Titelseite dieses Buchs) wieder aufge- baut, doch dann abge- rissen für die Entwick- lung der Innenstadt: Das Reutlinger Gewerk- schaftshaus ist Ge- schichte. 1 zitiert nach Reutlinger Nachrichten, 25. März 2008. F 109 E

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Schramberg Otto Schlach- ter, der erste hauptamtliche Gewerkschafter in Schramberg – die Nazis sperrten ihn ins Konzentrations- lager. F 110 E Schramberg – rote Hochburg im schwarzen Wald Durch die Gründung mehrerer Fabriken, insbesondere zur Uhren- und Federnpro- duktion, wurde Schramberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer der bedeutendsten Industriestädte des Königreichs Württemberg mit einer kontinuier- lich wachsenden Arbeiterschaft. Der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Uhrenfabrik der Welt und mit rund 3.000 Beschäf- tigten nach der Württembergischen Metallwarenfabrik in Geislingen an der Steige das zweitgrößte Unternehmen im Königreich Württemberg. 1888 kam es zur Gründung eines Arbeiterlesevereins, der sich nach dem Ende des „Sozialistengesetzes“ 1891 der SPD anschloss. Einige Jahre später wurden 1894 Zahlstellen des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes und des Deutschen Holzarbei- ter-Verbandes der Freien Gewerkschaften gegründet. 1898 wurde unter dem Titel „Die Lage der Schwarzwälder-Uhrenarbeiter“ vom Vorstand des Deutschen Metallar- beiter-Verbandes eine Dokumentation über die Ergebnisse einer Erhebung zu die- sem Thema herausgegeben. Im gleichen Jahr wurde auch der Christliche Uhrenin- dustriearbeiterverband Schwarzwald der Christlichen Gewerkschaften ins Leben ge- rufen. Die Mitgliederzahl des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes war – wohl aufgrund der starken Arbeitskräftefl uktuation – starken Schwankungen unterworfen. Die Mit- gliederzahl stieg von 41 im Jahr 1903 auf 266 im Jahr 1906 an, ging dann aber nach dem ersten großen Arbeitskampf in der Uhrenindustrie wieder auf 183 im Jahr 1908 zurück, um dann wieder auf 244 im Jahr 1913 anzusteigen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erlebte der Deut- sche Metallarbeiter-Verband in Schramberg wie ander- norts einen stürmischen Mitgliederzuwachs. 1919 hat- te die Zahlstelle 2.004 Mitglieder und konnte 1920 mit Otto Schlachter (1880-1950) erstmals einen hauptamt- lichen Gewerkschaftssekretär einstellen. Der Mechani- ker Otto Schlachter stammte aus Ravensburg, war 1903 in den Deutschen Metallarbeiter-Verband eingetreten und 1904 nach Schramberg gekommen, wo er in der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans beschäftigt war. Das erste Büro wurde in dem 1921 vom Ortsausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) gepachteteten Gasthaus zur Nippenburg einge- richtet (Geißhaldenstraße 14). 1922 wurde das Büro in das Wohnhaus von Jonas King (1879-1946) verlegt (Roßwaldstraße 10). Der Automatendreher Jonas King stammte aus dem Nachbarort Lauterbach, war 1897 in die SPD und 1905 in den Deutschen

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Das Gasthaus „Zur Nippenburg“ wurde zum ersten Gewerkschaftsbüro in Schramberg. Schramberg Metallarbeiter-Verband eingetre- ten. 1911 wurde er in den Bürger- ausschuss und 1919 in den Ge- meinderat der Stadt Schramberg gewählt und übernahm den Vor- sitz der SPD-Fraktion. 1920 wur- de er zum Betriebsratsvorsitzen- den in der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans gewählt, ergriﬀ 1924 die Initiative zur Gründung der im Deutschen Reich einzigartigen „Schramberger Arbeitnehmer- Bauhilfe“ und war 1925 maßgeb- lich an der Gründung des repu- blikanischen Kampfverbandes Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold beteiligt. Ende 1926 wechselte Otto Schlachter als Geschäftsführer zum Bezirksarbeitsamt Schramberg. Sein Nachfolger als Gewerkschaftssekretär wurde Emil Kammerer, der Jonas King, Gewerk- schafter mit unterneh- merischem Denken für die Sache der arbeiten- den Menschen – auch er wurde ins KZ gezwungen. Links sein Wohnhaus, in dem zeit- weise das Schramber- ger Gewerkschaftsbüro untergebracht war. F 111 E

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Schramberg Vom Gewerkschafts- bund gekauft, war der „Adler“ drei Jah- re lang das Schram- berger „Volkshaus“, bis die Nazis die Gewerkschaft zer- schlugen. F 112 E aber bereits 1927 nach Schwenningen am Neckar wechselte. Ihm folgte Anfang 1928 der Mechaniker Wilhelm Paulus (1885-?) aus Mannheim. Am Ende der Weimarer Republik gingen die Mitgliederzahlen des Deutschen Metal- larbeiter-Verbandes stark zurück. Der Grund war vor allem die hohe Arbeitslosigkeit, von der die Industriestadt Schramberg sehr stark betroﬀ en war. Von 1929 bis 1932 sank die Mitgliederzahl von 1.002 auf 517. Dagegen nahm von 1931 bis 1932 die Zahl der Fürsorgeunterstützungsempfänger von 12,5 Prozent auf 17,5 Prozent zu. 1930 kaufte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund das Gasthaus zum Adler in Schramberg, in dem ein „Volks- haus“ eingerichtet wurde, zu dem unter anderem auch das Büro des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes gehör- te (An der Steige 1). Nach dem ersten „Tag der nationalen Arbeit“ wurde das „Volkshaus“ von der Nationalsozialisti- schen Betriebszellen-Organisation besetzt und im Zuge der „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften von der Deutschen Arbeitsfront übernommen. Jonas King und Otto Schlachter wurden verhaftet und in das „Schutzhaftlager“ Heuberg bei Stetten am Kalten Markt eingewiesen. Wilhelm Paulus wurde oﬀ enbar in der Zeit der Eingliederung des Deutschen Metallarbeiter-Verban- des in die Deutsche Arbeitsfront im Amt belassen. Nach dem Eintrag auf der Karteikarte des Einwohnermeldeam- tes Schramberg war er bis zum 1. März 1934 beim Deut- schen Metallarbeiter-Verband beziehungsweise der Deut- schen Arbeitsfront beschäftigt. Im Unterschied zu seinen Kollegen Jonas King und Otto Schlachter wurde er nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht in „Schutz- haft“ genommen. Anscheinend verhielt er sich kooperationsbereit, möglicherweise als Helfershelfer der „Gleichschaltung“ sogar sehr opportunistisch. 1937 verließ er mit seiner Familie Schramberg und zog nach Berlin. Zur Verwaltung des „Volkshauses“ setzte die Nationalsozialistische Betriebszel- len-Organisation beziehungsweise die Deutsche Arbeitsfront einen Pfl eger ein. Die Bezeichnung „Volkshaus“ wurde 1934 gestrichen und durch „Gasthaus zum Adler“ ersetzt. 1940 wurde das Gebäude an einen Möbelhändler verkauft. Nach 1945 wur- de es nicht zurückerstattet. Die IG Metall-Verwaltungsstelle Schramberg erhielt da- gegen ein Gebäude, in dem sich zuvor eine Druckerei und Redaktion der NS-Presse Württemberg befunden hatte (Arthur-Junghans-Straße 3). Carsten Kohlmann, Stadtarchiv Große Kreisstadt Schramberg

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Schwäbisch Hall Pompös und martialisch: Rituale der NS-Kultur wie der 1. Mai; hier in Schwäbisch Hall F 113 E Die „große Zeit“ im Kleinen erlebt: Menschen aus Schwäbisch Hall berichten Rosel Lehnert, geboren 1899: 1932 bin ich aushilfsweise zur Firma Gross in die Zent- rale als Telefonistin. Ich hatte zu dieser Zeit schon sehr darunter zu leiden, dass ich nicht in der NSDAP war und auch nicht bereit war, einzutreten. In der Zentrale habe ich vieles mitbekommen und so manchen Leuten war ich ein Dorn im Auge. Es dau- erte auch nicht lange, da hatte man mir einen anderen Arbeitsplatz angewiesen, auf der Bühne wurde mir eine Registratur eingerichtet, dorthin wurde ich verfrachtet; mein jetziger Arbeitsplatz. Kurt Schumacher (Reichtagsabgeordneter der SPD) besuchte in dieser Zeit Schwä- bisch Hall, wir sind an diesem Tag mit einer roten Fahne durch die Stadt marschiert.

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Schwäbisch Hall F 114 E Ein Arbeitskollege (Stahlhelm), der mich dabei gesehen hatte, drohte mir an, mich zu erschießen, wenn er mich bei solchen Aktionen noch einmal sehen würde. Ich war in dieser Zeit Mitglied des Musikvereins „Freiheit“; als 1933 viele Vereine und Organisationen verboten wurden, beschlagnahmte man auch alle unsere Liederbü- cher. Mein Mann, der Bibliothekar war, wurde verhaftet und nach Heilbronn ins Ge- fängnis gebracht. Ein SA-Mann hatte ihn beobachtet, wie er mit Musikfreunden an- geblich Waﬀ en in unserem Garten vergraben hätte. Alle wurden verhaftet! Aber was sollte ein Musikverein mit Waﬀ en – Solche unglaublichen Vorgänge waren in dieser Zeit tagtäglich zu erleben! Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit begegnete mir ein Mann, der mich mit „Heil Hitler“ grüßte, worauf ich nur „Guten Morgen“ erwiderte. Eines Tages drohte er mir an, dass er mein Verhalten weiterleiten würde, wenn ich nicht mit dem „Hitlergruß“ antworten würde. Er stellte mich dann auf einer öﬀ entlichen Veranstaltung der Na- zis bloß. Friedrich Kübler, geboren 1895: Von 1914 bis 1917 habe ich bei Ganzhorn + Stirn in Steinbach eine Ausbildung als Mechaniker absolviert. Mein Kollege Lutz war zu die- ser Zeit Kassiererer beim Metallarbeiter-Verband. Er erzählte mir von der Notwen- digkeit, sich zu organisieren und so trat ich in den Metallarbeiter-Verband ein. Nach Beendigung meiner Ausbildung zog ich nach Frankfurt. Dort fand gerade ein Gene- ralstreik der Metallarbeiter statt. Ich habe in der Armaturenfabrik Firnkorn & Sau- er (Schalttafeln, zahnärztliche Instrumente ) anderthalb Jahre im Akkord gearbeitet. Dann kam der Erste Weltkrieg, ich hatte meinen Arbeitsplatz verloren. Wie so viele stand ich da ohne Arbeit. In Oﬀ enbach war eine Maschinengewehrfabrik, die noch Leute eingestellt hat. Wie die meisten meldete ich mich als Freiwilliger zum Ersten Weltkrieg. Was ich sehr bald bereute. Ich kam in Gefangenschaft. Nach dieser Zeit kam ich wieder nach Schwäbisch Hall zurück. Ab 1918 habe ich bei Bader & Hagelloch als Dreher gearbeitet und dort meine Meis- terprüfung abgelegt. Zu dieser Zeit haben sich die Meister in einem Werkmeisterver- band zusammengeschlossen. Mein Freund Julius Kugler, der Vorstand des Verban- des war, schlug vor, dass wir 1933, als die Nazis die Verbände auﬂ östen, unsere Kas- se auf den Kopf zu stellen, damit sie nicht den Nazis in die Hände fällt: So wurde es dann auch gemacht. In Vellberg in einer Wirtschaft aßen wir Rehbraten und tranken so manches Viertele, vom Rest des Geldes kauften wir uns Zigarren. Der Vorsitzende des Metallarbeiter-Verbandes Friedrich Baumann arbeitete wie ich

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Schwäbisch Hall bei Bader & Hagelloch. Wären zu dieser Zeit mehr Leute im Verband gewesen, hätte man sich gegen die Nazis stellen können. So waren wir machtlos! Aus der Arbeiterschaft waren nur wenige Leute in der NSDAP. Ich selbst wurde öfters von den Nazis darauf angesprochen, dass ich ein besserer Meister wäre, wenn ich kein Sozialdemokrat oder Gewerkschaftler wäre. Bei den Haller Naturfreunden war ich von Anfang an dabei. Bei einem Spaziergang 1920 hatten wir den Platz für unser heutiges Lemberghaus entdeckt. Der Kollege Emele war Vorstand der Naturfreunde. Jedes Wochenende fuhren wir mit dem Leiterwagen Brezeln und Getränke ins Lemberghaus um sie dort zu verkaufen. Der Vorstand der Naturfreunde wurde im Lernberghaus verhaftet. Bei Bader & Hagelloch fanden zu dieser Zeit öfters Warn- streiks statt wegen Lohnforderung. Beschwerte sich ein Arbeiter über betriebliche Mißstände, so wurde er sehr schnell entlassen, da es damals noch keinen Kündigungs- schutz wie heute gab. Wir waren vollständig gelähmt, als die Nazis die Macht übernahmen. Im Innern haben wir gebebt gegen das, was die verlangt haben. Unter uns haben wir über viele Dinge geschimpft, nach außen hin konnte man es nicht wagen. Am 1. Mai 1933 mussten wir an der Mai-Demonstration teilnehmen. Es war sehr heiß und die Nazis haben Bier und Wasser spendiert. Alle mussten her, Lehrer, Pfarrer, Unternehmer. In Hessental war ein Gefangenenlager, wo wir manchmal heimlich den Gefangenen Lebensmittel zukommen lie- ßen. Auch bei Bader & Hagelloch gab es Kriegsgefange- ne – Franzosen – die wir mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt haben. 1 1 Die Berichte stammen aus dem Heft „1933 – eine Dokumentation der IG Metall Schwä- bisch Hall“ von 1983. Das oﬃ zielle Schwäbisch Hall befolgte die Vorgaben der NSDAP. F 115 E

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Sindelfingen Betriebsappell Die Bilder aus dem Daimler-Werk Sindelfi ngen zeigen beispielhaft, wie eng Betriebs- leben und Politik verbunden waren – noch dazu für ein Unternehmen, das viel auf staatliche Aufträge achtete. In der Deutschen Arbeitsfront (DAF) waren Beschäftig- te und Unternehmer zwangsweise zusammengefasst und sollten sich als homogene Menge verstehen und verhalten. Eine wirksame Vertretung der letztlich ganz eigenen Interessen beider Gruppen fehl- te. Das Regime gab vor, was benötigt wurde und wie es erreicht wurde. Möglicher Wi- derstand gegen diese Strukturen stand unter dem Vorzeichen vielfacher und begrün- deter Angst vor Bespitzelung und Verfolgung. Dennoch waren es vielfach Metaller, die sich für die Weitergabe verbotener Informationen engagierten. F 117 E

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Singen F 118 E Große Inszenierung der Machthaber, kleine Formen des Widerstands Der 1. Mai 1933 sollte in Singen nicht mehr Kampftag der selbständigen Arbeiterbe- wegung sein. Nachdem er zum Feiertag erhoben worden war, sollte er zum „Tag der nationalen Arbeit“ werden. Um den Sieg über die Arbeiterbewegung zum Ausdruck zu bringen, wurde geplant, den Festzug zunächst auf dem Schnaidholz-Sportplatz, den die Sport- und Kulturgemeinschaft weitgehend in Eigenarbeit errichtet hatte, mit einem Festakt zu beenden. Doch schon bald kamen Bedenken dagegen auf. Zum einen rebellierten die Wirte, Bäcker und Metzger, die sich einen guten Verdienst von dieser großen Feier erhoﬀ - ten, jedoch übersahen, dass die Läden an einem gesetzlichen Feiertag gar nicht ge- öﬀ net werden durften. Zum anderen stellten sich aus Sicherheitsgründen Bedenken gegen den geplanten Endpunkt des Festzuges ein. Die Nationalsozialisten fühlten sich noch nicht sicher genug, ihre Inszenierung der Maifeier auf dem Sportplatz der sozialistischen Arbeiterbewegung durchzuführen. Sie befürchteten Gegenaktionen und Angriﬀ e aus den Reihen der Arbeiterbewegung. Aufgrund dieser Erwägungen verlegte man den Festakt auf den Waldeck-Sportplatz, der zentraler lag und nicht als „Heimat“ einer politischen Richtung galt. Die Häuser sollten befl aggt und mit Tannenreisig, das von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt wurde, geschmückt werden. 1590 Fahnen wehten an diesem Tag in Singen, allein 168 in der Ekkehardstraße. Zur Feier des Tages wurden einige Straßen umbenannt, um auch hier die Spuren der Arbeiterbewegung zu tilgen. Beispielsweise taufte man die Walter-Rathenau-Straße in Adolf-Hitler-Straße um. Diese Maßnahme geschah allerdings fast unmerklich und wurde nicht propagandistisch ausgeschlachtet, um keine Gegenaktionen zu provo- zieren. Das Festprogramm begann am frühen Morgen. Schon um 7 Uhr begann das erste Platzkonzert vor dem Kriegerdenkmal. Auch zu dieser ungewohnt frühen Stunde hat- ten sich Zuhörer eingefunden. Damit der Bevölkerung die Ereignisse in Berlin näher- gebracht werden konnten, hatte man eine Lautsprecheranlage auf dem Platz instal- liert, und ab 10 Uhr wurden die Reden direkt übertragen. Um 9 Uhr gab es Gottes- dienste beider Konfessionen , die sehr gut besucht waren. Die Predigten hatten laut „Oberländer Zeitung“ den Sinn und die Bedeutung des „neuen“ 1. Mai zum Thema und „vertieften von religiös-kirchlicher Seite die moralischen Grundgedanken der nationalen Maifeier“.

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Nach den Böllerschüssen um 14 Uhr setzte sich der Zug, an dem etwa 8.000 Perso- nen teilnahmen, in Richtung Rathaus in Bewegung. „Gegenüber dem Rathaus hatten der Ortsgruppenführer Fuchs und der Organisationsleiter der NSDAP Hummel Auf- stellung genommen und ließen den Zug unter Darbietung des Hitler-Grußes an sich vorüberziehen“, so berichtete die Zeitung. Der Spielmannszug der SA und die Stadtmusik führten den Zug an, es folgten die Fahnenabordnungen der Vereine von Singen und der teilnehmenden umliegenden Orte. Hinter den Fahnen gingen Polizei, Gendarmerie, SA und der Lehrsturm der Hit- lerjugend. Die weiteren Gruppen gehörten der Abteilung „Arbeiter, Angestellte und Unternehmer der Industrien“ an. Nach zweieinhalb Stunden war man schließlich am Sportplatz des FC 04 angelangt. Auf dem Programm standen nun drei Reden, die durch die Darbietungen der Ka- pellen und Chöre musikalisch umrahmt wurden. „Aus der Maifeier, die die Klassen trennte“, so der Ortsgruppenführer der NSDAP, „ist ein Nationalfeiertag geworden. […] Die Tage der Internationale sind vorbei, auch in Singen, wo sie einstens drohend ihr Haupt erheben durfte.“ Mit dem Horst-Wessel-Lied und dem Deutschlandlied schloss man die Feier auf dem Platz, kurz bevor ein heftiger Regenschauer einsetzte und die Zuschauer vertrieb. Am Abend hatte man die Auswahl zwischen „Volksbelustigung“ und einer Theater- vorstellung in der Kunsthalle. Die NSDAP-Ortsgruppe Singen hatte die Auﬀ ührung der Tragödie „Gyges und sein Ring“ in das Programm aufgenommen. In der Scheﬀ el- halle spielte die Stadtmusik zum Tanz auf. Manche Betriebe hatten zu einem gemüt- lichen Abend mit freier Verpfl egung eingeladen. Mit der Gleichschaltung der Gewerkschaften einen Tag nach dem 1. Mai 1933 war die Zerschlagung der Arbeiterbewegung zunächst formal abgeschlossen. Die Kommu- nisten konnten sich am schnellsten auf die illegale Arbeit umstellen. So zielte der kommunistische Widerstand in Singen im Wesentlichen auf die Aufklärung der Ar- beiter über den Faschismus und die drohende Kriegsgefahr, den Transport antifa- schistischer Materialien aus der Schweiz und die Fluchthilfe. Viele der Aktionen glückten, manche wurden von der Gestapo entdeckt und fl ogen auf. Immer wieder kam es zu Verhaftungen von Singener Kommunisten, Sozialisten und Christen. Einige von ihnen standen wegen ihrer Widerstandstätigkeit vor Ge- richt, wurden in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten inhaftiert und verlo- ren infolge von Hunger und Gewalt ihr Leben. Margarete Lorinser1 1 Gekürzte Wiedergabe eines Kapitels aus Gerhard Zang (Hg.), Arbeiterleben in einer Rand- situation – die allmähliche Entstehung der Arbeiterbewegung in einer rasch wachsenden Industriestadt Singen a. H. 1895–1933; Konstanz 1987. Singen F 119 E

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Stuttgart Der frühe Tod des Friedrich Elsässer Der Dreher Friedrich Elsässer aus Stuttgart-Möhringen, geboren 1892, wurde nur 56 Jahre alt. Drei Jahre nach dem Ende des Faschismus starb er. Ein fachärztliches Gut- achten des Stuttgarter Regierungsmedizinalrats Dr. med. Salzer sollte anhand der Akten klären, „ob der Tod des E. mit Wahrscheinlichkeit auf die Haftzeit in Deutsch- land zurückgeführt werden kann“. Der Arzt listete unter anderem die Haftzeiten des kommunistischen Widerständlers auf: Friedrich Elsässer „befand sich vom 28. Mai 1934 bis 18. Mai 1937 in der Landesstrafanstalt Rottenburg und kam anschließend bis 20. August 1937 nach Welzheim in Schutzhaft. 1944 bis 1945 befand sich E. als Emigrant in Schweizer Lagern“. Der Facharzt kam nach eingehender Untersuchung der verschiedenen Erkrankungen des Häftlings zu dem Schluss, es „wird der Tod des E. als Folge seiner Haft mit Wahrscheinlichkeit angesehen.“1 Emma Elsässer berichtete später: „[…] Mein verstorbener Ehemann Friedrich Elsässer und ich gehörten seit 1943 einer illegalen Widerstandsbewegungsgruppe gegen das Naziregime an. Durch einen Gestapo-Agent […] wurden wir der Polizei gemeldet. Wir wurden durch einen Verbindungsmann gewarnt, vor der bevorstehenden Verhaftung konnten wir nur durch Flucht in die Schweiz entﬂ iehen. Nach sechstägigem Umherirren an der Schweizer Grenze gelang es uns am 2. September 1944, bei Riehen-Basel die Grenzen unter den damaligen, noch schwierigsten Verhältnissen zu überschreiten; aber unser Gedanke war: lieber von den Grenzern erschossen zu werden als von den Gestapo-Schurken umge- bracht. Von den Schweizer Zöllnern wurden wir nach langen Verhören der Schweizer Po- lizei übergeben. Nach genauer Prüfung wurden wir nach einigen Tagen in mi- litärisch verwalteten Internierungslagern untergebracht (Basel, Montreux, Les Avants, Adliswil). In diesen Lagern haben wir gehungert und gefroren, dann hatten wir mitun- ter nazifreundlich gesinnte Kommandanten, welche uns als Nazigegner furcht- bar schikanierten. Gehungert haben wir nur durch die schlimme Korruption der Verwaltung. Am 10. Februar 1945 konnte ich unter polizeilichen Bedingungen als Hausange- stellte vom Lager beurlaubt werden. Mein Mann blieb weiterhin im Lager. Am 10. Juli 1945 kehrten wir wieder nach Stuttgart zurück. […]“ 1 Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I Bü 572. F 120 E

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Stuttgart Das Gewerkschaftshaus an der Esslinger Straße war auch ein Postkarten- motiv. Die Stuttgarter Ortsver- waltung aus den Jah- ren der Weimarer Repub- lik – von links nach rechts – auf der Treppe: Karl Schweizer, Leo Roth, Her- mann Weller; stehend: Albert Kern, Karl Möss- ner, Fritz Hüttinger, Rein- hold Klipphahn, Otto Wei- denbach; sitzend: Fritz Si- ckert, Simon Kraus, Emil Dangel, Gottlieb Gönnen- wein. F 121 E Das Stuttgarter Gewerkschaftshaus … … ist nicht immer das selbe Gebäude. Wo heute das Breuniger-Parkhaus steht, war bis 1928 der „Gasthof zum goldenen Bären“ – ein großes Büro- und Veranstaltungs- haus, in dem viele Gewerkschaften ihren Sitz hatten. Eine Broschüre aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gibt an, dass der „Goldene Bär“ und ein Haus an der Holzstraße „nicht mehr den Erfordernissen“ entsprachen, „weshalb im Jahre 1929 beschlossen wurde, einen Neubau zu errichten.“ Dieser Neubau ist das, was auch 2013 (bei aller Umgestaltgung) noch „das Stuttgar- ter Gewerkschaftshaus“ an der Willi-Bleicher-Straße ist. An dieser Straße, der frü- heren Kanzleistraße, lag zuvor auch das Metallarbeiterheim – unabhängig vom Ge- werkschaftshaus hatten die Metaller hier Räu- me für den eigenen Bedarf geschaﬀ en. Im Ad- ressbuch des Deutschen Metallarbeiter-Ver- bands (DMV) von 1933 ist die Kanzleistraße 33 als Geschäftsstelle zu fi nden. A uch wenn ein Foto zeigt, dass hier „Wirtschaft und Säle“ zur Verfügung standen, wird als Ort für Treﬀ en und Veranstaltungen das „Gewerkschaftshaus Gol- dener Bär, Esslinger Straße 17“ angegeben. So- weit, so vielfältig – mit dem 2. Mai 1933 änderte sich die Sachlage grundsätzlich.

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Stuttgart Während das neue Gewerkschaftshaus an der Kanzleistraße gerade fertiggestellt und teils bezogen wurde, rissen die Natio- nalsozialisten sich alle Besitztümer der freien Gewerkschaften unter den Nagel und lösten die Interessenvertretung der Be- schäftigten auf. Gewerkschaftsfunktionäre wurden „in gesetz- widriger Weise, unter Androhung von Gewalt“, wie die Nach- kriegsbroschüre beschreibt, zum Rücktritt gezwungen. „Nun war das Haus seinem eigentlichen Zweck vollständig ent- zogen. An Stelle der Freiheit trat der Zwang. Die vom Lohn und Gehalt in den Lohnbüros abgezogenen Beiträge für die Deut- sche Arbeitsfront (DAF) wurden für die Rüstungsindustrie und in der Folge für den Krieg verwendet. Die Arbeiterschaft hatte keinerlei Einfl uss auf die Verwendung ihrer Beiträge.“ Doch damit nicht genug: „Während der letzten Kriegsjahre wur- de das Haus durch Bombenschäden schwer in Mitleidenschaft gezogen und nach amtlicher Schätzung bis zu 65 Prozent zer- stört. Bei der Besetzung Stuttgarts belegten französische Trup- pen das Haus.“ Fast das ganze Mobiliar sowie die technischen Einrichtungen seien entwendet worden. Nach Abzug der Sol- daten hätten Flüchtlinge und Verschleppte Unterkunft im Haus gefunden. Das Stuttgarter Gewerkschaftshaus – besetzt von den Nazis (oben), erheblich beschädigt und da- nach wieder für seinen eigentlichen Zweck in- stand gesetzt (Bild rechts). „Das Gebäude wurde dann von der Militärregierung beschlagnahmt und einem Treu- händer unterstellt. Ende August 1945 erhielten die Gewerkschaften von der Vermö- gensverwaltung der beschlag- nahmten DAF-Vermögen die Genehmigung zum Bezug der Parterreräume.“ Nach län- geren Verhandlungen hätte man sich auch der Räume im dritten Stockwerk annehmen können. „Die Gewerkschaften besserten die größten Schä- den aus. Nachdem immer mehr Räume von den Gewerk- schaften benötigt wurden, musste das Haus ausgebaut und nach Überwindung vieler Schwierigkeiten instand ge- setzt werden.“ F 122 E

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Metall-Gewerkschaft in Stuttgart schon früh auf Wachstumskurs Offensichtlich für die Grundsteinlegung eines neuen Gewerkschaftsgebäudes wur- de der hier abgedruckte Text formuliert. Immerhin ist die erste Seite dieser klei- nen Geschichte des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV) Stuttgart überlie- fert ... Der Deutsche Metallarbeiter-Verband wurde im Jahre 1891 ins Leben gerufen und zählte nach Verlauf von zehn Jahren erst 100.000 Mitglieder. Im Jahre 1911 konnte die Mitglie- derzahl von 500.000 überschritten werden. Die Entwicklung des Gesamtverbands ist mit der der Stuttgarter Verwaltungsstelle zu vergleichen. 1892 zählte Stuttgart 209 Verbandsmitglie- der, 1902 waren es 1366, 1912 mit Jahresschluss 16.285, davon 486 weibliche und 505 ju- gendliche Mitglieder unter 18 Jahren. Die Größe der Mitgliederzahl steigerte die anfallen- de Arbeit, so dass sich schon im Jahre 1899 die Anstellung eines besoldeten EinKassiere- rers notwendig machte. 1905 wurde der erste Geschäftsführer angestellt und ein Büro in der Brunnenstraße No. 3 parterre bezogen. Schon im darauf folgenden Jahre reichte das Büro nicht mehr aus und erfolgte der Umzug nach Gym- nasiumstraße No. 11. Trotzdem zu den erst gemie- teten zwei Räumen noch zwei weitere hinzu gemie- tet wurden, ward es auch im neuen Heim bald zu eng und musste ein neues Büro in der Sophienstra- ße 21b, I. Stock im Juni 1910 bezogen werden. Nach ganz kurzer Zeit erwiesen sich auch diese Räume als zu klein, für die Jugendabteilung musste ein beson- deres Lokal in der Mozartstraße gemietet werden. Außerdem wurde der Verkehr im Büro immer grö- ßer, so dass wiederholt der Gedanke auftauchte, ob es nicht besser sei, ein eigenes Haus zu erwerben, damit nicht fortgesetzt Umzüge erforderlich werden. Lange Zeit sah man sich um nach einem geeigneten Anwesen, nach langer Prüfung fand man, dass die Erwerbung eines fertigen Hauses nicht vorteilhaft ist und ging – – – [hier bricht der Text ab] Bildkarte, off ensichtlich aus der Zeit des Ersten Weltkriegs : : Stuttgart F 123 E 123

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Tuttlingen Gemeinsamkeit in der „Hochburg des Gewerkschaftsgedankens“ Den Titel als besonders gewerkschaftsfreundliche Stadt bekam Tuttlingen von der Gegenseite zugesprochen: Die Lokalzeitung „Gränzbote“ machte sich schon bald zum Sprachrohr der örtlichen Nazis und beklagte, dass sich in der Donaustadt „Streiks an Streiks reihten“. In der „AG für Feinmechanik“ war es der Deutsche Me- tallarbeiter-Verband, in der Schuhfabrik Rieker der Verband der Lederarbeiter, die den Interessen der Beschäftigten Ausdruck verliehen (wobei die Metaller besser ver- dienten). Der Gasthof „Falken“ war das Gewerkschaftslokal; gegenüber befand sich das Büro der Metallarbeiter. Der untere Saal des Gewerkschaftshauses war als Gasthaus eingerichtet und, so berichteten in den 1980er-Jahren Zeitzeu- gen dem Regionalgeschichtlichen Arbeitskreis, „immer voll“. Bibliothek und Musikraum im ersten Stock zeugten vom kulturellen Interesse der Arbeiter; hier probte der Arbeitergesangsverein „Freiheit“ ebenso wie die Instrumen- talgruppe der Gewerkschaftsjugend.1 Wie überall war die Arbeiterschaft geteilt in sozialdemokratische und kommunisti- sche Parteigänger. Doch in Tuttlingen gab es bei allen strengen Vorgaben aus Stutt- gart oder gar Berlin auch Zusammenar- beit – erst recht angesichts der Bedro- hung durch die Nationalsozialisten. „An der Basis gab es keine Hemmungen. Es ist ja traurig, der Hitler war an der Macht und die wollten noch sagen, mit Kommu- nisten demonstrieren wir nicht!“, erzähl- te Zeitzeuge Willi Rominger später.2 Das frühere Gewerk- schaftshaus „Falken“ in den 1980er-Jahren Die kommunistische Antifaschistische Aktion und die sozialdemokratische Ei- serne Front versprachen im Aufruf zu einer gemeinsamen Demonstration am 9. Fe- bruar 1933: „Die […] Einheitsfront gegen Faschismus und Reaktion in Tuttlingen ga- rantiert eine erfolgversprechende Abwehr und muss der Reaktion und der faschisti- schen Meute zeigen, dass Tuttlingen immer noch Rot ist und bleiben wird.“ Gewerk- schaften, Parteien Sport- und Kulturvereine waren präsent. „Das war die größte De- monstration, die Tuttlingen je gesehen hat, und es war die Demonstration der Ein- 1 2 Angaben nach Marliese Allgaier-Schutzbach: in „Nationalsozialismus in Tuttlingen“, 1985, Seite 83 ff . Interview des Regionalgeschichtlichen Arbeitskreises, zitiert nach Gunda Woll (Hg): Zur Geschichte der Stadt Tuttlingen, 1997, S. 319 ff . F 126 E

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heit“, erzählte Albert Reuchlen, der damals der kommunistischen Jugend vorstand, später. Er wie auch andere Funktionäre wurden bereits im März zwischenzeitlich verhaftet und im nahe gelegenen Konzentrationslager Heuberg bei Stetten am Kal- ten Markt inhaftiert. Der „Gränz-Bote“ kritisierte im März 1933 in seiner Berichterstattung die „kritische und abwartende Haltung des Großteils der Bürgerschaft“ in Tuttlingen. Die Landge- meinden hätten dagegen zahlreiche „nationale Feiern“ abgehalten: „Selbst in den kleinsten Dörfern fand dann noch ein Fackelzug statt. Und wiederum: Nur in Tuttlin- gen war ein großes Schweigen.“ Anfang April besuchte ein Redakteur der konservativen Lokalzeitung das Konzentra- tionslager Heuberg und erklärte der Bevölkerung: „Ein Teil der Gefangenen ist in Schutzhaft, um sich selbst zu schüt- zen, der weitaus größere Teil aber, um die Bevölkerung vor ihnen zu schützen, weil von ihnen angenommen wird, dass sie die nationale Erhebung stören.“ Damals waren schon 1.900 Männer, vorwiegend Sozialde- mokraten und Kommunisten, im KZ Heuberg inhaftiert, der „Gränz-Bote“ machte darunter „manchen bekannten Land- tagsabgeordneten und Stadtrat der Linken“ aus. Eine gewissenhafte Aufklärung über die tatsächlichen Verhältnisse im Lager war von der „gleichgeschalteten“ Pres- se nicht zu erwarten: „Wir freuen uns, dass die Häftlinge menschlich behandelt wer- den und dass man in ihnen nicht Verbrecher, sondern Verführte sieht. Und wir freuen uns auch, dass nicht Strafe, sondern Erziehung und Gesinnungswandlung der Sinn des Konzentrationslagers sein soll. Hier muss eine große Arbeit getan werden.“3 Am 2. Mai besetzten SA-Männer das Gewerkschaftshaus „Falken“ unter dem Vor- wand, man habe in den Kassen fi nanzielle „Unregelmäßigkeiten“ entdeckt. Nähe- res über die angebliche Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern wurde allerdings nie mitgeteilt. Die drei Gewerkschaftler Friedrich Koßmann, Wilhelm Eisenlohr und Heinrich Zepf wurden nun ebenfalls in „Schutzhaft“ genommen und im KZ Heuberg interniert. Der Aufl ösung der Gewerkschaften folgte die Zerstörung der Arbeiterkul- turvereine; ihr Vermögen wurde beschlagnahmt und weiterverteilt; Musikinstrumen- te des Turnvereins Jahn eignete sich zum Beispiel die SA-Kapelle an, das Naturfreun- dehaus im Donautal wurde enteignet und zu einem Schulungsheim der Hitlerjugend umfunktioniert, das Waldheim des TV Jahn verkaufte die Landesregierung später an den Ortsgruppenleiter der NSDAP – womöglich eine Revange für die Turner, die kurz vor der Beschlagnahme das gesamte Barvermögen ihres Vereins in einer kurzfristig anberaumten Sitzung in einem Brauereilokal in Bier umgesetzt hatten.4 Gunda Woll, (Hg), Zur Geschichte der Stadt Tuttlingen, 1997, S. 319 ff . 3 4 Marliese Allgaier-Schutzbach, in „Nationalsozialismus in Tuttlingen“, 1985, Seite 83 ff . Tuttlingen Die Gewerkschafter Heinrich Zepf (links) und Wilhelm Eisenlohr: Eingesperrt und gede- mütigt im Lager Heuberg F 127 E

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Ulm Das Zuhause der Gewerkschafter im Herzen von Ulm Bezeichnung Ab 1920 fanden die freien Ulmer Gewerk- schaften eine neue Heimat im Gasthaus zum Mohren am Weinhof 23: Unter der of- fi ziellen „Metall-Arbeiter- heim“ geführt, blieb die Wirtschaft erhal- ten und bot daneben Raum für Versamm- lungen, Übernachtungsgelegenheiten, aber auch Büroräume für die freien Gewerk- schaften. Auch eine Wärmestube für Bedürfti- ge war vorhanden. Bis 1933 waren die jewei- ligen Geschäftsführer des Deutschen Metal- larbeiterverbands (zuerst Max Denker, dann Ernst Eisele) Inhaber des Gastwirtschafts- rechts. Durch einen Vergleich wurde das Grundstück 1951 an die IG Metall zurückgegeben und mit dem Wiederaufbau begonnen. 1954 konn- te das Gewerkschaftshaus wieder seiner Be- stimmung als Treﬀ punkt der Ulmer Gewerk- schaften übergeben werden.1 1 Aus dem Ausstellungstext von Antje Trosien, DGB Südwürttemberg, 2013. F 128 E

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In Ulm besetzten SA-Abteilungen das Gewerkschaftshaus am Weinhof und hissten, zum Hohn aller organisierten Arbeiter Ulms, die Hakenkreuzfahne auf dem Dach. Die Gewerkschaftssekretäre wurden nach der Überprüfung der Kassenbestände bis zum 5. Mai beurlaubt und nahmen am folgenden Tag unter der Aufsicht des neu ernannten Kommissars zur Überwachung der Gewerkschaften ihre Tätigkeit wieder auf, damit Gewerkschaftsmitglieder weiterhin ihre Unterstützungen erhalten konn- ten. Nach ihrer Gründung am 10. Mai erhielt die Deutsche Arbeitsfront (DAF) das Vermö- gen der Gewerkschaften und zog in das vormalige Gewerkschaftshaus ein. Bis zum 17. Dezember 1944, als der Bombenhagel die Innenstadt in Schutt und Asche legte, prangte auf der Außenwand des Gebäudes der Schriftzug der DAF.2 2 Aus Uwe Schmidt, Ein redlicher Bürger redet die Wahrheit frei und fürchtet sich vor niemand, Ulm, 2007. Ulm Durch seine Nachbar- schaft zum historischen Weinhof ist das Gewerkschaftshaus ein beliebtes Bildmotiv auf Postkarten. F 129 E

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Ulm F 130 E Leonhard Gerlinger, Gewerkschafter: Erster Bevollmächtigter des Deut- schen Metallarbeiter-Verbands in Ulm von 1923 bis 1933 und der Industriegewerk- schaft Metall von 1945 bis 1953. Gerlinger wurde 1888 als Bauernsohn nahe Schwä- bisch Hall geboren. Er machte eine Lehre zum Hufschmied und schloss 1906 mit der Gesellenprüfung ab. Nach seiner Heirat mit Sofi e Junginger wurde 1912 Tochter Em- ma geboren. Gerlinger war Soldat im Ersten Weltkrieg. In Ulm arbeitete er zunächst als Schmied bei der Firma Pfl ug-Eberhardt. Als Gewerkschafter war er sehr aktiv und wurde 1920 Zweiter Bevoll- mächtigter, dann 1923 Erster Bevollmächtigter des Deutschen Metal- larbeiter-Verbands in Ulm. Bis zur Machtübernahme der Nazis war er auch Vorsitzender des ADGB und leitete das Gewerkschaftshaus am Weinhof. Er war Mitglied in der SPD und in der Eisernen Front und be- zog klar Position gegen die aufkommende nationalsozialistische Ge- fahr. Dabei ging’s auch zur Sache: Mehrere Male war er in Schlägerei- en mit ortsbekannten Nazis verwickelt. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde er bereits im April 1933 verhaftet und in das KZ Heuberg verbracht. Dort blieb er bis zum 5. August 1933. Nach der Besetzung des Ulmer Gewerkschaftshau- ses am 2. Mai 1933 war Gerlinger bis 1936 arbeitslos. Dann wurde er als Hufschmied dienstverpfl ichtet und arbeitete bei verschiedenen Ulmer Firmen als Hilfsarbeiter. Nach dem Stauﬀ enberg-Attentat wurden im August 1944 reichsweit missliebige Personen verhaftet, auch Gerlinger. Bei einem der letz- ten Luftangriﬀ e auf die schon stark beschädigte Stadt Ulm am 19. April 1945 verlor er seine gesamte Familie. Trotz all der Verfolgung und des schweren Schicksalsschlags: Als die Ulmer Gewerk- schaften wieder aufgebaut wurden, war Leonhard Gerlinger einer der Männer der ersten Stunde. Nicht nur als Bevollmächtigter der IG Metall, sondern auch im Ul- mer Gemeinderat, wo er sich um die Versorgung der hungernden Ulmer Bevölkerung kümmerte. 1947 heiratete Gerlinger die Ulmerin Julie Gansloser. 1951 schied er aus dem Gemeinderat aus und ging 1953 in Pension. Die Eröﬀ nung des wiederaufgebau- ten Ulmer Gewerkschaftshauses hat er noch erlebt. Er starb am 8. September 1959 einundsiebzigjährig in Ulm. Als Mensch war Leonhard Gerlinger vermutlich nicht ganz einfach. „Von Leonhard Gerlinger gilt nach den Angaben seiner zahlreichen Freunde in besonderem Maße das Wort vom guten Kern in der rauhen Schale“, hieß es in der Schwäbischen Donau- zeitung am 19. Januar 1953 in einem Artikel über seinen 65. Geburtstag. Antje Trosien

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Waiblingen Ganz vom Anfang an – Beispiel Waiblingen „Die gesellschaftlich verpönte Fabrikarbeit mit ihrem sozialen Abstieg in den Vier- ten Stand fand anfangs nur wenige vom Hunger geplagte Menschen, welche bereit waren, als Fabrikarbeiter zu arbeiten“, so schreibt Günther Sauter in dem von der IG Metall Waiblingen 2001 herausgegebenen Buch Ein jeder muss sich aufraﬀ en – Die Arbeiterbewegung in Waiblingen bis 1933. „In der Erwartung der Linderung ihres materiellen Elends waren sie letztlich bereit, sich den Disziplinierungsmaßnahmen in den Fabriken zu unterwefen.“ Er beschreibt auch die Gründung der Interessensvertretung dieser Menschen, des Deutschen Metallarbeiterverbands, in der schwäbischen Provinz. Im späten Win- ter des Jahres 1901 lud ein anonymer „Einberufer“ mit einer Zeitungsanzeige zur „Gründung einer Zahlstelle des deutschen Metallarbeiter Verbands“ ein. Am Sonn- tagnachmittag um 16 Uhr sollte man sich „bei Herrn Reinhardt“ treﬀ en – in der Gast- stätte des Bäckers Gottlob Reinhardt, der späteren „Eintracht“ in der Zwerchgasse 7. Sauter schreibt: „Obwohl keine gesicherten Daten vorliegen, muss davon ausgegan- gen werden, dass die Verwaltungsstelle Cannstatt des Deutschen Metallarbeiterver- bandes mit ihren rund 600 Mitgliedern diese Gründung in die Wege leitete. Dafür spricht, dass fast zeitgleich eine Zahlstelle der Holz- und Fabrikarbeitergewerkschaft gegründet wurde. Die relativ spät einsetzende Industrialisierung in Waiblingen be- einfl usste auch die Organisierung der Arbeiter in Gewerkschaften.“ Die Veranstaltung wurde den Unterlagen zufolge von 26 Gründungsmitgliedern be- sucht. Diese kamen nicht nur aus den Waiblinger Metallbetrieben, so Sauter. „Die Firma Roller war der einzige größere Metallbetrieb mit 40 Beschäftigten. Die ande- ren Betriebe waren dem Metallhandwerk zuzuordnen. Ein beachtlicher Teil der Mit- glieder waren Pendler und arbeiteten in Cannstatter und Stuttgarter Metallbetrie- ben.“ F 131 E

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Waiblingen Zwerchgasse 7: Hier fand die ers- te öff entliche Metal- larbeiter-Versamm- lung im Jahr 1901 statt, als die Gastro- nomie des Bäckers Reinhardt noch nicht „Gasthaus zur Ein- tracht“ hieß. F 132 E Betriebsräte einrichten, bessere Löhne aushandeln, aber auch für die Familien sor- gen, Notfälle mildern, Angebote für die Jugend zu gestalten gehörten zu den selbst gesetzten Aufgaben. Die Zahl der Mitglieder des DMV in Waiblingen überschritt 1909 erstmals die Hun- derter-Grenze. 1913 waren es bereits 258 Metallgewerkschafter und nach dramati- schen Einbrüchen in den Jahren des Ersten Weltkriegs schon 1918 stattliche 358 DMVler in der Stadt an der Rems. Zehn Jahre später verzeichneten die Waiblinger Metaller dann bereits 621 Mitglieder. Von da an ging’s bergab: In den Jahren 1932 und 1933 gibt die Waiblinger DMV-Statistik nur noch 316 Mitglieder an. „Dem Verbot der Arbeiterorganisationen gingen zahlreiche Verhaftungen von Arbei- terfunktionären, Sozialdemokraten und Kommunisten voraus“, schreibt Günther Sauter. „Bereits am 11. und 12. März 1933 sind 22 Kommunisten verhaftet und in Schutzhaft genommen worden. Im gleichen Zeitraum kam es zu weiteren Verhaf- tungen von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Nach Angaben der städtischen Polizei hieß es im Verwaltungsbericht der Stadt Waiblingen, dass 41 Personen in Schutzhaft genommen wurden, zehn weitere Inhaftierte sind wegen Hochverrats an- geklagt und fünf Personen wegen Beleidigung der NSDAP verhaftet worden.“ Über die nächste Runde von Verhaftungen schrieb der „Remstalbote“ am 13. Ap- ril 1933: „Polizeiliche Razzia in Waiblingen. Von hiesigen Polizeibeamten wurden verﬂ ossene Nacht rund 40 Angehörige der KPD und SPD in Schutzhaft genommen. Sie wurden heute früh dem Landeskriminalpolizeiamt in Stuttgart zugeführt, wo die Voruntersuchung statt- ﬁ ndet und über das weitere Schicksal der Häftlinge ent- schieden wird.“ Am 2. Mai wurde dann das Gewerkschaftshaus in der Frohnackerstraße 20 be- setzt. Das Vermögen der Ortsverwaltung betrug Sau- ters Bericht zufolge vor der Beschlagnahmung durch die Nazis 10.000 Reichs- mark.

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Der Metall-Gewerkschafter, der den Nazis zu intelligent war Der Schlosser Anton Schmidt war von 1920 bis zur Zerschlagung der Gewerkschaf- ten Geschäftsführer des Deutschen Metallarbeiter-Verbands in Waiblingen. Bereits 1903 war er als junger Handwerker dem Verein beige- treten. Stets wurde ihm völlig korrektes Wirtschaften im DMV bescheinigt, und er bekam auch das Sekreta- riat des Ortskartells der Gewerkschaften und des ADGB übertragen. Auch in der SPD engagierte er sich und erzielte bei Ge- meinderatswahlen hervorragende Ergebnisse.1 Er ge- hörte zu den Mitbegründern der Anti-Nazi-Verbän- de Reichsbanner und Eiserne Front und argumentier- te bei jeder Gelegenheit überzeugend gegen die Ziele und Aktionen der Faschisten. Welchen Erfolg er bei den Nazis damit hatte, lässt sich am Schreiben des Waib- linger NSDAP-Kreisleiters ablesen, das viel über An- ton Schmidt aussagt und viel über den geistigen Ho- rizont und die Rechtsauﬀ assung des NS-Funktionärs: „Durch den Sonderkommissar wurde der sozialdemokratische Gewerkschaftsse- kretär Anton Schmidt in Schutzhaft genommen. Nach dem Vollzug der Maßnah- me gebärdete sich Mäulen [Anmerkung: der damalige Landrat von Waiblingen] wie toll und forderte von dem Polizeikommissar Beurer objektive Gründe für die Verhaf- tung. Schmidt sei ein Ehrenmann und er sei nur deshalb gefürchtet, weil er intel- ligenter sei als die anderen. Es sei ganz unerhört, einen solchen vom politischen Standpunkt aus durchaus vornehmen Mann in Schutzhaft zu nehmen. Dagegen ist zu sagen: Schmidt ist tatsächlich sehr intelligent. Er benützte aber seine Gabe zu einer geradezu raﬃ nierten Hetze gegen Hitler und die Bewegung. Er war der intellektuelle Urheber aller Terrorakte der SPD gegen die NSDAP in- nerhalb der letzten Jahre. Er ist der geistige Mittelpunkt sozialdemokratischer Zerstörungsarbeit und der Drahtzieher für alle hinterlistigen Gemeinheiten. Es lag auf der Hand, dass er aus staatspolitischen Gründen verschwinden musste. Mäulen versuchte längere Zeit, ihm den Rücken zu steifen, sodass entgegen sei- nem Willen Schmidt auf den Heuberg verbracht werden musste.“2 1 2 IG Metall Verwaltungsstelle Waiblingen; 1901–1976, 75 Jahre Arbeiterbewegung, Waiblingen 1976. Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I Bü 38831. Waiblingen Auszug aus dem Be- richt des Waiblin- ger Kreisleiters der NSDAP, Fiechtner, vom 15. Juli 1933 an das Innenminis- terium F 133 E

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Waiblingen Adressbuch des DMV von 1933 Im Juli 1958 berichtete der Waiblinger Landrat Werner Bertheau über Anton Schmidt: „Durch Befragen städtischer Beamter habe ich nur feststellen können, dass Herr An- ton Schmidt in der Zeit vom Frühjahr 1933 bis in den Sommer hinein auf den Heu- berg verbracht wurde, von wo er ‚schneeweiß‘ zurückkam. Er hat sich sodann seinem Geschäft gewidmet, das auch heute noch von seiner Frau und seinem Sohn weiter- geführt wird.“3 Mit dem „Geschäft“, das Werner Bertheau erwähnte, hielten der arbeitslose Gewerk- schaftssekretär und seine Familie sich über Wasser: Es war war ein „ambulanter Wäsche- handel“, ab 1935 dann ein Textilwarenge- schäft mit festem Laden. Die Bedingungen waren erschwert. Sein Sohn erinnerte sich: „Er war als Gegner der Nationalsozialisten bekannt und wurde dementsprechend be- handelt. So erließ man gleich zu Anfang das Verbot der Annahme von Gutscheinen aus den Ehestandsdarlehen. […] Unter der stän- digen Drohung, ihn wieder in ein Konzentra- tionslager zu verbringen, konnte kein Stück Ware verlagert werden. Das letzte Stück musste gemeldet sein. Auf Grund dieser Meldungen der vorhandenen Waren wurden ja die Bezugsrechte ausgeteilt und es führte notgedrungen dazu, dass bei Kriegsende kein Stück Ware verlagert war und die Regale und Schubfächer leer waren, während praktisch die gesamte Konkurrenz ihre verlagerten Waren in der guten DM-Zeit aus den Verstecken holte.“4 Bertheaus Bericht ging weiter: „Im Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Ju- li 1944 bestand die Gefahr einer erneuten Verhaftung für Herrn Anton Schmidt. Sie wurde abgewehrt durch eine Intervention Waiblinger Bürger. Herr Anton Schmidt war stets dafür bekannt, dass er seine Ansichten aufrecht und rückhaltlos vertrat. Die Zeit seines Wirkens im Gemeinderat der Stadt Waiblingen ist dort noch in gu- ter Erinnerung. Sie endete, ebenso wie seine Tätigkeit im Bezirksrat, bald nach der Machtübernahme im Januar 1933. […]“ Das hohe Ansehen, das der Gewerkschafter genoss, brachte ihn gleich nach dem Ende des Faschismus in ein verantwortungsvolles Amt: Die amerikanische Besat- zungsverwaltung machte ihn zum Waiblinger Landrat; 1946 bestätigte ihn der Kreis- rat in freier Wahl in dieser Funktion. Doch bereits wenige Monate später starb Anton Schmidt mit 64 Jahren an Herzversagen. 3 4 Ebenda. Ebenda. F 134 E

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Dramatische Ereignisse im Volkshaus In der Petersstraße 15 in Worms, das damals zum Bezirk Stuttgart des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV) gehörte, befand sich seit Mitte der 192oer-Jahre das „Volkshaus“. In diesem Ge- bäude waren die Büros vieler gewerkschaftlicher und sozi- aldemokratischer Organisa- tionen. Am 2. Mai 1933 wurde das Volkshaus von der SA be- setzt. Viele Funktionäre wur- den ins Konzentrationslager Osthafen gebracht. Einige konnten emigrieren, andere blieben und versuchten, im Untergrund weiterzuarbei- ten – nicht immer erfolgreich und unentdeckt, wie die Ak- ten im sogenannten Hoch- verratsprozess gegen Wil- li Rösler, SPD-Parteisekretär zwischen März und Juli 1933 und danach Parteivorsitzender, und andere belegen. Die verhängten Strafen lagen zwischen drei Jahren und sechs Monaten (gegen Jakob Seibel) und einem Jahr und drei Monaten (Ludwig Bardorf). Das Volkshaus hatte noch am 28. Februar für Schlagzeilen gesorgt. Es war Fast- nachtsdienstag und man vergnügte sich dort bei einem Lumpenball. „Mitten in das heitere Treiben“, schreibt Fritz Reuter in „Worms 1933“, „schossen Nationalsozialis- ten und trafen den Wirt Philipp Weiß tödlich.“ Die Wormser Tageszeitung hatte einen anderen Blickwinkel: „Marxistische Bestien schießen aus dem ‚Volkshaus‘ in Worms auf Nationalsozialisten.“ An der Beerdigung am 5. März nahmen so viele Menschen teil, dass eine Hundertschaft Polizei aus Darmstadt für Sicherheit und einen ruhigen Verlauf sorgen musste.1 1 Nach Sebastian Bonk, Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Worms, Worms, Mai 2005, S. 212-23. Worms Ehe die Nazis kamen, war das „Volkshaus“ ein vielfältiger Platz. Neben den Gewerkschaften und der SPD waren da die Zeitung „Volkswacht“, das Arbeitersekretariat, der Konsumverein, die Volksfürsorge, die Arbei- terwohlfahrt, der Arbei- terbildungsausschuss, das Arbeiterkulturkar- tell, der Arbeitersport- verein und das Arbeiter- sportkartell. F 135 E

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August Gimbel, der 1933 gleichzeitig Bevollmächtigter, Kassierer und Zuständi- ger für Unterstützungsleistungen beim Deutschen Metallarbeiter-Verband in Worms war, kann man getrost als Urgestein seiner Stadt bezeichnen – am 27. September 1892 wurde er in Worms geboren und starb dort am 8. März 1977. Um Verfolgungen durch die Nationalsozialisten zu entgehen, emigrierte er in der Zeit des NS-Regimes – laut Eintragung in der städtischen Meldekartei meldete sich August Gimbel am 15. Juli 1933 nach Straßburg ab und meldete sich am 5. Juni 1945 wieder in Worms an. Er stellte sich sofort der de- mokratischen Entwicklung in seiner Heimatstadt zur Verfügung; nicht zuletzt betreute er den Auf- bau der IG Metall in Worms und war ihr Erster Be- vollmächtigter. Bis 1960 leitete er in schwieri- ger Auf- und Ausbauphase auch den DGB-Bezirk Worms-Alzey. Von 1952 bis 1969 gehörte der Sozialdemokrat dem Wormser Stadtrat und mehreren seiner Aus- schüsse an. Von 1957 bis 1969 war er Sprecher der SPD-Stadtratsfraktion. Unermüdlich, so wur- de er gewürdigt, habe er sich für die Menschen in seiner Stadt engagiert – qualifi zierter Ersatz für Notunterkünfte, städtische Ferien- spiele und Altentagesstätten seien nur einige Beispiele für seine Initiativen. In An- erkennung der um die Stadt Worms und ihre Mitbürger erworbenen besonderen Ver- dienste wurde ihm 1970 der Ehrenring der Stadt Worms verliehen. Magdalena Kiefel, Stadtverwaltung Worms / jof Worms F 136 E

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Abkürzungen ADGB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund AfA-Bund Allgemeiner freier Angestelltenbund AVAVG Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ATSB Arbeiter-Turn- und Sportbund CMV Christlicher Metallarbeiter-Verband DAF Deutsche Arbeitsfront DDP Deutsche Demokratische Partei DMV Deutscher Metallarbeiter-Verband DNVP Deutschnationale Volkspartei DVP Deutsche Volkspartei Gestapo Geheime Staatspolizei KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPO Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition) NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation SA Sturmabteilung SS Schutzstaffel SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VSt Verwaltungsstelle F 137 E

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literatur F 138 E Quellen und Auswahlliteratur Abmayr, Hermann G., Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Ar- beiterführer und seine Erben, Tübin- gen/Stuttgart 1992. Bauer, Karlheinz, Vorwärts ist die gro- ße Losung. Die Arbeiterbewegung im Raum Aalen von den Anfängen bis 1933, Heilbronn 1992. Bellon, Bernard P., Mercedes in peace and war: German automobile workers, 1903-1945, New York 1990. Bergmann, Theodor, Klassenkampf und Solidarität. Geschichte der Stuttgar- ter Metaller und Metallerinnen, Ham- burg 2007. Beriebsrat Bosch/Jochen Faber, ... auch beim Bosch gibt‘s nichts umsonst. 100 Jahre Arbeit und Leben in Feuerbach aus Sicht der Beschäftigten, Ludwigs- burg 2009. Boelcke, Willi A., Sozialgeschichte Baden-Württembergs 1800-1989, Stuttgart 1989. Borgstedt, Angela, Das nordbadische Kislau: Konzentrationslager, Arbeits- haus und Durchgangslager für Frem- denlegionäre, in: Wolfgang Benz/Bar- bara Distel (Hg.), Herrschaft und Ge- walt. Frühe Konzentrationslager 1933- 1939, S. 217–229, Berlin 2002. Buschak, Willy, „Arbeit im kleinsten Zirkel“. Gewerkschaften im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Ham- burg 1993. DMV (Hg.), Geschäftsberichte der Be- zirke Bielefeld, Brandenburg, Breslau, Dresden, Erfurt, Essen, Frankfurt a.M., Hagen, Halle, Hamburg, Hannover, Köln, Königsberg, Nürnberg, Stettin, Stuttgart 1931, Berlin 1932. Bosch, Michael/Wolfgang Niess (Hg.), Der Widerstand im deutschen Südwes- ten 1933-1945, Stuttgart 1984. Dowe, Christopher, Matthias Erzberger. Ein Leben für die Demokratie, Stuttgart 2011. Erb, Dirk, Der Nazi-Terror gegen Ge- werkschaften und Berufsverbände 1930 bis 1933. Eine Dokumentation, Göttingen 2002. Esters,Helmut/Pelger, Hans, Gewerk- schafter im Widerstand, Bonn 1983. Fattmann, Rainer, 125 Jahre Arbeit und Leben in den Werken von Daimler und Benz. Die Geschichte der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretung, Lud- wigsburg 2011. Ders. „Und wenn die Welt voll Teu- fel wär ...“. Willi Bleicher, 27. Oktober 1907 - 23. Juni 1981; ein konsequentes Leben für Menschenwürde und Gerech- tigkeit, Ludwigsburg 2011. Fenske, Hans, Der liberale Südwesten. Freiheitliche und demokratische Tra- ditionen in Baden und Württemberg 1790–1933, Stuttgart 1981.

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bildnachweiswe F 142 E S. 1 Archiv DGB Reutlingen S. 2 Sammlung Jäger S. 5 IG Metall Baden-Württemberg S. 9 Archiv IGM BW S. 11 Collage aus Bildern der Sammlung Jäger S. 12 Collage aus Bildern der Sammlung Jäger S. 13 Landesarchiv Staatsarchiv Freiburg, T1 Blankenhorn Nr. 79b_0166 S. 14/1 Sammlung Jäger S. 14/2 Stadtarchiv Karlsruhe StadtAK 8/BA Schmei- ser 16390 (Adam Remmele) S. 15 INFO & IDEE S. 16 Sammlung Jäger S. 17 INFO & IDEE S. 18 INFO & IDEE S. 19/1 Stadtarchiv Göppingen S 19/2 Archiv IGM BW S. 20 Archiv IGM BW S. 21 Stadtarchiv Waiblingen S. 22 INFO & IDEE S. 23 INFO & IDEE S. 24 Collage aus Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) 6/FOTA038706 und Bosch-Archiv S. 25 Sammlung Jäger S. 26/all Sammlung Jäger S. 27/1 Sammlung Jäger S. 27/2 Daimler-Archiv S. 28 Collage aus Wikipediea CCL und privat S. 29 Daimler-Archiv S. 30 Collage aus Sammlung Jäger / privat S. 31 Stadtarchiv Schwäbisch Hall S. 32 INFO & IDEE S. 33 INFO & IDEE S. 34 INFO & IDEE S. 35 Sammlung Jäger S. 36 Sammlung Jäger S. 37/all Sammlung Jäger S. 38/all Sammlung Jäger S. 39 Wikipedia CCL S. 40 AdsD 6/FOTA030948 S. 41 Wikipedia CCL S. 42 Sammlung Jäger S. 45 Stadtarchiv Heilbronn S. 46 Collage Wikipedia CCL / privat S. 47/all Stadtarchiv Reutlingen S. 48 Sammlung Jäger S. 49/1 Archiv VVN Stuttgart S 49/2 Archiv Stolpersteine Ludwigsburg S. 50 Landesarchiv Baden-Württemberg / General- landesarchiv Karlsruhe N Remmele 702_12 S 51/all Sammlung Jäger S. 52 IG Metall Karlsruhe S. 53 Collage Wikipedie CCL, Sammlung Jäger S. 54/1 Sammlung Jäger S. 54/2 Archiv IGM BW S. 55 Archiv IGM BW S.56/1+3 Archiv IGM BW S. 56/2 Archiv VVN Stuttgart S. 57 Stadtarchiv Mannheim S. 58/all Sammlung Jäger S. 59 Archiv IGM BW S. 61 IG Metall Aalen S. 66 Stadtarchiv Freiburg i. Br. S. 67/all Stadtarchiv Freiburg i. Br. S. 68 Stadtarchiv Freiburg i. Br.

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S. 72 Stadtarchiv Heidelberg S. 73 Stadtarchiv Heidelberg S. 75 Wikipedia CCL S. 77 Stadtarchiv Heidenheim S. 78/all IG Metall Heidenheim S. 79/all IG Metall Heidenheim S. 80 Sammlung Jäger S. 81/all Stadtarchiv Heilbronn S. 82 Stadtarchiv Heilbronn S. 83 Stadtarchiv Heilbronn S. 84 Wikipedia CCL S. 85 Stolpersteine Karlsruhe S. 86 IG Metall Karlsruhe S. 90 Unternehmensarchiv Nestlé S. 91 Archiv der Wirtschaft Baden-Württemberg, Bestand Wüstenrot S. 92 Archiv IGM BW S. 93 Stolpersteine Ludwigsburg S. 94 Archiv VVN Stuttgart S. 95 Stolpersteine Ludwigsburg S. 96/all Stolpersteine Ludwigsburg S. 97/1 Archiv IGM BW S. 97/2 Stadtarchiv Nürtingen S. 98 Stadtarchiv Lörrach S. 100 Stadtarchiv Lörrach S. 103 Sammlung Jäger S. 105 INFO & IDEE S. 111/all Stadtarchiv Schramberg S. 112 Stadtarchiv Schramberg S. 113 Stadtarchiv Schwäbisch Hall S. 115 Stadtarchiv Schwäbisch Hall S. 116/all Stadtarchiv Sindelfingen S. 117 Stadtarchiv Sindelfingen S. 121/1 Stadtarchiv Stuttgart S. 121/2 privat S. 122/1 Sammlung Jäger S. 122/2 privat S 123 Stadtarchiv Stuttgart M28120_126 S. 124 Stadtarchiv Tübingen mit freundlicher Genehmigung Kleinfeldt, Tübingen (269/27) S. 125/all Stadtarchiv Tübingen S. 126 Sammlung Jäger S. 127/1 privat S. 127/2 Sammlung Jäger S. 128 Stadtarchiv Ulm S. 129 /all Stadtarchiv Ulm S. 130 Archiv DGB Ulm S. 131 privat S. 132 Sammlung Jäger S. 133 Stadtarchiv Waiblingen S. 134 Archiv IGM BW S. 135 Stadtarchiv Worms S. 136 Stadtarchiv Worms S. 138-141 Shutterstock S. 106 Archiv DGB Reutlingen S. 144 – 145 Archiv Achten, Düsseldorf S. 107 Sammlung Jäger S. 108 Stadtarchiv Reutlingen S. 109 Archiv DGB Reutlingen S. 110 Stadtarchiv Schramberg bildnachweise F 143 E

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Als die Nationalsozialisten sich die Welt unter den Nagel reißen wollten, fi ngen sie mit der Welt der Arbeit an – in Baden und Württemberg wurden, wie in ganz Deutschland, am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser besetzt, die Gewerkschafter verleumdet und ihre führenden Köpfe in „Schutzhaft“ genommen. In den Konzentrationslagern trafen sich die Vertreterinnen und Vertreter der ver- schiedenen Lager wieder, die sich zuvor nicht auf eine gemeinsame Linie gegen die braune Gefahr einigen konnten. Rainer Fattmann und Jochen Faber beschreiben in diesem Buch das Geschehen dieser dramatischen Tage – im intelligent aufbereiteten, historischen Zusammen- hang ebenso wie mit Blick auf die handelnden Menschen vor Ort. Jörg Hofmann nennt in seinem Vorwort den 2. Mai 1933 einen „Gedenktag für alle der Demokratie verpfl ichteten Kräfte. Er ist mahnende Erinnerung und Auﬀ orderung zugleich, sich für die Einheit der Gewerkschaftsbewegung und die Freiheit gewerkschaftlicher Betätigung im Betrieb und in der Gesellschaft einzusetzen.“ Damit entwickelt Hofmann den Gedanken weiter, den einer seiner Vorgänger als Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, der Widerstandskämpfer und KZ-Überlebende Willi Bleicher, immer wieder beschworen hatte: „Hütet die Einheit wie Euren Augapfel!“ F 148 E